Rüstungsexporte mit Saudi-Arabien:Roter Teppich, rote Linien

Angela Merkel mit dem saudi-arabischen Minister Ibrahim al-Assaf

Angela Merkel mit dem saudi-arabischen Minister Ibrahim al-Assaf beim G-20-Gipfel in Hamburg.

(Foto: Jens Meyer/AP)
  • Die Bundesregierung prüft den Stopp von Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien.
  • Die SPD kritisiert Kanzlerin Merkel dafür, dass erst der Mord am saudischen Journalisten Khashoggi ein Umdenken nach sich gezogen habe.
  • Unklar ist, ob nach Saudi-Arabien gelieferte deutsche Patrouillenboote im Krieg in Jemen benutzt werden.

Von Daniel Brössler und Georg Mascolo, Berlin

In diesen Tagen wird in der Bundesregierung an einer streng vertraulichen Liste gearbeitet. Es geht um Zünder, Raketen, Kriegsschiffe, Panzer und hochmoderne Zielelektronik. Sorgsam wird aufgelistet, was beantragt, bereits genehmigt, aber noch nicht ausgeliefert wurde, was aus Deutschland stammt, aber erst von europäischen Kooperationspartnern verbaut und dann exportiert werden soll. Stets aber geht es um Bestellungen aus einem Land, das lange zu den besten Kunden der deutschen Rüstungsindustrie gehörte: das Königreich Saudi-Arabien.

Jetzt soll mit diesen Geschäften erst einmal Schluss sein, nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi wollen nicht einmal die einst größten Befürworter einfach so weitermachen. Zu ihnen gehört auch die Kanzlerin. "Was Rüstungsexporte anbelangt, kann das nicht stattfinden, in dem Zustand, in dem wir im Augenblick sind", sagte Angela Merkel am Sonntag.

Noch im ersten Halbjahr 2018 wurden für Saudi-Arabien Exporte im Wert von knapp 162 Millionen Euro genehmigt, wie aus dem am Mittwoch im Kabinett vorgelegten Zwischenbericht über die Rüstungsexporte hervorgeht. In den darauf folgenden drei Monaten wurden nach Angaben der Bundesregierung dann noch einmal Güter im Wert von etwa 240 Millionen Euro genehmigt. Unter den "Drittstaaten", die also nicht zu EU oder Nato gehören, zählt das Königreich zu den besten Kunden der deutschen Rüstungsindustrie. Und das, obwohl schon der Koalitionsvertrag den Waffengeschäften mit den Saudis einen Riegel vorschieben sollte. "Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind", steht da. Allen voran ist das Saudi-Arabien.

Das Diktum der Kanzlerin hat also eine Vorgeschichte. "Beschämend" nennt es daher SPD-Vizefraktionschef Rolf Mützenich, dass erst der Mord an Khashoggi Merkel zum Umdenken bewogen habe. Der Streit, ob ausgerechnet Saudi-Arabien von Deutschland bewaffnet werden soll, beschäftigt die Bundesregierung und den geheim tagenden Bundessicherheitsrat tatsächlich schon seit Jahren. Und auch jetzt ist die Lage nicht klar. Die angefertigte Liste ist nur eine Art Generalinventur, doch was folgt aus dem Kanzlerinnen-Wort? Bisher nicht durch den zuständigen Bundessicherheitsrat erteilte Genehmigungen lassen sich schieben. Wo allerdings bereits grünes Licht gegeben wurde, könnte unter Hinweis auf das saudi-arabische Verhalten mit einer veränderten Lage argumentiert und widerrufen werden. So tat es die Bundesregierung schon 2014 als sie wegen der Ukraine-Krise den bereits genehmigten Export eines ganzen Gefechtsübungszentrums nach Russland stoppte. Ohne Risiko ist so etwas nicht und so wird derzeit auch geprüft, ob und wo Schadenersatzforderungen fällig werden könnten.

Zu den brisantesten anstehenden Fragen gehört die weitere Lieferung von insgesamt 48 Patrouillenbooten, die auf der Lürssen-Werft in mecklenburgischen Wolgast gebaut werden. Die ersten wurden bereits ausgeliefert; inzwischen machen allerdings Vorwürfe die Runde, dass Saudi-Arabien diese trotz einer schriftlichen Zusicherung des Königshauses nicht nur zum Küstenschutz, sondern auch bei der Seeblockade des kriegsverwüsteten Jemen nutzt. Dafür gebe es aber, heißt es aus der Bundesregierung, keine Beweise.

Noch ist auch nicht entschieden, ob der Stopp nur kurzfristig sein wird, bis sich die öffentliche Empörung gelegt hat. Der zuständige Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) befürchtet, dass ein deutscher Alleingang nicht viel Sinn ergeben würde: "Es hat keine Folgen positiver Art, wenn nur wir die Exporte nicht weiter durchführen, aber gleichzeitig andere Länder diese Lücke füllen." Zumindest eine europäische Lösung will Altmaier erreichen. Im November soll darüber in der für Rüstungsexporte zuständigen Arbeitsgruppe "Co Arm" der EU gesprochen werden.

