Neue Heimat:Warum werfen die Münchner eigentlich so viel weg?

Wertstoffhof Recycling statt Reparatur

Abfallwirtschaftsbetrieb in München: Wo Gutes in die Tonne kommt.

(Foto: Robert Haas)

In seiner Heimat Nigeria lassen die Menschen alles reparieren, schreibt unser Kolumnist. Doch das ist in München gar nicht so einfach.

Kolumne von Olaleye Akintola

In den größeren Ortschaften rund um München gehört er dazu wie das Rathaus und die Kirche: Dieser riesige geschäftige Ort, wo immer was los ist, sobald die Tore aufgehen. Oft stehen die Autos dort gar Schlange wie an einer Tankstelle in der Steppe. Von außen sieht man riesige Container - und Männer und Frauen, die Waren be- und entladen. Mit krachend-klirrenden Geräuschen.

Die Kleinstadt Ebersberg östlich von München hat einen dieser Märkte, zu denen die Menschen hier Wertstoffhof sagen. Auf einer Radtour durch den Ort fiel er mir zum ersten Mal auf. Seither beobachte ich das Treiben auf dem Wertstoffhof immer wieder gerne. Es gibt dort zwei Arten von Besuchern: Die einen, die ihn als Müllhalde für ihre Haushaltsgegenstände sehen. Und andere, denen die Wertstoffhofarbeiter zugestehen, in den Containern zu stöbern - eine deutlich kleinere Gruppe.

Die erste Art von Besucher wirkt belastet, als lägen ihnen die Trümmer im Kofferraum wie Felsbrocken auf der Seele. Sie haben oft Geräte dabei, die im Haus dazugehörten und irgendwann zu Plagegeistern degradiert wurden. Die zweite Besucherart hat meistens ein Grinsen auf dem Gesicht. Sie wirken wie beschwingt, wenn sie mit Mikrowellen, Schuhen, Staubsaugern und Fernsehern durchs Tor hinaus schreiten.

Die Bayern und ihre Eigenheiten: Sie lassen beim Hühnchenessen nicht nur Knochen und Knorpel übrig und werfen sie in den Abfalleimer. Nein, sie zahlen auch noch Geld dafür, dass sie ihre funktionierenden Fernseher und Föhns in ein Wegwerfdepot fahren dürfen - wenn sie nicht vorher schon teuer dafür bezahlt haben, dass sie ihr Auto zu einem Würfel zerstampfen lassen dürfen.

Wo sind all die Reparaturläden?

Ich habe mir die Geräte angeschaut, und mit Erstaunen festgestellt, dass viele von ihnen fast wie neu sind. Vielleicht mit ein paar wenigen, kaum wahrnehmbaren Kratzern. Die meisten dieser Teile müssen nur gesäubert und wieder hergerichtet werden. Hier ein Kabel oder einen Bildschirm austauschen, da zwei Drähte zusammenlöten. Mehr bräuchte es oft gar nicht. Und so frage mich immer wieder, wie das so sein kann, in diesem Teil der Welt. Ist es eine bewusste wohltätige Tat, die Geräte für Unterprivilegierte zu hinterlassen? Wie ist dieser verrückte Zyklus des Wegwerfens zu erklären? Und: Wo sind all die Reparaturläden? Wo sind jene, die einem helfen, das Gerät wieder zum Laufen zu bringen.

In der Region um München findet man kaum jemanden, der wirklich weiterhilft. Als mein Handy zu Boden fiel und zerbrach, ging ich zu einem der wenigen Reparaturläden in der Stadt. Doch die Summe, die er nannte, war so hoch wie der Preis eines neuen Geräts. Noch ärger war es, als ich einen Schneider aufsuchte, um den Reißverschluss meiner Hose zu reparieren. Er wollte das dreifache vom Kaufpreis. Obwohl sie sehr bequem war, musste ich die Hose wegwerfen.

Solche Erlebnisse geben Antworten auf viele dieser Fragen. Man kann den Besuchern mit ihren kaputten Geräten am Ebersberger Wertstoffhof keinen großen Vorwurf machen. Wenn die Reparatur teurer ist als der Neukauf, würden das die Menschen in Nigeria wohl auch so machen. Es ist nur schwer, das hinzunehmen, wenn man aus einem Land kommt, in dem es nach wie vor nichts gibt, das die Menschen nicht reparieren. In Nigeria lohnt sich die Reparatur eigentlich immer, es sei denn, der Fernseher ist komplett zerfetzt oder das Handy zu Matsch zerstampft. An den Straßenecken findet man für jede Kleinigkeit Reparaturexperten. Manche haben sich auf kaputte Schirme, Glühbirnen oder Plastikeimer spezialisiert. Und es gibt wandernde Schuhmacher, die von Haus zu Haus gehen und den Menschen ihre Dienste zu moderaten, verhandelbaren Preisen anbieten.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Olaleye Akintola stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht 2014 arbeitete er dort für eine überregionale Tageszeitung. Nun lebt er in Ebersberg.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Akintola für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

Diesen Schuh müssen sich die Bayern anziehen: Wer geht hier noch zum Schuhmacher? Stattdessen richten sich manche einen Kellerraum für ihre Reste ein: Depots für Ausgedientes. Weil ein Knopf nicht mehr funktioniert oder weil ein moderneres Gerät das alte verdrängt hat. So manche Sammlung würde reichen, um in Nigeria einen erfolgreichen Secondhand-Laden zu eröffnen. Stattdessen geht es dann irgendwann auf den Wertstoffhof.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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