Bildungspolitik:An bayerischen Schulen mangelt es an Geld, Zeit und Personal

Lehrermangel an Grund- und Mittelschule

Für die individuelle Förderung ihrer Schüler bleibt den Lehrern kaum Zeit. Dabei bräuchten gerade an den Mittelschulen die Kinder und Jugendlichen mehr Aufmerksamkeit.

(Foto: David Ebener/dpa)

Bayern gilt in Deutschland als Bildungsprimus. Doch rosig ist längst nicht alles.

Von Anna Günther

Wenn Studien der Bildungsnation Deutschland mal wieder Probleme wie Lehrermangel oder Stundenausfälle bescheinigen, heißt es aus dem bayerischen Kultusministerium stets: Aber bei uns ist es besser als bei allen anderen. Bildungsprimus Bayern, dieses Bild gefällt der Staatsregierung. Dieses Bild spiegeln Ranglisten tatsächlich regelmäßig wider, Fakt ist, dass weniger Lehrer fehlen als anderswo, weniger Stunden komplett ausfallen, die bayerischen Schüler in Studien oft besser abschneiden. Geht es nach Simone Fleischmann, der Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, ist trotzdem nicht alles rosig in Bayern. Sie versuchte sich am Mittwoch in München an der Entzauberung des "Märchenlands der Bildung" und lud 15 Lehrer, Schulleiter, Förder- und Fachpädagogen sowie Verwaltungsangestellte und Erzieher zum "Realitätscheck".

Fleischmann wollte Kultusminister Bernd Sibler mit seinem Credo "Hinter jeder Zahl steht ein Gesicht" konfrontieren und den Verhandlern von CSU und Freien Wählern, die sich währenddessen im Landtag mit den Themen Bildung und Wissenschaft befassten "Hausaufgaben stellen". "Schule ist mehr als Unterrichtsversorgung", sagte Fleischmann. Sie forderte von der Staatsregierung einen langfristigen Masterplan. Die Details überließ die BLLV-Chefin ihren Gästen. "Leute, die jeden Tag in der Schule sind, zeigen ihr Gesicht und kommen zu Wort." Jubel war also nicht zu erwarten. Die Leidenschaft der 15 klang authentisch, man glaubte ihnen, dass sie ihren Job mögen und wichtig finden. Das "aber" folgte prompt.

Helmut Schmid zum Beispiel, Rektor der Grundschule im unterfränkischen Gerolzhofen, sagte, er sei gerne Chef, weil er die Teamarbeit mit den Kollegen schätze und sehe, wie Kinder im Leben weiterkommen. Zur Verwirklichung der Ideen fehle oft die Zeit. 14 Stunden pro Woche habe er für die Schulleitung, 14 Stunden für Unterricht. Bei drei Schulen, 315 Kindern, 30 Lehrern, zwei Bauprojekten und der anstehenden Beurteilung von Kollegen komme er aber an die "Grenze zur Überlastung". Schmids Münchner Kollege Peter Wummel beklagte, dass er die gezielte Förderung, die viele Mädchen und Buben an seiner Mittelschule im Stadtteil Hasenbergl brauchten, nicht leisten könne. Personal und Stunden fehlten. "Das tut mir im Herzen weh", sagte Wummel. Dreiviertel seiner 475 Schüler haben Migrationshintergrund, in manchen Klassen sind es 95 Prozent. "Wenn jemand ausfällt, habe ich ein Problem. Vertretungen bedeuten Mehrarbeit für die Kollegen, aber ich habe auch ihnen gegenüber eine Fürsorgepflicht", sagte Wummel. Er habe keinen Spielraum mehr.

Den Wunsch nach mehr Zeit äußerten nahezu alle, die Ideen, wie diese Entlastung klappen könnte, waren unterschiedlich: Katharina Wezel, die in Durach an einer Grundschule unterrichtet und im Personalrat des Schulamtes im Kreis Oberallgäu engagiert ist, setzt auf Systembetreuer, die sich um die Technik kümmern. "Der Heterogenität gerecht zu werden ist mir wichtig, ich bin bereit, Zeit für Inklusion, Integration und individuelle Förderung zu investieren, aber nicht für Kabel in der Wand, um das System zum Laufen zu bringen", sagte Wezel. Mit mehr Stunden für Förderlehrer würde zudem die Differenzierung im Unterricht deutlich besser gelingen. Jochen Fischer entschied sich vor 30 Jahren, Förderlehrer zu werden. "Bewusst, um allen Kindern Erfolgserlebnisse zu bringen", sagt Fischer. Dafür entwickle er mit den Klassenlehrern individuelle Pläne. "Ich brauche dafür Kontinuität, um mit den Schülern gezielt arbeiten zu können", sagt Fischer. In letzter Zeit müsse er aber oft als Vertretungslehrer einspringen, "damit fällt die gezielte Förderung aus".

Lösung: Bezahlung und Ausbildung aufwerten

Mehr Praxis, mehr Didaktik und Dozenten, die "Schulerfahrung" haben, fordert Carina Schmidt, die in Passau Grundschullehramt studiert. Zu theorielastig sei das Studium. Diesen Enthusiasmus, mit dem sie ihren Traumjob beschrieb, wünschte sich Kinderpfleger Michael Barnikel auch für seinen Job. Zwar freuten sich Eltern, Kinder und Kollegen jeden Tag, ihn als Erzieher zu sehen, aber an Schnuppertagen in seiner Münchner Krippe wollten "auch Mittelschüler alle Doktor der Psychologie werden", sagte er. Der Beruf des Erziehers sei zu uninteressant. Barnikels Lösung: Bezahlung und Ausbildung aufwerten.

Multiprofessionelle Teams, flexiblere, praktischere Ausbildung, mehr Anerkennung, mehr Zeit - diese Forderungen sind Klassiker, die Pädagogen sind gut gecastet. Ihre Positionen sind auch die des BLLV. Aber die 14 Pädagogen trauten sich, offen Missstände zu kritisieren. Viele Lehrer fürchten dagegen Nachteile, wenn sie Kritik äußern. Um auch für die schweigende Mehrheit die Bedingungen zu verbessern und alle Lehrer "im System" zu motivieren, forderte BLLV-Präsidentin Fleischmann wieder mehr Zeit, flexible Lehrerbildung und attraktive Arbeitsbedingungen. "Die Besten müssen Lehrer und Erzieher werden, wir brauchen die Besten für die Bildung", sagte sie. Der Weg führe auch über gleiche Besoldung aller. Das lehnt die CSU mit Verweis auf das Fachstudium der Real- und Gymnasiallehrer bisher strikt ab.

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