Weltpolitik:Nicht immer nur rumstehen, Deutschland

Weltpolitik: Ganz weit weg vom Zwei-Prozent-Ziel: deutsches Nato-Bataillon in Rukla, Litauen.

Ganz weit weg vom Zwei-Prozent-Ziel: deutsches Nato-Bataillon in Rukla, Litauen.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Wolfgang Ischinger und Christoph von Marschall beklagen in ihren neuen Büchern die Verzagtheit deutscher Außenpolitik. Mit linker Friedenspolitik sind ihre Analysen nicht vereinbar.

Von Christoph Dorner

Nach der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz gab sich deren Leiter, Wolfgang Ischinger, in Interviews besorgt. Von der wichtigsten sicherheitspolitischen Tagung der Welt war kaum ein Signal der Entspannung ausgegangen. Ministerpräsidenten von EU-Mitgliedstaaten weigerten sich, gemeinsam auf einem Podium zu diskutieren. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu präsentierte ein Trümmerteil einer angeblich iranischen Drohne, die Israel über seinem Territorium abgeschossen hatte.

Die Verwerfungen auf dem Münchner Parkett fügen sich in Ischingers Diagnose eines Epochenbruchs: In seinem Buch "Welt in Gefahr: Deutschland und Europa in unsicheren Zeiten" skizziert er anhand seiner diplomatischen Karriere die alte, auf gemeinsamen Regeln gegründete internationale Ordnung, die seit dem Ende des Warschauer Pakts am Erodieren ist. Und er wirft einen Blick auf das angebrochene weltpolitische Zeitalter, in dem sich die USA von ihrer Rolle als globale Führungsmacht zurückziehen und Russland mit einer aggressiven Außenpolitik und Methoden hybrider Kriegsführung einen Westen zu schwächen versucht, der kaum zu gemeinsamen außen- und sicherheitspolitischen Positionen findet.

Die Nato droht im Streit um Verteidigungsausgaben zu zerbrechen. Und das Völkerrecht stößt in einem Stellvertreterkrieg wie in Syrien genauso an seine Grenzen wie der UN-Sicherheitsrat, der durch seine institutionelle Struktur gelähmt ist. Am schlimmsten ist für den ehemaligen Spitzendiplomaten aber, dass das Vertrauen zwischen den Mächtigen beschädigt ist.

Die Zeit der Zurückhaltung müsse nun vorbei sein, sagt der Leiter der Sicherheitskonferenz

Ischinger, der ein überzeugter Transatlantiker und Verfechter Genscher'scher Gesprächsdiplomatie ist, plädiert vor dieser Kulisse dafür, dass Deutschland sich weiter um den Austausch mit der Trump-Regierung und auch mit Putin bemühen, aber gleichzeitig seine Kultur außenpolitischer Zurückhaltung aufgeben müsse.

Wie heikel es ist, über eine deutsche Beteiligung an Militäreinsätzen zu sprechen, hat der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck 2014 erfahren, als er kritisierte, dass aus der historischen deutschen Kriegsschuld kein Recht auf Wegsehen abgeleitet werden dürfe. Weil Gauck Waffengewalt als letztes Mittel nicht ausschließen wollte, um damit Frieden und Menschenrechte zu verteidigen, war er als Kriegstreiber kritisiert worden.

Die Frage, ob sich Deutschland bei einem möglichen Giftgaseinsatz in Syrien an einer militärischen Vergeltung beteiligen soll, hat zuletzt erneut die Bundesregierung in Aufruhr versetzt. Während die SPD einen Bundeswehreinsatz ohne UN-Mandat ablehnt, ist die Union seit 2015 auf das Narrativ einer Außenpolitik ohne Tabus eingeschwenkt, die auch Ischinger in seinem Buch vertritt.

Demnach muss Deutschland bereit sein, sich an einer Koalition der Willigen zu beteiligen. Ischinger vermag diese Forderung wegen der verfassungs- und völkerrechtlichen Bedenken hinter seiner diplomatischen Rhetorik zu verbergen. "Wie viel Einmischung sinnvoll und wie viel Heraushalten klug ist und wann auch Nichthandeln politisch-moralische Konsequenzen hat - das sind die schwierigsten Fragen unserer Außenpolitik. Sie lassen sich nur lösen, wenn man akzeptiert, häufig zwischen mehreren unbefriedigenden Optionen wählen zu müssen", schreibt er in Anlehnung an Gauck.

Ischinger hat die Machtlosigkeit der Europäischen Union im Syrienkrieg wiederholt kritisiert. Sich eigenständiger in die Krisenbewältigung einzubringen, sei nicht nur eine Frage der Moral, sondern auch eine realpolitische Notwendigkeit, da Europa kriegsbedingte Flüchtlingsströme zu bewältigen und Handelswege zu verteidigen habe. Um für seine nationalen Interessen einzustehen, müsse Deutschland auch bereit sein, mehr Geld für Sicherheit auszugeben, allein um Bündnisverpflichtungen nachzukommen.

