Elektroschrott:"Reparieren ist ökonomisch und ökologisch sinnvoller"

Repair-Cafe

Im Repair-Café Rentabel in Freising repariert ein Ehrenamtlicher eine Kaffeemühle.

(Foto: Lukas Barth)

Jedes Jahr ein neues Smartphone? Millionen Tonnen Elektroschrott pro Jahr? Absurd, sagt Tom Hansing. Der Bastler aus Leidenschaft und Überzeugung fordert ein Grundrecht auf Reparatur.

Interview von Caspar von Au

Gebrauchtes in Stand setzen statt alles neu kaufen - dafür steht die Reparier-Bewegung. Weltweit vernetzen sich Bastler, um dem Trend entgegenzuwirken, dass immer mehr elektronische Geräte nach wenigen Jahren zu Elektroschrott werden. Es werde zunehmend schwerer, Geräte zu reparieren, schreibt die Open Repair Alliance auf ihrer Website.

In Deutschland gibt es mehr als 900 Reparatur-Treffs, offene Werkstätten oder Repair-Cafés. Am 20. Oktober feiert die Bewegung zum zweiten Mal den internationalen Repair Day. Damit wollen die Beteiligten auf ihre Forderung aufmerksam machen, EU-weit Reparaturstandards und ein "Recht auf Reparatur" einzuführen. Eine entsprechende Petition hat bereits mehr als 21 000 Unterschriften. Das unterstützt auch Tom Hansing. Der Soziologe betreut das Netzwerk Reparatur-Initiativen und hat 2016 das Buch "Die Welt reparieren" mit herausgegeben.

SZ: Welches Gerät ist am kompliziertesten zu reparieren?

Tom Hansing: Prinzipiell lässt sich alles reparieren. Auch Geräte mit proprietären Schrauben, für die es Werkzeuge höchstens im spezialisierten Fachhandel gibt. Reparatur-Initiativen besitzen in der Regel spezielle Werkzeugkoffer. Die Reparatur gelingt in 50 bis 80 Prozent der Fälle.

Mit welchen defekten Gegenständen kommen die Menschen in die Repair-Cafés?

Meist sind das marginale Schäden. Haushaltsgeräte, bei denen beispielsweise das Netzteil im Gehäuse nicht mehr richtig befestigt ist. Oft werden solche Geräte weggeschmissen. Durch das Anlöten eines kleinen Kabels an der richtigen Stelle kann ich dem Gerät ein zweites Leben schenken. Das sind ungefähr die Hälfte der Schäden.

Und die andere Hälfte sind Spider-Apps, also gesprungene Smartphone-Displays?

Nein, die würde ich auch zu den marginalen Schäden zählen. Im Internet gibt es zahllose Anleitungen, wie man Handydisplays austauscht. Kompliziert wird es, wenn ganze Baugruppen ausgetauscht werden müssten, weil einzelne Komponenten defekt sind. Häufig ist es nicht möglich, diese einzeln als Ersatzteile zu bekommen. Statt für zwei Cent einen Kondensator auszutauschen, muss ich für 100 Euro eine komplette Steuerungseinheit nachkaufen. Reparieren klingt einfach, aber da steckt eine Menge Politik dahinter.

Was meinen Sie damit?

Die meisten Menschen wissen, dass die Wegwerfmentalität falsch ist. Nun muss die Politik dafür Rahmenbedingungen im Alltag schaffen. Wer reparieren kann, wird weniger durch den Markt erpressbar. Reparieren ist nicht nur die ökonomisch sinnvollere Alternative, sondern auch ökologisch. Wir sagen: Wir brauchen nicht immer den neuesten Schnickschnack. Wir brauchen Geräte, die wir so lange wie möglich selbstbestimmt und unabhängig erhalten können.

Dagegen spricht, dass sich viele Menschen alle ein bis zwei Jahre ein neues Smartphone kaufen.

