Pop und Politik:Der rechte Flüüügel

Pop und Politik: Zum Jubiläum der Red Bull Music Awards hat der Konzern vor dem traditionsreichen Berliner Technoklub Tresor einen gigantischen Sequenzer aufgestellt.

Zum Jubiläum der Red Bull Music Awards hat der Konzern vor dem traditionsreichen Berliner Technoklub Tresor einen gigantischen Sequenzer aufgestellt.

(Foto: Fabian Brennecke)
  • Die Red Bull Music Academy bringt seit 20 Jahren die besten und fortschrittlichsten Künstlerinnen und Künstler aus der Welt der elektronischen Musik zusammen.
  • Weil Red-Bull-Eigner Dietrich Mateschitz in der Vergangenheit aber mit rechtspopulistischen Äußerungen in der Öffentlichkeit stand, gibt es nun Kritik an den Musikerinnen und Musikern, die an der Academy teilnehmen.

Von Jan Kedves

Wes Braus' ich trink, des Lied ich sing? So ähnlich heißt es doch im deutschen Volksmund. Aber stimmt es denn, dass derjenige, der Geld annimmt von einem, der im Reichtum nur so schwimmt, automatisch dem anderen nach dem Mund redet, singt, musiziert? In Berlin gibt es gerade Gelegenheit, das noch einmal nachzuprüfen. Das Geld kommt vom reichsten Mann Österreichs, Dietrich Mateschitz. Der Milliardär, 74, ist Eigner des Red-Bull-Konzerns.

Seit 20 Jahren gibt er Jahr für Jahr eine beträchtliche Summe Geld für ein Musikprogramm aus, das an wechselnden Orten die besten, fortschrittlichsten Künstlerinnen und Künstler aus der Welt der elektronischen Musik unter dem Banner des roten Stiers zusammenbringt. Sie spielen DJ-Sets und Live-Acts und verraten in Workshops und Talks ihre Studiotricks. Red Bull Music Academy nennt sich das dann.

Das ging 19 Jahre lang gut, in Tokio, São Paolo, Paris und Kapstadt. Jetzt, im zwanzigsten Jahr, scheint es in Berlin zum PR-Desaster zu werden.

Schon im vergangenen Jahr hat sich Dietrich Mateschitz unbeliebt gemacht, weil er in einem Interview mit der österreichischen Kleinen Zeitung sagte, dass ihn das "unverzeihliche Ausmaß der politischen Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen bei der Nichtbewältigung der Flüchtlingswelle" störe. Er spottete über Leute, die "Wir schaffen das" riefen, ohne in ihrem Garten ein Zelt für "fünf Auswanderer" aufzustellen. Sich selbst bezeichnete Mateschitz als "Humanist, Kosmopolit, Pazifist und Individualist".

Mateschitz gehört nicht nur die Energy-Drink-Marke Red Bull, sondern seit 2007 auch Servus TV, quasi der Heimatsender des österreichischen Rechtspopulismus. Und auch die "Rechercheplattform" Addendum, gegründet vor einem Jahr, wird über ihn von einer Privatstiftung finanziert. Addendum gibt sich als Alternative zur angeblich sehr unfreien System- und Lügenpresse und stellt dabei solche Fragen: "Ist Demokratie wirklich so eine gute Idee?"

Der Imperativ des Grenzüberschreitens gehört bei der Brause zum Markenkern. Er ist riskant.

Allein das wäre manchem sicher Grund genug, kein Red Bull mehr zu trinken, neben bekannten anderen Gründen: Das Getränk ist überzuckert, dazu kommt der Imperativ des ständigen Grenzüberschreitens und Sich-selbst-Überflügelns. Er gehört bei der Brause zum Markenkern, dabei sind bei den vom Konzern gesponserten Extremsport-Events schon Sportler in den Tod gerast oder geflogen.

Nun aber scheint es, als würden vor allem Musikerinnen und Musiker in den Fokus der Kritik geraten. Helfen diejenigen, die seit vier Wochen in Berlin beim Red Bull Music Festival auftreten, Dietrich Mateschitz dabei, sein schlechtes Image (Rechts Bull?) reinzuwaschen? Versäumen sie es, sich ausreichend von ihm zu distanzieren? Das Festival endet am heutigen Freitag, aber seit Tagen steht die Kritik mal mehr, mal weniger explizit im Raum, etwa in Beiträgen in der taz und im WDR, auch in den sozialen Medien.

