Gebrauchtwaren:Im "Oma-Kaufhaus" geht es um mehr als den schnöden Verkauf

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Elke Hanfstaengl (li.) und Heidelore Freyberger sehen ihren Laden in der Theresienstraße auch als Anlaufstelle für Senioren. (Foto: Robert Haas)

Den Frauen des Trägervereins "Freie Selbsthilfe" geht es seit 70 Jahren vor allem um einen sozialen Zweck. Neumodische Technik sucht man vergeblich.

Von Franziska Gerlach

Auf den ersten Blick ist auf dem Aquarell alles wie immer. Ein weiß-blau-er Himmel überspannt die Stadt, auf der linken Seite sieht man die Feldherrnhalle, rechts davon erhebt sich die Theatinerkirche. Doch halt: Was sind das für Frauen, die strammen Schrittes schwere Taschen in Richtung eines Zirkuswagens tragen? Und überhaupt: Was hat ein Zirkuswagen auf dem Odeonsplatz verloren?

Das Bild zeigt eine Szene von 1948, drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Und damals, als der Verein "Freie Selbsthilfe" im Oktober vor 70 Jahren gegründet wurde und die Geschichte von Münchens ältestem Secondhand-Laden ihren Anfang nahm, war doch einiges anders. Die Amerikaner hielten München besetzt, nicht nur Lebensmittel waren knapp, eigentlich gab es von allem zu wenig. "Der Zirkuswagen ist allerdings sehr klein geraten", sagt Elke Hanfstaengl, Geschäftsführerin des Vereins Freie Selbsthilfe. Der müsse größer gewesen sein, sei ja schließlich ein richtiger Laden gewesen.

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Und die ganzen Mäntel und Schuhe, die hübsche Tischwäsche, das Tafelsilber, der Schmuck und das Porzellan, von den Münchnerinnen und Amerikanerinnen mit den eleganten schwarzen Hüten taschenweise zum Verkauf in den Wagen geschleppt, hätten sicher einigen Platz beansprucht. Münchnerinnen und Frauen der amerikanischen Besatzer waren auf die Idee mit dem Gebrauchtwarenkaufhaus gekommen - zu einer Zeit, als "Vintage" und "Secondhand" ferne, fremde Worte waren, und es unter Elftklässlerinnen noch nicht als hipp galt, den eigenen Kleiderschrank mit Collegejacken oder Hot Pants aufzupeppen, die mehr Jahre auf dem Buckel haben als die eigenen Eltern.

In der Freien Selbsthilfe, deren Räume sich heute in einem Hinterhof an der Theresienstraße befinden, geht es um mehr als Mode und schnöden Verkauf. Das "Oma-Kaufhaus", wie sich der Verein auch nennt, hat soziale Aufgaben zu erfüllen: Nicht nur, weil hier etwa 20 Damen im Alter von 70 bis 90 Jahren ehrenamtlich im Verkauf arbeiten, die Annahme der Ware oder die Buchhaltung erledigen. Sondern weil es etliche Münchner gibt, für die ein Besuch in der Freien Selbsthilfe regelmäßig einen Ausbruch aus der Einsamkeit bedeutet. Die sicher auch ein wenig durch den Laden stöbern, das schon, vielleicht sogar den warmen Lammfellmantel anprobieren, das Blumenstillleben begutachten oder die afrikanische Holzmaske. Die aber vor allem zum Reden kommen. Damals wie heute.

Die Übersicht der Gründungsmitglieder listet die Namen von Münchens damaligem Oberbürgermeister Karl Scharnagl, Professor Max Unold vom Landesverband Bildender Künstler und - nicht zu vergessen - der Schirmherrin, Prinzessin Pilar von Bayern, die Tochter des bayerischen Prinzen Ludwig Ferdinand. Auf so viel Aristokratie in den eigenen Reihen ist man freilich stolz, überhaupt engagieren sich - früher noch mehr als heute - viele Damen aus der gehobenen Mittelschicht und Adelskreisen für den Verein. Sinn und Zweck dieses ungewöhnlichen Ladens aber war ein ganz praktischer in den Nachkriegsjahren, als Kartoffeln wichtiger waren als die Silbergabel, mit der man sie aufspießte. Getauscht wurde hier zwar nie, aber die Menschen hatten in München einen Ort, an dem sie ihr Hab und Gut ohne Risiko verkaufen konnten. "Damit die Händler die Leute nicht übers Ohr hauten", wie Brigitte von Zeddelmann, 84, gerade erzählt, eine Frau mit wachen grünen Augen.

Das Engagement hält die Damen fit

70 Jahre später sitzt Zeddelmann mit Geschäftsführerin Hanfstaengl und Heidelore Freyberger, 76, der Vereinsvorsitzenden, im Büro der Freien Selbsthilfe. Kein Laptop, kein Smartphone, das einzige technische Gerät ist ein Taschenrechner. Zeit ist ganz offensichtlich eine relative Größe in der Freien Selbsthilfe. Schwer wie der Teppich auf dem Boden des Ladens liegt die Vergangenheit hier über den - erfreulicherweise erschwinglichen - Kostbarkeiten wie den Teetassen aus der Porzellan-Manufaktur Meissen, den mundgeblasenen Römern, dem Jugendstilspiegel oder einem schicken Cocktailkleid.

Doch zählte der Verein in der Anfangszeit bis zu 60 Mitglieder, ist es heute nur noch ein Drittel. Es fehlt an Nachwuchs. Überhaupt machen die Frauen kein Geheimnis daraus, dass die Geschäfte schon einmal besser liefen - und man gerne ein wenig bekannter wäre in der Stadt. Das Internet ist zu einer Konkurrenz geworden, in den vergangenen Jahren sind in München viele neue Secondhand-Läden dazu gekommen, die in den sozialen Medien einen ordentlichen Werberummel für ihr Angebot veranstaltet haben. Computer in der Freien Selbsthilfe? Daraus werde wohl nichts mehr, sagt Freyberger. Man erledige nach wie vor alles per Hand.

Der Verein muss gut rechnen, damit sich der Laden trägt. Die Einnahmen fließen in Kosten für Miete, Strom oder das Telefon. Kostenloser Kaffee für die Damen ist nicht mehr drin, sie müssen ihn sich mittlerweile selbst mitbringen. Zeddelmann kommt dennoch gerne her. Die Aufgabe in der Freien Selbsthilfe strukturiert ihren Alltag. In der Früh aufstehen, sich zurecht machen, in die Theresienstraße fahren. Das alles hält ja auch fit.

© SZ vom 26.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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