Das ist tatsächlich ein riesengroßes Problem. Da geht es weniger um Rechenleistung, die Geräte sind in erster Linie ein Statussymbol. Das ist der Erfolg von PR und Werbung. Die Verantwortung allein auf die Konsumenten zu schieben, ist nicht hilfreich. Wir müssen andere Verhaltensweisen fördern. Wir können die Welt reparieren, Gerät für Gerät, Teil für Teil. Das ist das Faszinosum an der Reparier-Bewegung.

Tom Hansing

Tom Hansing betreut das Netzwerk Reparatur-Initiativen der Stiftung "anstiftung" und ist überzeugt: Wer Geräte öffnet und repariert, entzaubert sie und konsumiert nicht länger nur passiv.

(Foto: privat)

Was macht diese Faszination aus?

Durch eigenhändiges Reparieren finden Hand- und Kopfarbeit wieder zusammen. Wenn man Geräte öffnet, entzaubert man sie und versteht dadurch besser, mit was für Technik man sich umgibt. Man lernt die Funktionsweisen kennen und kann selbst Einfluss nehmen, statt Technik nur passiv zu konsumieren. Das Faszinierende ist, dass Reparieren eigentlich nicht mehr vorgesehen ist. Der Verdacht liegt nahe, dass Industrie und Handel nichts dagegen haben, dass Nutzer nicht mehr in der Lage sind, sich ihrer Dinge zu bemächtigen und ihnen eine längere Nutzungsdauer abzutrotzen.

Angeblich sollen Firmen die Nutzungsdauer von Geräten absichtlich beschränken. Drucker, die nach einer bestimmten Zahl von gedruckten Seiten einen Patronenwechsel einfordern. Apple verlangsamt ältere iPhones, nach eigenen Angaben um den Akku zu schonen. Was ist da dran?

Es gibt vorzeitigen Verschleiß, daran habe ich keine Zweifel. Ingenieurinnen und Ingenieure planen natürlich auch die Lebensdauer sämtlicher Komponenten und überlassen das nicht dem Zufall. Wenn ein Objekt zum geplanten Zeitpunkt seinen Geist aufgibt, ist das quasi eine Meisterleistung. Andererseits gibt es legendäre Geräte, wie den in der DDR produzierten Handrührer RG 28, der auch noch nach Jahrzehnten nicht kaputt geht. Aber das sind Nebenschauplätze. Noch wichtiger ist es, sich mit dem Lösungsansatz zu beschäftigen: reparierfreundliches Design und dem Grundrecht auf Reparatur.

Ein Grundrecht? Das klingt sehr staatstragend.

Das Reparieren ist ein grundsätzlicher Ansatz. Wir wünschen uns kreative, eigenständig denkende Generationen mit sozialem und ökologischem Bewusstsein. Stattdessen werden die Verbraucher absichtlich dumm gehalten. Wie passt das zusammen? Ein Argument lautet, Reparieren sei gefährlich, also müsse man die Menschen vor Unfällen schützen. Ich halte das für einen vorgeschobenen Grund. In Repair-Cafés ist noch niemand gestorben - ganz im Gegensatz zum Straßenverkehr, der massiv gefördert wird.

Was müsste in so einem Gesetz drinstehen?

Reparierfreundlichkeit muss ein neues Qualitätsmerkmal werden und darf nicht optional sein. Händler und Hersteller müssen den Zugang zu Ersatzteilen ermöglichen. Geräte müssen zerstörungsfrei geöffnet werden können. Dafür dürfen sie weder verklebt noch vernietet sein. Verbraucher müssen Reparaturanleitungen, Schaltpläne und andere reparaturrelevante Informationen vom Hersteller bekommen können und natürlich muss die Verfügbarkeit von erschwinglichen Ersatzteilen gesichert werden. Eine weitere Möglichkeit wäre, die Mehrwertsteuer für Reparaturen abzusenken und sie dadurch zu vergünstigen. Das wäre einfach umzusetzen.

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