Österreichische Literatur:Ein Meister des Echostils

18 8 2014 Walter Kappacher Diskussion und Lesung Festspielfreunde

„Beim Gehen wird alles leicht“: Walter Kappacher, sitzend.

(Foto: imago/Manfred Siebinger)

Mit "Selina oder das andere Leben" und mit "Der Fliegenpalast" wurde Walter Kappacher einem großen Publikum bekannt. Er versteht es, wie man alte Formen fortwährend verjüngt. Am Mittwoch wird er 80 Jahre alt.

Von Lothar Müller

Im jüngsten Buch des Schriftstellers Walter Kappacher beginnt der kleine, gerade sieben Druckseiten umfassende Text mit der Überschrift "Vater" so: "Über meinen Vater weiß ich nicht viel zu sagen: Kaum je hat er etwas über sich erzählt oder überhaupt mit mir geredet." Es kommt dann doch einiges über den Vater zutage, dass er ein "lediges Kind" war, zum Beispiel, und in einer Bürstenfabrik in Salzburg arbeitete, als der Sohn 1938 geboren wurde. Und manches mehr: sein Schweigen, dass er von der Wehrmacht eingezogen wurde und nie auf den Berg stieg, an dessen Fuß er aufgewachsen war.

Es kommt aber zugleich sehr viel über den Sohn zutage, vor allem das Wichtigste, was sich über ihn sagen lässt: dass aus ihm ein Erzähler geworden ist. Wie das kam, lässt sich in diesem schmalen Band nachlesen, vor allem in dem Haupttext "Ich erinnere mich". Er umfasst gut hundert Seiten, ist aber kein langer Text, sondern eine Folge erinnerter Augenblicke. Die im November 1944 wegen der Bombenangriffe auf Salzburg mit der Mutter im Borromäum verbrachten Nächte, die Leidenschaft des Heranwachsenden für das Motorradfahren und seine Stars, die Mechaniker-Lehre, erste Liebschaften und Lektüren, die Jahre als Angestellter in einem Reisebüro, ein intensives Eintauchen in die Literatenwelt von Berlin 1966, bis hinein in die lange Zeit des Übersehenwerdens als Autor. Die sind aber zugleich eine Zeit vieler Begegnungen und mancher Freundschaften, darunter der mit dem Chemiker und Autor Erwin Chargaff und seiner Frau in New York.

Die Erinnerungsschnipsel sind entstanden, bevor Kappacher den Hermann-Lenz-Preis und den Büchner-Preis erhielt und ein wachsendes Publikum fand, mit dem Roman "Selina oder Das andere Leben" (2005) und der Erzählung "Der Fliegenpalast" (2009). Darin kehrt Hugo von Hofmannsthal, gealtert und von einer Unruhe erfasst, die sich zugleich auf sein Werk und seine Existenz bezieht, in das Kurbad Fusch zurück, und Kur und Krise schließen eine seltsame Freundschaft. Und in "Selina", dem Roman mit dem Jean Paul-Titel, nimmt ein Lehrer Urlaub vom Leben, um unweit von Arezzo ein Bauernhaus und sich selbst zu renovieren.

Von Texten über das Gehen und das Schreiben sind die Erinnerungsschnipsel umrahmt. Stehen und Fahren sind bei diesem Autor mit dem Schreiben nicht im Bunde. Was es mit diesem Erzähler auf sich hat, wird in den Passagen über Thomas Bernhard greifbar. Es wäre überraschend, wenn dessen Prosatext "Gehen" Kappacher entgangen wäre. Aber er ist ein Geher von ganz anderer Art, zumal was die Art betrifft, in der sich Schreiben und Gehen ineinander spiegeln. Vor allem ein Satz Kappachers erhellt diesen Unterschied: "Leser wollen: das Wiedererkennen einer Schreibart, eines Stils, z.B. bei Thomas Bernhard - den ich ab Beton nicht mehr las."

Kappacher hat Bernhard die Leserschaft aufgekündigt, "nachdem er in der Zeit Canetti auf höchst schäbige Weise angegriffen hatte". Aber nicht dieser Ärger ist das Entscheidende, sondern dass für den Erzähler Kappacher ein so hochfahrender, sich ständig selbst überbietender Individualstil, wie ihn Thomas Bernhard kultivierte, nicht infrage kam. Er schreibt im Echoraum der Prosa von Kleist, Karl Philipp Moritz, Adalbert Stifter, von fernher auch Kafka. Das waren Erzähler, die, mochten sie noch so kenntlich sein, etwas von der Anonymität alter Erzählerfiguren bewahrten. In Kappachers Stil, etwa im Schlusssatz von "Selina", ist das aufgenommen: "Beim Hineingehen streifte eine Spinnwebe seine Stirn und erinnerte ihn an irgendetwas Vergangenes." Die Alternative zum Individualstil ist der Echostil, die fortwährende Verjüngung alter Formen. An diesem Mittwoch wird Walter Kappacher achtzig Jahre alt. Wir gratulieren.

Walter Kappacher: Ich erinnere mich und andere Prosa. Müry Salzmann Verlag, Salzburg 2018. 184 Seiten, 24 Euro.

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