Subkultur:"Wir arbeiten mit Sachen, die sonst keiner will"

Subkultur: Sammelsurium: Zwischen Containern, Bahn-Waggons und Fundstücken finden im Bahnwärter Künstler wie Huey Colbinger ihr Publikum.

Sammelsurium: Zwischen Containern, Bahn-Waggons und Fundstücken finden im Bahnwärter Künstler wie Huey Colbinger ihr Publikum.

(Foto: Marius Loch)

Mit spektakulären Projekten wie dem Bahnwärter Thiel und der Alten Utting belebt Daniel Hahn die Münchner Subkultur. Doch das wird ihm nicht immer leicht gemacht.

Von Michael Zirnstein

Daniel Hahn wandert gerade auf Kreta, um bei 20 Grad und Niesel den Sommer nachzuholen. Von der Saharasonne in Deutschland hatte er nicht viel. Das anhaltende Schönwetter trieb die Münchner in Scharen zur Alten Utting, seinem nach sich eineinhalb Jahre lang hinschleppender Bauzeit endlich eröffneten Ammerseedampfer auf der alten Lagerhausbrücke in Sendling.

Statt erst einmal wie geplant im Probebetrieb loszulegen, wurde sein Paradeprojekt von Neugierigen überrannt. Hahn und sein Team kamen kaum hinterher, Personal aufzutreiben und alle anbrandenden Probleme zu beseitigen. Von denen bekamen die Gäste kaum etwas mit. Die wunderten sich nur, was hier aus dieser verrückten Idee rund um das "Partyschiff", als dass es irrtümlicherweise bezeichnet wird, entstanden ist: ein riesiger Biergarten, ein Bord-Restaurant, das Kulturprogramm mit Jazzkonzerten im Maschinenraum und Lesungen im Hecksalon, und Sicherheitsaufbauten, "als wäre es für die nächsten hundert Jahre errichtet", wie Hahn schnaufend sagt. Dabei kalkuliert er längst den Rückbau ein. Der Mietvertrag fürs Gelände läuft in drei Jahren aus. Freilich hofft er auf eine Verlängerung für die neue Sehenswürdigkeit der Stadt.

Subkultur: Land in Sicht? Der 28 Jahre alte Daniel Hahn sucht nach einem festen Standort in München, an dem er und sein Team ihre Ideen für die Kultur der Stadt umsetzen können.

Land in Sicht? Der 28 Jahre alte Daniel Hahn sucht nach einem festen Standort in München, an dem er und sein Team ihre Ideen für die Kultur der Stadt umsetzen können.

(Foto: Robert Haas)

Dann gab es noch die zweite, größere Baustelle: den Bahnwärter Thiel, den es im Nordteil des alten Viehhofs einzurichten galt. Den Plan, die dort stillgelegten Gleise mit etlichen Waggons als Kultur-Stationen zu bestücken, hatte Daniel Hahn wegen der hohen Transportkosten zwar verworfen und längst wieder die See-Container des Vorläuferprojekts aufgetürmt. Aber als ihm zwei ausrangierte U-Bahn-Wagen aus dem nahen Freimann angeboten wurden, konnte der 28 Jahre alte Nahverkehrsmittel-Sammler nicht widerstehen. Das Subkulturzentrum sei nun zu 50 Prozent fertig, bis zum Frühjahr will er die volle Größe erreichen: Mit Atelier- und Arbeitsräumen für freie Kulturschaffende soll der Thiel dann eine Plattform sein, auf der möglichst viele kreative Menschen ihre Leidenschaft ausleben und teilen.

Das Herzstück arbeitet bereits auf Volldampf: Im dreieckigen ehemaligen Pavillon des Lenbach-Kunstbaus als zentraler Spielstätte läuft ein lässiges Subkulturprogramm, wie man es nun drei Tage lang von früh bis spät zur Feier des dritten Bahnwärter-Geburtstags erleben kann: Es startet mit einer Clubnacht mit DJs wie Pauli Pocket aus Berlin und Faulchen Fähnther vom verschwisterten Kulturverein Wannda an diesem Freitag, bietet Kurse für Luftakrobatik und Sound-Programmieren, Bands wie Di farykte Kapelle und eine Feuershow am Samstag, und endet am Sonntag mit Kinderprogramm, Zauberern, Live-Musik und einem Theaterabend des Schauspielers Tom von der Isar zum Thema "Der Monolog, das Bewerbungsgespräch der Schauspielerei". Der Bahnwärter - das Überraschungs-Ei der Münchner Kultur. Daniel Hahn und sein Team laden zum ersten Mal zu einer Geburtstagsfeier für ihr Lieblingskind. Die unsteten Jahre zuvor mit Auf- und Abbau, Hin- und Hergeschiebe, wussten sie einfach nicht, ob es durchhält, nun haben sie wenigstens bis 2022 ihren Platz auf dem Viehhof.

"Mit dem Geld und der Energie hätte man in Leipzig ein ganzes Viertel sanieren können"

"Wir sind jetzt Arbeitgeber, haben Auszubildende, wir können Zukunftsperspektiven geben", sagt Hahn wie ein stolzer Papa, der sich allerdings schon wieder sorgt. "Bleibt der Bahnwärter ein Jugendsehnsuchtsprojekt, oder wird er eine feste Institution? Wir können ja nicht die nächsten 30 Jahre immer wieder umziehen." Mit "Sehnsucht" schielen sie als frei finanzierte Kulturmacher zum Kreativquartier an der Dachauer Straße, wo die Stadt für die Künstler mit Strom, Wasser und Raum sorgt - um all das hat sich Hahns Truppe hier selbst gekümmert. "Die beste Kulturförderung ist, Infrastruktur zu geben", mahnt Hahn, "unser Wunsch wäre es, hier keine Miete zu bezahlen, das könnten wir dann an die Künstler weitergeben."

Für ihr "Nischenprogramm" müssen die Bahnwärter sehr unternehmerisch agieren, Hunderttausende Euro mussten sie in Schwertransporte und Bauarbeiten investieren. "Mit dem Geld und der Energie hätte man in Leipzig ein ganzes Viertel sanieren können", sagt Hahn. Er hat nicht vor, die Stadt, in der er verwurzelt ist, zu verlassen. Im Gegenteil, er sucht weiter nach Standorten, von Programmmachern seien sie eher zu Kultur-Objekt-Entwicklern geworden, sagt er. Das ist die eigentliche Herausforderung: "Wir laufen mit offenen Augen durch die Stadt, schreiben Konzepte und bewerben uns - wir arbeiten mit Sachen, die sonst keiner will. Wir wollen aber einen festen Ort. Wir wollen Beständigkeit."

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