Doch zunächst ein Blick auf die beteiligten Musikerinnen und Musiker. Da ist zum Beispiel die Afrobeat-Legende Tony Allen aus Nigeria. Er trat bei dem Festival zusammen mit dem Techno-Produzenten Jeff Mills aus Detroit auf - ein Konzert, bei dem, wie man so schön sagt, die Welten zusammenrückten. Auch dabei sind 60 Nachwuchstalente aus 37 Ländern, die bei freier Kost und Logis eingeladen sind, vier Wochen lang in den Studios des alten DDR-Funkhauses Nalepastraße zu arbeiten, sich an Bechstein-Flügeln und analogen Roland-Synthesizern auszuprobieren.

Oder da ist die britische, sich selbst als genderqueer bezeichnende Musikerin Jam Rostron alias Planningtorock. Sie erklärte jüngst bei einem Red-Bull-Talk im Funkhaus, warum sie in ihrer Musik dem Patriarchat den Tod wünscht und dass sie stolz darauf ist, kürzlich den Soundtrack für eine französische Fernsehdokumentation produziert zu haben, die den Aufstieg von Marine Le Pen und der Rechten in Frankreich kritisch nachzeichnet. Würde Dietrich Mateschitz mit seinem Festival eine irgendwie rechte Agenda verfolgen, hätte er Rostron wohl das Mikro abgedreht.

Nicht mal der amerikanische Rapper Terrence Thornton alias Pusha T, der am Mittwoch zu einem Talk ins Berliner Kino International kam, wollte Verständnis für rechte Positionen äußern: Zwar ist Kanye West, der sich mehrfach zum Fan von Donald Trump erklärt hat und zum Gespött der afroamerikanischen Community geworden ist, sein Geschäftspartner und Produzent, doch auf West angesprochen erwiderte Pusha T, in diesem Punkt sei er anderer Meinung.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Dietrich Mateschitz die Weisheit des avancierten Mäzenatentums kennt. Danach muss ein Mäzen selbstverständlich auch diejenigen Positionen fördern, die den eigenen Ansichten widersprechen. Das hat dann etwas Grundentspanntes oder verschmitzt Gönnerhaftes: Macht ihr mal - ich mit meinem Geld bin sowieso der Stärkere.

Geht es überhaupt noch um Musik und Kunst?

So ist es häufig in der bildenden Kunst, wo vorbildlich programmierte Ausstellungsräume nicht selten durch umstrittene Pharmaunternehmen und deren stockkonservative Eigner finanziert werden. Nur: Weiß Dietrich Mateschitz denn überhaupt, was beim Red Bull Music Festival alles so passiert?

Es ist so gut wie unmöglich, ihn selbst zu fragen. Bitten um Stellungnahmen laufen ins Leere - auch die der SZ. Es antwortet nur seine Agentur. Also führt die Suche nach Antworten ins Funkhaus und zu Torsten Schmidt. Er ist einer der beiden Musiknerds, die seit 20 Jahren das Red-Bull-Music-Programm verantworten. Dass Mateschitz das Kuratieren natürlich ausgelagert hat, dass Schmidt dies im Auftrag des Konzerns mit seiner Berliner Agentur Yadastar übernommen hat, die er zusammen mit seinem Geschäftspartner Many Ameri betreibt, das kommt in den Diskussionen bislang wohl zu kurz.

Seit 1998 habe ihnen Mateschitz nicht ein einziges Mal ins Programm geredet, versichert Schmidt, 44. Man glaubt es ihm. In den Neunzigerjahren, damals noch in Frankfurt, hat er als DJ und Chefredakteur eines Magazins für Clubkultur sehr direkt mitbekommen, wie sich große Marken auf die Techno- und Rave-Kultur stürzten, wie sie ihre Werbebudgets über der Szene ausschütteten. Schmidts Ziel war es, die Geldflüsse zu verstetigen.

Bringt die Absage der Künstler etwas? Oder schadet sie nur den Musikern?

