Brasilien:Bolsonaros furchtbares Vorbild

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Der Favorit im Präsidentschaftswahlkampf befürwortet öffentlich Foltermethoden, nun spricht er von politischen "Säuberungen". Er verherrlicht eine Militärdiktatur, die Brasilien schon einmal an den Rand des Abgrunds brachte.

Von Sebastian Schoepp, München

Als Jair Bolsonaro 2016 zur Urne schritt, um für die Amtsenthebung der linksgerichteten Präsidentin Dilma Rousseff zu votieren, sagte er vor den Abgeordneten: Er widme seine Stimme dem Coronel Alberto Brilhante Ustra. Was damals noch als irre Bemerkung eines zynischen Hinterbänklers abgetan wurde, lässt vielen demokratisch gesinnten Brasilianern heute das Blut in den Adern gefrieren.

Bolsonaro wird am Sonntag wahrscheinlich zum nächsten Präsidenten gewählt, und der, den er da öffentlich lobte, war ein berüchtigter Folterer. Ustras Leute misshandelten während der brasilianischen Militärdiktatur viele Oppositionelle, darunter die spätere Präsidentin Rousseff.

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Diese Diktatur, die fast 20 Jahre dauerte, hat Bolsonaro häufiger als eine Art Leitbild hingestellt. "Ja, ich bin für die Diktatur", hatte er 1993 gesagt. 1999 sagte er einem Interviewer: "Ich bin für die Folter, du weißt das, und das Volk ist es auch." In seiner jetzigen Wahlkampagne drückte er sich nur wenig vorsichtiger aus: Das Ende des bankrotten Systems, das Brasilien jahrzehntelang regiert habe, sei nahe, postete er am 3. Oktober auf Facebook. Erst diese Woche kündigte er "Säuberungen" des Landes von politischen Gegnern an. Kein Zweifel: Dieser Mann plant Grundlegendes.

Während des Militärregimes machte die deutsche Wirtschaft glänzende Geschäfte

Auch die Obristen, die 1964 die Macht in Brasilien an sich rissen, nannten sich "Revolutionäre". Und die Ausgangslage war der heutigen ähnlich. Das Land war in den Jahren zuvor extrem polarisiert zwischen links und rechts. Es regierte der linksorientierte Präsident João Goulart, der auf die Unterstützung der verarmten Massen setzte, aber die Wirtschaftskrise und die Inflation nicht in den Griff bekam.

Die Armee rechtfertigte damals ihren Putsch damit, sie müsse die Ordnung wiederherstellen. Sie konnte sich dabei der Unterstützung breiter Bevölkerungsgruppen, vor allem in Ober- und Mittelschicht, sicher sein. Auch Bolsonaro setzt auf diese Schichten, die im kriminalitätsgeplagten Brasilien nach mano dura, der harten Hand, rufen.

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"Es wird eine Säuberung werden, wie sie in Brasiliens Geschichte noch nie vorgekommen ist", droht der Rechtsextremist, der gute Chancen hat, die Wahl am Sonntag zu gewinnen.

Goulart wurde ins Exil nach Uruguay gezwungen. Anfangs gelobte das Militär, bald die Demokratie wiederherzustellen. Das tat es auf seine Weise auch: 1965 etwa wurden regionale Wahlen abgehalten, doch die Armee entschied, wer kandidieren durfte und wer nicht. Erst nach und nach merkten viele Brasilianer, wem sie da zugejubelt hatten. Die Repression wurde systematischer, die Zensur totalitärer, in den Gefängnissen wurde gefoltert. Prominente Brasilianer wie der Architekt Oscar Niemeyer, Schöpfer der futuristischen Hauptstadt Brasília, der Bossa-Nova-Sänger Chico Buarque sowie der Arzt und Soziologe Josué de Castro gingen ins Exil.