Heikel ist die Sache vor allem auch für Außenminister Heiko Maas (SPD). Innerparteilich steht er im Verdacht, die von der SPD durchgesetzte Klausel im Koalitionsvertrag nur halbherzig zu vertreten. Viele in der SPD-Fraktion sahen mit Unbehagen, wie sehr sich Maas vor dem Fall Khashoggi um die Saudis bemühte, die Vorgänger Sigmar Gabriel noch so offen kritisiert hatte. Bei einer Fraktionssitzung vor zwei Wochen hagelte es dann Kritik. Verlangt wurde, die Auslieferung weiterer Patrouillenboote zu verhindern. Das sei da unter anderem mit Hinweis auf rechtliche Probleme noch abgewiegelt worden, sagt der Abgeordnete Florian Post. "Nun", beschwert er sich, "hecheln wir wieder mal der Kanzlerin hinterher."

Dabei war es in der Vergangenheit vor allem Angela Merkel gewesen, die das Hochrüsten der Saudis verteidigte und vorantrieb. Aus Sicht der Kanzlerin ging es dabei nicht einmal, wie Kritiker gern unterstellen, vor allem um deutsche Wirtschaftsinteressen. Sondern um Strategie: 2011 hatte Merkel in einer Rede in Hamburg gesagt, es reiche nicht, "an andere Länder Worte der Ermutigung zu richten". Man müsse Staaten, die sich in ihrer Region engagieren wollten, auch dazu ertüchtigen. In Regierungskreisen machte das Wort von der "Merkel-Doktrin" die Runde. Der alte deutsche Grundsatz, keine Waffen in Spannungsgebiete zu liefern, galt nicht mehr.

Der BND warnte, der Kronprinz habe einen übertriebenen, ja gefährlichen Ehrgeiz

Gerade Saudi-Arabien wurde im Kanzleramt als einer der letzten verlässlichen Partner in der Region geschätzt, ein Verbündeter etwa im Kampf gegen die Terroristen des IS. Merkel fürchtete, jeden Einfluss auf die Saudis zu verlieren, wenn man die immer drängender werdenden Bitten um Waffen ignoriere. Zudem ließ das Königshaus ungeniert durchblicken, dass eine Weigerung auch zu Zurückhaltung bei allen anderen Geschäften führen könnte. So rückte das Land etwa im Jahr 2012 zum wichtigsten Empfänger deutscher Rüstungsgüter auf: Exportwert 1,2 Milliarden Euro. Auch vorher schon blühten die Geschäfte, sogar eine ganze Fabrik für den Bau von Gewehren wurde 2008 genehmigt. Der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der die Sache wie Merkel sah, stimmte zu.

Aber in keinem anderen Bereich der Rüstungsexporte kam es in der Bundesregierung in den vergangenen Jahren auch zu so harten Konflikten: Saudi-Arabien marschierte in Bahrain ein, bombte im bettelarmen Jemen und verurteilte den Blogger Raif Badawi wegen Beleidigung des Islam zu zehn Jahren Haft und tausend Peitschenhieben. 2016 kritisierte der BND öffentlich die "impulsive Interventionspolitik" der Saudis und warnte vor allem vor dem neuen starken Mann des Hauses Saud: Kronprinz Mohammed bin Salman habe einen übertriebenen, ja gefährlichen Ehrgeiz. Das Königshaus schäumte und drohte damit, Investitionen abzuziehen. Der BND wurde von der Bundesregierung öffentlich gemaßregelt. Intern wurde es noch gröber: Ein Nachrichtendienst sei keine Nachrichtenagentur, wurde dem damaligen BND-Chef Gerhard Schindler erklärt. Künftig solle sein Laden die Klappe halten.

Auch im Bundessicherheitsrat wurden die Konflikte härter: Die CDU-Minister plädierten meist für weitere Lieferungen, die SPD-geführten Häuser meist dagegen. Die Befürworter argumentierten, der Partner sei zwar schwierig, aber in der Region dürfe man nicht zu wählerisch sein. Die Gegner warnten, solche kalte Realpolitik habe zum Chaos in der arabischen Welt beigetragen. Merkel und Gabriel wollten keinen offenen Konflikt. So wurde einfach gar nicht abgestimmt, die Entscheidungen meist verschoben. Konsequent aber war diese Linie nie. Trotz des Jemen-Krieges wurden erste Boote aus Wolgast ausgeliefert, Merkel und Gabriel bekamen eine Kopie des saudischen Ehrenwortes: Die Boote würden nur vor der eigenen Küste eingesetzt und nicht zur Seeblockade.

Sicher scheint nur zu sein, dass die alten Höchststände in der Bilanz nicht mehr erreicht werden. In Berlin geht man schon länger davon aus, dass die Saudis noch mehr bei ihrem Freund Donald Trump einkaufen werden. Der scheint - bisher - entschlossen zu sein, weiter zu liefern.

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