Er ist bestens vernetzt. Viele Musikerinnen und Musiker machen wohl nur mit, weil er es ist, der anfragt. In der Welt der Raves und der Klubnächte ließ man sich von Anfang an gern beflügeln, pur, gemixt mit Wodka oder Sekt auf Eis. Ist es da nicht nur gerecht, wenn Mateschitz von dem vielen Geld, das er mit dieser Musikszene verdient hat, jährlich einen wohl deutlich siebenstelligen Betrag in die Szene zurückgibt?

Zur genauen Höhe des Budgets möchte sich Torsten Schmidt nicht äußern, allerdings lässt er sich - in Absprache mit der Werbeagentur von Red Bull - mit folgendem Statement zitieren: "Wir stehen ganz klar für eine diverse Welt und unterstützen mit dem Red-Bull-Music-Programm seit zwei Jahrzehnten KünstlerInnen jeglicher Herkunft, Identität, Religion und Kultur. Die Werte, die dadurch vertreten werden, sprechen für sich." Es soll die PR-schädliche Rede von der "Nichtbewältigung der Flüchtlingswelle" und den "Auswanderern" wohl relativieren, ohne den Chef namentlich zu nennen. Während er beim Rundgang durch das Funkhaus Stipendiatinnen und Tutoren aus Japan und den USA die Hand schüttelt, lässt Schmidt auch durchblicken, dass das Kleine Zeitung-Interview unter Kolleginnen und Kollegen besorgt aufgenommen wurde.

Dem Berliner Künstlerkollektiv Live From Earth, zu dessen Mitgliedern unter anderem der Rapper Yung Hurn gehört, ist das nicht genug. Die Künstler hatten in Zusammenarbeit mit dem Festival den Abschlussabend kuratiert, eine Nacht voller "postmoderner Stile zwischen Trap und Cloud-Rap, Vaporwave und Deconstructed Club" sollte es werden.

Am Mittwoch sagte Live From Earth die Teilnahme ab. Die Begründung: Es habe "leider trotz vermehrter Aufmerksamkeit in den letzten Monaten kein klares Statement vom Red-Bull-Gründer selbst zu den Vorwürfen" gegeben, und das Unternehmen habe es versäumt, einen "öffentlichen Dialog über das Thema" zu initiieren.

Das ist konsequent. Allerdings lässt sich auch fragen, was genau die Künstler mit so einer Absage erreichen. Bringen sie nicht vor allem erst einmal andere Musikerinnen und Musiker unter Zugzwang? Live From Earth können auf die Gage verzichten, andere nicht. Und was ist mit der Vorstellung, dass sich das eigene Künstlergewissen reinwaschen lässt, indem man einem reichen Unternehmer nun nicht mehr hilft, sein Image reinzuwaschen? Geht es überhaupt noch um Musik und Kunst?

Das Vertrauen darin, dass eine Darbietung schon ein ausreichend deutliches Zeichen setzen könnte, scheint schwer erschüttert zu sein. Stattdessen dominiert der Gedanke, dass Geld von einem Unternehmer, der in seinem Sender österreichischen Rechtspopulisten ein Forum gibt, zwingend jede künstlerische Äußerung befleckt. Dabei ließe sich genauso sagen, dass entscheidend ist, was auf der Bühne passiert, und auch, was die Künstler mit dem Geld später anstellen. Dietrich Mateschitz kann es nun anderen geben. Sollte er jemals auf die Idee kommen, ähnlich konsequent, wie er seit zwei Jahrzehnten elektronische Musik fördert, eine Red-Bull-Rechtsruck-Akademie zu finanzieren - es müsste einem angst und bange werden.

Es ist kompliziert. Das weiß auch Torsten Schmidt von der Yadastar-Agentur. Im Vorbeigehen erzählt er, er habe in Frankfurt in den Neunzigern, zwischen Raves und Redaktionssitzungen, kurz am Institut für Sozialforschung studiert. Von damals kennt er noch den berühmten Satz von Theodor W. Adorno - den mit dem richtigen Leben, das es im falschen eben nicht gibt. Der Satz ließe sich so weiterdenken: Dass in Berlin eine Diskussion um die Politik von Red Bull begonnen hat, ist richtig. Aber wer meint, sie vor allem auf dem Rücken von Musikern austragen zu können, der landet bei den Falschen.

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