SZ-Serie "Schaffen wir das?", Folge 8:Soll unsere Tochter mal Kopftuch tragen?

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(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Viele Flüchtlinge haben ein neues Leben in Deutschland gefunden - und manche auch eine neue Liebe. Habib und Annika erwarten jetzt ihr erstes Kind. Im Alltag stößt das Paar auf grundsätzliche Fragen.

Von Daniela Gassmann

Wie Annika und Habib Aly miteinander glücklich sein können, erzählt ein Kleidungsstück: Sie heirateten in einer Moschee. Annika trug ein Kleid aus Spitze, das ihr bis übers Schlüsselbein und die Knöchel reichte, darüber eine Strickjacke. Nach der Zeremonie zog sie das Jäckchen aus, und die Gäste pfiffen - weil der runde Ausschnitt ihren ganzen Rücken zeigte. Dann wurde getanzt.

"Ein gutes Sinnbild, der Kompromiss zwischen brav und na ja...", sagt Annika ein halbes Jahr später, da sitzt sie auf dem Ecksofa in ihrem Wohnzimmer. Mit einer Hand zwirbelt sie die Beinhaare ihres Ehemanns, der im Schneidersitz und in kurzen Jeans neben ihr hockt. In der anderen hält sie das Hochzeitsfoto.

Integration in Deutschland

Dieser Text ist Teil der SZ-Integrationsserie "Schaffen wir das?". Alle Folgen der Serie finden Sie hier.

Laut Statistischem Bundesamt waren 2017 sieben Prozent aller Partnerschaften deutsch-ausländisch. Annika und Habib Aly, 30 und 31, sind ein Extremfall: Zwei Monate vor dem Kennenlernen trennen sie noch 3000 Kilometer. Sie wuchs in einem Dorf im Chiemgau auf, besuchte als Kind sonntags die katholische Messe, ihre Onkel sind Pfarrer. Er ist Muslim und kam als Flüchtling aus Damaskus, Syrien.

Habib guckt seine Frau jedes Mal an, wenn er ihren Namen sagt: Anni statt Annika. Sie trägt die Haare zum Dutt, die großen Augen ungeschminkt. Sie lernte Habib 2015 kennen, als sie sich in seiner Unterkunft engagierte. Habib war zwei Monate zuvor nach Deutschland gekommen. An einem Freitag zog er in den Chiemgau - am Dienstag drauf lud er Annika auf einen zuckersüßen Tee ein. Sie wollte ihm den Kontakt zu einer arabischsprachigen Zahnarztpraxis vermitteln. Als sie später verstand, dass er nicht Zahnarzt, sondern Zahntechniker ist, hatten sie längst andere Gründe gefunden, sich zu treffen. Auf Whatsapp-Nachrichten folgten Spaziergänge, auf Backgammon-Abende der erste Kuss.

  • Merkel hat vor drei Jahren gesagt: "Wir schaffen das!" Was ist aus den Flüchtlingen geworden, die seit 2015 geblieben sind? In der Serie "Schaffen wir das?" gibt die SZ jede Woche Antworten.

"Wir haben uns gefühlt, als würden wir was Verbotenes machen", sagt Annika. "Meine Eltern wurden angesprochen: Die Anni war da und da mit einem Syrer unterwegs." Erst als ihre Eltern ihn nach drei Wochen zum Essen einluden, wurde er von "einem Syrer" zu Habib. Bis heute stellen manche Bekannte diese Fragen: Annika, trinkst du wegen Habib nichts? Wann kommt das Kopftuch? Habib, wenn es einen Krieg gibt zwischen Muslimen und Christen, für wen kämpfst du? Aus Angst vor Anfeindungen wollen sie ihre richtigen Namen und Annikas Heimatdorf nicht in der Zeitung lesen.

"Binationale Paare haben oft mit Zuschreibungen zu kämpfen. Syrer, Türken und Iraker gelten sofort als Muslime, egal ob sie sich selbst so definieren", sagt Hiltrud Stöcker-Zafari. Sie ist Geschäftsführerin des Verbands binationaler Familien und Partnerschaften. Die negativen Erwartungen von außen seien eine große Hürde. Die andere: Wenn zwei Lebenswelten aufeinandertreffen, unterscheidet sich oft das Verständnis von Ehe. Die "beliebtesten Streitfragen" seien: "Habe ich eine Person oder eine ganze Familie geheiratet? Ist es okay, wenn die Verwandten aus Übersee nicht eine Woche, sondern drei Monate bei uns wohnen wollen?"

Annika und Habib Aly sehen eher Gemeinsamkeiten: "Glaube und Familie spielen für uns eine große Rolle. Uns verbinden Werte wie Dankbarkeit und Optimismus." Monatelang schrieb Annika an Habibs Mutter auf Whatsapp, arabische Höflichkeitsfloskeln, Grüße an die Familie. Bis heute fragt die Mutter, wer das Abendessen gekocht hat. Gewünschte Antwort: Annika. Die Realität: Meistens Habib.

Binationale Ehen werden etwas häufiger geschieden

Wie viele Beziehungen es zwischen Deutschen und Flüchtlingen gibt, wird nicht statistisch erfasst. "Zahlen zeigen aber, dass Flüchtlinge innerhalb der ersten drei Jahre im Schnitt nur Kontakt zu drei Deutschen haben. Die Chance, dass sie Deutsche heiraten, ist also sehr klein", sagt Mathias Lerch vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung. Er hat sich mit binationalen Ehen beschäftigt: "Die Scheidungsrate ist bei ihnen etwas höher. Bekannte Gründe sind die frühe Heirat, Unterschiede in der Religion, im Bildungsniveau und im Alter. Was man aber noch nicht weiß: Welche Rolle spielen Konflikte, welche Rolle externe Faktoren wie Diskriminierung?"

