Klassische Musik:Kongenialer Transformator

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Beim Klavierzyklus zeigt sich JeungBeum Sohn in Bestform

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Mit einem eindrucksvollen Auftakt hat der Ebersberger Klavierzyklus das Publikum im Alten Kino begeistert. Langer, mitunter begeisterter Applaus, durchsetzt mit zahlreichen "Bravo"-Rufen, anerkannte die außergewöhnliche Leistung des Pianisten JeungBeum Sohn. Sein Soloauftritt mit Mozarts Fantasie d-moll, Chopins "Zwölf Etüden" und Schuberts Sonate B-Dur war trotz politischer Umwälzungen das Aufregendste, was man sich am Sonntagabend gönnen konnte. Was der 27-jährige Koreaner zeigte, erwies sich eines Preisträgers beim ARD-Musikwettbewerb und dem herausragenden Ruf des Zyklus' in jeder Hinsicht würdig.

Dem jungen Pianisten eilt der Ruf voraus, ein brillanter Techniker zu sein. In der Tat: Er spielt mit hohem Tempo und kraftvoll. Sein Anschlag ist so konzentriert und präzise, wie man es von Bogenschützen kennt. In den Läufen sprinten seine Finger im anaeroben Bereich über die Tasten, seine Bass-Triller erschüttern die Erde. Naturgewalt im Klang und Artistik auf der Klaviatur zugleich. Derlei beeindruckt auch ein Publikum, das schon viele Pianisten gehört hat, es erzeugt anerkennendes Raunen und Ausbrüche der Begeisterung.

Doch was JeungBeum Sohn noch viel mehr auszeichnet als seine technischen Fertigkeiten ist dieses unvergleichliche Gefühl, dass aus dem Moment heraus entsteht, was er spielt. Dass die Inspiration des Komponisten in ihm ihren kongenialen Transformator findet. Dass sich in ständiger Auseinandersetzung mit dem Opus eine Melodie entwickelt, die man vermutlich so vorher noch nie gehört hat. Kurzum: Es ist, als wäre man bei der Entstehung des Stückes dabei und erlebte gleichzeitig seine Vollendung.

Am deutlichsten zeigt sich das in den Etüden Chopins, allesamt sehr lebhaft und dynamisch notiert. Das kommt der Spielweise Sohns entgegen, er wird die Stücke nicht von ungefähr ausgesucht haben. Umso überzeugender, wie es ihm gelingt, den stillen, langsamen Momenten die verdiente Tiefe zu geben. Immer wieder gewährt er den Klängen ausreichend Zeit, ihre Wirkung zu entfalten. Sein Spiel ist getragen davon, wie er kompositorische Wagnisse annimmt, und wie ihn die geistige Energie beflügelt, die er daraus zieht. Das ist kein "Vortragen" mehr und kein "Interpretieren" - das ist Musik, die aus sich selbst heraus lebt, und ein Musiker, der dieses Leben mit ihr teilt.

Was sich schon in den wenigen Minuten andeutet, während derer Sohn mit Mozarts Fantasie das Konzert eröffnet. Souverän nimmt er die Hürde, dass schon nach vier Tönen wüstes Bonbonpapier-Rascheln den sanften Beginn grob beschädigt. Souveräner jedenfalls, als man dieses ewige Übel als Zuhörer hinnehmen mag. Den hochkochenden Ärger von der Flamme zu nehmen, zeigt die Könnerschaft des Solisten: Weil da einer einem oft gehörten Stück mit verblüffender Leichtigkeit seine Freiheit zurückgibt. Weil da einer die Fantasie wieder fantastisch sein lässt. Weil da einer Mozarts revolutionärem Spiel mit Akkorden und Figuren eine weite Bühne bietet. Darum: Begnadigung für den Raschler, Huldigung für den Pianisten.

Bei Schubert schließlich wird der intensive Dialog des Pianisten mit dem Komponisten und seinem Werk noch deutlicher. Wonach Schauspieler oft vergeblich suchen, die kleine Geste, die Großes ausdrückt, die körperliche Auflösung inhaltlicher Spannung - für JeungBeum Sohn sind die vier Sätze aus dem späten Werk des fast Gleichaltrigen ein offener Spielraum. Wie flink auch die Hände durch die Sechzehntel und Zweiunddreißigstel eilen, wie dramatisch sein Anschlag auch die Spannungsbögen vibrieren lässt, wie seelenvoll er den liedhaften Passagen Eleganz und Poesie verleiht: Sein kompromissloses Aufgehen im Spiel, seine feinsinnige Auseinandersetzung mit den schöpferischen Elementen des Stücks bringen Verstand und Gefühl ins Gleichgewicht. Vielleicht ist es Spiritualität, vielleicht eine unphysikalische Form der Schwerelosigkeit - keiner im Saal kann sich hier mehr der Magie des Augenblicks entziehen. Wenn es eines Beweises bedürfte, was man während des Spielens alles in vier Sätze Klavierkonzert packen kann, das sich vorher keiner hätte vorstellen können: Hier wird er live und makellos erbracht - und mit Jubelapplaus belohnt.

© SZ vom 16.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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