Bayern nach der Wahl:Die Politik hat das Land vergessen

Umgebung am nördlichen Stadtrand von München, 2018

Auf dem Land haben die Menschen andere Sorgen als in der Stadt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Was Menschen in ländlichen Regionen beschäftigt, kommt selten in politischen Debatten vor. Viele fühlen sich abgehängt. Die Bayern-Koalition muss das Land neu entdecken.

Kommentar von Katja Auer

Hubert Aiwanger ist die Rache der Landbevölkerung an der CSU. Der Chef der Freien Wähler kommt aus Niederbayern; er ist Landwirt, Dialektsprecher und verkörpert, was viele Bayern an der CSU inzwischen vermissen, an deren Seehofers, Söders, Dobrindts zumindest. Aiwanger hört zu und langt hin; er will, dass es sich auf dem Land so gut leben lässt wie in der Stadt. Was er sagt, klingt oft arg einfach. Aber Aiwanger hat offenbar einen Nerv getroffen: Viele Menschen, die auf dem Land leben, fühlen sich missachtet und übersehen, von Verkehrsplanern und Wirtschaftsstrategen, Kulturschaffenden und Journalisten, von Politikern - und sogar von denen der CSU, die doch so sicher glaubte zu wissen, wie die Leute ticken auf dem Land.

Wir auf dem Land, die in der Stadt. Das sind immer noch Kategorien der Unterscheidung, in Bayern noch mehr als anderswo. Es geht dabei gar nicht mal ums Geld - fast überall in Bayern herrscht quasi Vollbeschäftigung. Trotzdem fühlen sich die Menschen dort abgehängt, ziemlich viele Menschen übrigens: Zwar leben fast zwei Drittel der Bayern in Städten, aber dazu zählen auch Berching, Naila, Wolframs-Eschenbach; ländlich geprägte Kleinstädte. Und dann sieht es mit den Mehrheitsverhältnissen ganz anders aus.

Was die Leute in Berching oder Naila umtreibt, kommt selten vor in den politischen Debatten. CSU, Grüne und SPD stritten im Wahlkampf über den Wohnungsmangel in den großen Städten, über steigende Mieten und den drohenden Verkehrsinfarkt. Und über Flüchtlinge. Auf dem Land aber gibt es andere Sorgen. Immer noch gibt es Orte ohne vernünftige Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr; wer kein Auto hat, kommt nicht zum Arbeitsplatz. Ortskerne veröden, weil Bäcker und Metzger keine Lehrlinge finden und der Supermarkt ins Gewerbegebiet zieht. Die wenigen jungen Paare, die daheim bleiben, bauen lieber im Neubaugebiet, als das Elternhaus zu sanieren.

Viele junge Leute ziehen in die Großstadt. Weil Schwabing cooler klingt als Wolframs-Eschenbach und weil dort die Arbeitsplätze sind. Aber Kinderbetreuungsplätze fehlen, deswegen fährt die Oma dreimal die Woche dorthin, anderthalb Stunden mit dem Zug. Die alten Familienstrukturen funktionieren noch, aber sie sind teuer erkauft.

Dabei wollen längst nicht alle Bayern in München leben, wie die Münchner gerne glauben. Auch jenseits der Donau und auf den Höhen der Oberpfalz ist das Leben lebenswert. Es gibt dort erfolgreiche Unternehmen und qualifizierte Mitarbeiter, die mehr im Kopf haben als das nächste Feuerwehrfest. Die Vorstellung von der Provinz, die dann auch noch abschätzig so genannt wird, nervt die Menschen auf dem Land ganz schön.

Längst helfen sich die Leute selbst - die fehlende Achtsamkeit der Politik können sie damit nicht ausgleichen. Das spüren sie, das ärgert sie, und daran konnten vor der Wahl weder die Geldgeschenke der CSU-Regierung etwas ändern noch ihr Lied von der Heimat. Das war die Grundlage des Erfolgs der Freien Wähler und in Teilen auch der Grünen, die jene überzeugten, die ihre Heimat nicht weiter mit Gewerbegebieten zubetonieren lassen wollen. Die neue Bayern-Koalition muss das Land neu entdecken - ohne provinziell zu werden. Eine große und schöne Aufgabe für Hubert Aiwanger und Markus Söder.

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