Zum Tod von Wilfried Scharnagl:Das Alter Ego von Franz Josef Strauß

Muenchen: Wilfried SCHARNAGL / 'Bayern kannes auch allein'

"Er schreibt, was ich denke und ich denke, was er schreibt", sagte Franz Josef Strauß über Wilfried Scharnagl.

(Foto: Johannes Simon)

Wilfried Scharnagl war nicht nur größer, breiter und schwerer als die meisten in der CSU, er war vor allem klüger. Zum Tode eines konservativen Intellektuellen.

Nachruf von Peter Fahrenholz

Was er wohl zum Wahlausgang gesagt hätte, welchen Rat er seiner Partei gegeben hätte? Darüber hätte man mit Wilfried Scharnagl gerne gesprochen, doch da lag er schon im Krankenhaus. Zur gesundheitlichen Malaise der beiden vergangenen Jahre mit mehreren Brüchen und einer Herz-OP war am Schluss noch eine Lungenentzündung gekommen.

In der Politik gibt es viele Berater, Einflüsterer und Strippenzieher, die ihre jeweiligen Chefs mal mit mehr, mal mit weniger Fortune zur Seite stehen und sie in aller Regel irgendwie anhimmeln. Aber eine Beziehung, wie sie Wilfried Scharnagl zu Franz Josef Strauß hatte, wird es wohl nie wieder geben. Scharnagl war über lange Jahre das politische Alter Ego des 23 Jahre älteren Strauß. "Er schreibt, was ich denke und ich denke, was er schreibt", hat Strauß einmal über Scharnagl geschrieben und dessen Rolle damit zutreffend beschrieben. Strauß wurde für Scharnagl praktisch blitzartig zum politischen Idol, als er ihn Anfang der Sechzigerjahre zum ersten Mal als Redner erlebt hatte. Kurz danach bewarb sich der junge Journalist bei Strauß und wurde als Redakteur des Parteiorgans Bayernkurier  eingestellt.

Von 1977 an war er dessen Chefredakteur und blieb es 24 Jahre lang, weit über den Tod von Strauß hinaus. In der Ära Strauß wurden seine meist ellenlangen Leitartikel zur politischen Pflichtlektüre, denn sie gaben Aufschluss darüber, was Strauß gerade umtrieb. Scharnagl glorifizierte die CSU dabei stets nach Kräften und verfolgte jeden Anflug von Linksabweichung in der Schwesterpartei CDU mit unnachsichtiger Strenge. Heiner Geißler und Norbert Blüm waren zwei seiner Lieblingsgegner. Die normalen Linken, was für Scharnagl zu Zeiten der sozialliberalen Koalition die FDP mit einschloss, wurden sowieso routinemäßig aufs Korn genommen.

Für Scharnagl war der plötzliche Tod von Strauß im Herbst 1988 eine persönliche und politische Tragödie. Nicht nur, weil sein Idol und Mentor auf einmal fehlte, sondern auch, weil es in der CSU plötzlich kein eindeutiges Kraftzentrum mehr gab. Es war die Zeit der Diadochenkämpfe, erst zwischen Max Streibl und Theo Waigel, dann zwischen Edmund Stoiber und Theo Waigel. Und Scharnagl, der öffentlich nie ein böses Wort über seine Partei verlor, musste die Differenzen immer nach Kräften parfümieren. Das sei, sagte er später einmal, seine größte intellektuelle Leistung gewesen, was man auch als Eingeständnis lesen konnte, dass er selber nicht alles glaubte, was er schrieb. Niemals hätte Scharnagl im Bayernkurier eingestanden, dass es auch in der CSU Streit gab oder das Parteiblatt gar für eine kontroverse, innerparteiliche Diskussion geöffnet.

Das Monopol, die CSU zu kritisieren, überlasse er gerne anderen, hat Scharnagl dann gesagt. Natürlich könne er ein dreibändiges Werk über die Schwächen der CSU schreiben, hat er später mal gescherzt, aber über die Schwächen der anderen würde es ein neunbändiges werden. Strauß blieb für Scharnagl zeitlebens eine unantastbare Ikone, was man auch daran sah, dass er auch nach seinem Tod weiterhin als Herausgeber das Bayernkurier firmierte. Als der längst tote Strauß einmal versehentlich im Impressum vergessen wurde, fuhr Scharnagl sofort erschüttert nach Hause, weil er an dem Tag nicht mehr weiterarbeiten konnte.

Dass nichts ewig währt, musste auch Wilfried Scharnagl erleben. Nicht nur seine unerschütterlichen Elogen auf die eigene Partei waren irgendwann einfach nicht mehr zeitgemäß, auch belastete das Defizit des Parteiblattes die CSU-Kasse schwer, und der damalige Generalsekretär Thomas Goppel piesackte Scharnagl fortwährend mit Sanierungsforderungen. Den Mut, Scharnagl die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, hatte indes keiner in der CSU. Was bei Scharnagl allerdings auch nicht so einfach war. Denn er war nicht nur größer, breiter und schwerer als die meisten in der CSU, sondern auch klüger. Und er war mit einem scharfzüngigen Sarkasmus ausgestattet, dem man nicht leicht etwas entgegensetzen konnte.

Scharnagl war eine Ausnahme in der CSU

Im Frühjahr 2001 gab Scharnagl seinen Posten als Chefredakteur des Bayernkurier auf, nach außen hin so eisern loyal wie immer, aber in Wirklichkeit tief verbittert. Im Nachhinein erwies sich die Trennung für Scharnagl aber als Glücksfall. Nicht immer nur monoton die Vorzüge der CSU herunterzubeten, sondern seinen Gedanken freien Lauf zu lassen, ließ Scharnagl nach kurzer Zeit regelrecht aufblühen. Er schrieb Bücher mit provokantem Inhalt, etwa, dass Bayern auch ohne den Rest Deutschland gut zurechtkommen würde, trat als Duo mit seinem Freund und politischen Gesinnungsgenossen Peter Gauweiler im Wahlkampf auf und war als Mitglied im CSU-Vorstand weiterhin eine Art graue Eminenz. Scharnagl entging keine Intrige, und er war als Ratgeber nach wie vor gefragt, auch wenn sein Rat dann nicht jedem gefiel. Denn so loyal Scharnagl nach außen hin war, so ungeschminkt konnte er in kleiner Runde seinen Parteifreunden die Leviten lesen.

Die CSU ist, wie auch die Union insgesamt, keine Partei, die vor Intellektualität strotzt. Theoriedebatten oder politische Visionen interessieren die Parteimitglieder nicht sonderlich, Hauptsache, man hat politischen Erfolg und sitzt an den Schalthebeln der Macht. Wilfried Scharnagl war eine Ausnahme. Belesen und hochgebildet, ein rarer konservativer Intellektueller, aber kein Reaktionär. Und zu selbstironischer Reflexion fähig. Als in der SZ einmal stand, gegen Scharnagl sei Kardinal Ratzinger ein liberaler Hallodri, hat Scharnagl postwendend angerufen, um zu sagen, dass er sich über diesen Vergleich köstlich amüsiert habe. "Er war einer der Besten in unseren Reihen", sagt sein Freund Peter Gauweiler.

Warum ist so einer nach dem Tod von Strauß nicht selber in die Politik gegangen? Er hätte die meisten seiner Parteifreunde locker in den Sack gesteckt und es weit bringen können. "Das war nicht seine Sache", sagt Gauweiler, "um Wirkung zu entfalten, brauchte er kein formales Amt."

Am frühen Dienstagmorgen ist Wilfried Scharnagl, wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag, gestorben.

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