Nicht viele Flüchtlinge haben wie Habib das Glück, von einem Menschen geliebt und unterstützt zu werden, der sich im neuen Land auskennt. Annika hat für Habib übersetzt und ihn gefahren, wenn er dringend irgendwohin musste. "Durch Annika und ihre Familie hatte ich schnell das Gefühl, ein neues Zuhause zu haben", sagt er. "Ich habe die Kultur kennengelernt und einen Job als Zahntechniker gefunden." Deutsche Kultur, das ist für ihn: Knödel, Spätzle, Dampfnudeln. Dass man gemeinsam den Tisch abräumt, dass Babystillen im Familienkreis okay ist.

Die beiden wollen nicht nach dem Modell "der Flüchtling passt sich an" leben. Sie treffen sich in der Mitte, auch sprachlich. Ein wenig Arabisch konnte Annika, schon bevor sie Habib kennenlernte, aber die meiste Zeit sprechen sie Englisch und Deutsch miteinander. "Wir essen meist syrisch oder palästinensisch, und unser Tagesrhythmus ist auch nicht sehr deutsch." Frühes Aufstehen ist nicht so ihr Ding. Am Wochenende gehen sie oft erst um zwei Uhr ins Bett und beginnen den Tag erst mittags um zwölf. Während ihrer Ausbildung zur Psychotherapeutin wohnte Annika in Habibs Einzimmerwohnung. 26 Quadratmeter, schlafen auf dem Ecksofa. Sie lacht: "Da hat der Flüchtling die arme Deutsche ausgehalten." Wenn das gutgeht, haben sich die beiden gesagt, können wir heiraten.

Habibs Familie verfolgte die Hochzeit am Bildschirm

Binationale Paare heiraten oft früh, um gemeinsam in Deutschland zu leben. "Die Kennenlernzeit wird dann in die Ehe gelegt, der Druck ist hoch", sagt Stöcker-Zafari. "Was, wenn das Paar nach einem Jahr feststellt, dass das jetzt doch nicht das Wahre ist?" Die ersten drei Jahre ist der Aufenthaltstitel an die Ehe gebunden. Das schafft ein Machtverhältnis. Und wenn der ausländische Partner die Sprache nicht kann und keinen Job hat, verstärke das Abhängigkeiten.

Habib wartete zwei Jahre. Auf der Fahrt zu ihren Eltern sah er Annika an, sagte: "Ach, übrigens, mir ging's heute gar nicht gut und ich war beim Arzt. Der hat mir ein Medikament gegeben, das soll ich den Rest meines Lebens nehmen." In seiner Hand lag der Ring. Annikas Familie war davon ausgegangen, dass ihre Tochter irgendwann vom Onkel getraut wird. Dafür hätte Habib aber konvertieren müssen. Also wählte Annika für die Hochzeit die liberale Moschee in Penzberg, 50 Kilometer südlich von München. "Dort saßen zehn Muslime, sonst nur Moscheetouristen", erzählt sie. Habibs Cousin filmte mit dem Smartphone, in Syrien versammelte sich seine Familie um einen kleinen Bildschirm. Und Annikas Onkel bekamen feuchte Augen.

Was er an Annika mag? "Alles", sagt Habib. Darüber lacht sie, weil es natürlich auch Konflikte gibt, oder wie sie es ausdrückt: "Ich bin manchmal schon eine Zicke, und vor allem sehr direkt." Habib ist Harmonie so wichtig, dass er seinen Ärger runterschluckt, bis er sehr groß ist. Das machte das Zusammenleben am Anfang schwierig. Gemeinsam haben sie, dass sie beide Sturköpfe sind, sich aber auch wieder beruhigen und gemeinsam einen Mittelweg finden. Dass zwei sich liebende Menschen ganz anders aufgewachsen sind: Das ist auch eine Chance. Stöcker-Zafari sagt: "Binationale Paare müssen noch mehr als andere über ihre Hoffnungen und Erwartungen kommunizieren. Dabei lernen sie sich selbst unheimlich gut kennen und erweitern ihren Horizont."

Sie wohnen inzwischen in München, und in vier Monaten kommt die Tochter der Alys zur Welt. Im Wohnzimmer liegen schon Kinderbücher, Schneewittchen und andere Märchen auf Arabisch. Was ist mit Traditionen, Sprache, Religion? Gerade diskutieren sie das Thema Kopftuch. "Ich wünsche mir das schon, werde es unserer Tochter aber nicht aufzwingen", sagt Habib. Annika sagt: "Mit 17 oder 18 kann sie sich genauso frei dafür entscheiden wie für einen Irokesen-Haarschnitt. Vorher fände ich es bedenklich."

Stöcker-Zafari sagt, es helfe, mit solchen Entscheidungen auch mal zu warten: "In zehn Jahren steht man vielleicht ganz woanders. Man muss den Weg nicht bis zum Ende kennen, nur die Zuversicht haben: Wir kriegen das hin." Und tatsächlich haben Annika und Habib keine Lösung, nur eine Einigung: Erstens, weiter miteinander sprechen und dann mal schauen. Zweitens, ihre Tochter soll einen Namen bekommen, den es im Arabischen und im Deutschen gibt.

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