Wer blieb, musste mit Verfolgung und Gefängnis rechnen, wie der Journalist und Politiker Carlos Lacerda - oder die Studentin Dilma Rousseff. Sie und viele andere wurden von Coronel Ustras Leuten gefoltert. Er stand dem berüchtigten Haftzentrum der 2. Armee vor. Die Misshandlung geschah systematisch, Gefolterte erzählten später, wie man sie mit Martergeräten wie Drachenstuhl oder Papageienschaukel quälte, während junge Soldaten sozusagen zu Ausbildungszwecken zuschauten.

Die Weltöffentlichkeit bekam von all dem wenig mit, die Diktatur war zugeknöpft, die Zensur verhinderte eine Berichterstattung. 1975 gelang es einem Newsweek-Reporter, von dem Bürgerkrieg gegen die Guerilla in Amazonien zu berichten, wo 20 000 Soldaten gegen etwa 5000 Rebellen vorgingen, Hunderte Menschen seien gestorben, darunter viele Zivilisten. "Wir haben nichts, aber auch gar nichts zu erklären", sagte ein Militärsprecher dem Reporter. Später rechtfertigten sich die Obristen mit einem typischen Argument der Zeit, sie hätten einen schmutzigen Krieg führen müssen, um ein neues Kuba zu verhindern. Dabei konnten sie sich der Unterstützung durch die USA gewiss sein.

Unter dem deutschstämmigen Junta-Chef Ernesto Geisel gab es sogar eine Art Opposition, die Folter zaghaft anprangern durfte, allerdings wurden ihre Anführer nach Gusto ein- und abgesetzt. Brasilien wurde eine Art Vorbild für andere Diktatoren in Chile, Peru, Argentinien, Uruguay; im Rahmen der Operation "Condor" lieferte man geflüchtete Oppositionelle einander aus. Die Generäle brüsteten sich mit Stabilität, die deutsche Wirtschaft machte glänzende Geschäfte. Als der brasilianische Diktator 1978 zum Staatsbesuch nach Deutschland kam, tit elte die W elt: "Geisel kam mit Super-Aufträgen." Heute setzen große Teile der brasilianischen Wirtschaft auf Jair Bolsonaro.

Doch mit der wirtschaftlichen Kompetenz des Militärs war es nicht so weit her, wie die Generäle glauben machen wollten. Der Versuch, Brasilien mit geliehenem Geld zu industrialisieren, scheiterte. 1981/82 brach Brasiliens Wirtschaft in Folge einer Rezession zusammen, die Auslandsschulden wuchsen auf 100 Milliarden Dollar an, es gab eine Hyperinflation, sogar Hungersnöte. Die Bevölkerung reagierte mit Massendemonstrationen und Streiks. Dabei spielte ein Mann eine zentrale Rolle, dessen Bedeutung die Neue Zürcher Zeitung schon 1979 hervorhob: ein Arbeiterführer namens Luiz Inácio da Silva, genannt Lula, ein Vorbild an Kompromissbereitschaft und weit weg vom Extremismus, wie die NZZ lobte. Ein Vierteljahrhundert später wurde Lula Präsident.

1985 taten die Generäle das, was sie auch in anderen Ländern taten: Sie warfen hin, gewährten sich eine Amnestie, zogen sich zurück in die Kasernen (wo sie noch heute lauern) und übergaben den Parteien ein "zerrüttetes Land", wie die Zeit schrieb. Gemessen daran, war der Aufstieg Brasiliens zur regionalen Führungsmacht in den folgenden Jahren ein kleines Wunder, finanziert durch hohe Rohstoffpreise.

Unter Präsident Lula gab es zaghafte Versuche, die Verbrechen der Diktatur aufzuarbeiten. 2008 stellte eine Wahrheitskommission fest, Coronel Ustra sei ein Folterer gewesen. Doch die Zahl der Opfer ist nur sehr vage ermittelt. Mit dem Ende der linken Ära dürften diese Versuche beendet sein. Lulas Nachfolgerin Rousseff wurde 2016 abgesetzt, Lula sitzt nach einem Korruptionsprozess, der auf Indizien beruhte, im Gefängnis. Wie schon einmal - während der Diktatur.

© SZ vom 24.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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