Mehr Einsatz für eine europäische Sicherheitsarchitektur

Ischinger drängt aber vor allem auch auf mehr Einsatz für eine europäische Sicherheitsarchitektur, die langfristig zu außenpolitischen Mehrheitsentscheidungen innerhalb der EU und zum Aufbau einer europäischen Armee führen soll, die dann ohne Parlamentsvorbehalt in Auslandseinsätze geschickt würde. Allein hier scheint Widerstand im Bundestag programmiert.

Denn Wolfgang Ischingers Analyse ist mit linker Friedenspolitik im Kern nicht vereinbar. Sie deckt sich in weiten Teilen aber mit den Thesen von Christoph von Marschall. Der diplomatische Korrespondent der Chefredaktion des Tagesspiegels hat ebenfalls ein Buch über die Verzagtheit deutscher Außenpolitik vorgelegt, das im Ton weniger diplomatisch ist.

In "Wir verstehen die Welt nicht mehr" bezeichnet er Deutschland als unsicheren Kantonisten und Trittbrettfahrer. Er schreibt: "Am Ende werden alle wie wir: demokratisch, freiheitsliebend, rechtsstaatlich, sozialstaatlich, pazifistisch. Diese Erwartungshaltung hat sich als Lebenslüge erwiesen."

Marschall ist für sein Buch nach Washington, Brüssel, Paris und Warschau gereist, um aus Gesprächen mit Regierungsberatern, Politik-Erklärern aus Thinktanks und Vertretern von EU und Nato die Diskrepanz zwischen dem Selbstverständnis der Deutschen als Mustereuropäer und der Wahrnehmung durch seine Partner zu dokumentieren.

Dabei ergibt sich das Bild einer Nation, die sich vor allem bei Fragen der Sicherheit nicht auf die internationale Verantwortung einlassen kann, die ihr als viertgrößte Wirtschaftsmacht der Erde zukäme. Und die häufig mit zweierlei Maß misst: Unter deutschem Druck war die Einführung des Euro an einen Stabilitätspakt geknüpft worden.

Doch dann verstieß die Regierung Schröder mit als erste gegen die Verschuldungskriterien und verlangte, dass Sanktionen ausbleiben sollten. Für Marschall ein "psychologisch gravierender Sündenfall", der eine Kultur des Rechtsbruchs in der Euro-Zone mitbedingt habe, die letztlich zu den Hilfspaketen für Griechenland führte.

Ischinger: Welt in Gefahr / von Marschall: Wir verstehen die Welt nicht mehr

Wolfgang Ischinger: Welt in Gefahr. Deutschland und Europa in unsicheren Zeiten. Econ-Verlag, Berlin 2018. 304 Seiten, 24 Euro. E-Book: 22,99 Euro.

Christoph von Marschall: Wir verstehen die Welt nicht mehr. Deutschlands Entfremdung von seinen Freunden. Herder-Verlag, Freiburg 2018. 256 Seiten, 22 Euro. E-Book: 14,99 Euro.

(Foto: Econ/Herder)

Auch die Energiewende und Angela Merkels Flüchtlingspolitik sind für den Journalisten Belege dafür, dass Deutschland zu Alleingängen, mitunter gar zu moralischem Größenwahn neigt. Die Bundeskanzlerin habe sich im September 2015 bei ihrer Entscheidung, in Budapest festsitzende Flüchtlinge nach Deutschland einreisen zu lassen, weder mit den europäischen Partnern abgestimmt noch die Dublin-Regeln beachtet.

Dass der Europäische Gerichtshof das deutsche Selbsteintrittsrecht zur Durchführung von Asylverfahren später für rechtmäßig erklärte, unterschlägt Marschall allerdings. Ihm geht es um den politischen Flurschaden. Merkel habe durch ihr Auftreten Migrationsbewegungen verstärkt und damit Wahlausgänge in Europa beeinflusst, schreibt er. Nur wolle man das nicht wahrhaben. In Deutschland werde stattdessen die fehlende Solidarität osteuropäischer Staaten bei der Umverteilung von Flüchtlingen angeprangert, obwohl Merkel in ihrem Werben um eine europäische Lösung ziemlich allein dasteht.

Marschall konstatiert, dass die deutsche Öffentlichkeit wenig Übung darin habe, die Perspektiven ihrer EU-Partner bei der eigenen Meinungsbildung einzubeziehen: Frankreichs Erfahrungen mit permanentem Migrationsdruck aus Nordafrika. Polens Unbehagen gegenüber einer europäischen Integration, die seine Nationalstaatlichkeit aushöhlt. Weil Deutschland aber seine Haltung nicht reflektiere, sei es in Polen schwierig, das Verhältnis zu seinem westlichen Nachbarn zu entspannen, bekam der Journalist aus dem Lager der oppositionellen Bürgerplattform zu hören.

Christoph von Marschall empfiehlt der deutschen Außenpolitik deshalb zum Abschluss eines pointierten Buchs, das stellenweise nicht ganz nachvollziehbar zwischen der Meinung des Autors und dem politischen Kalkül seiner Gesprächspartner zu trennen vermag, mehr Wille zu Regeltreue und Mut zu unkonventionellem Denken.

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