Sozialarbeit:Kümmerin, Kämpferin, Kulturvermittlerin

Wenige Menschen haben sich für die Rechte von Sinti und Roma so engagiert wie Sozialarbeiterin Uta Horstmann. Sie berichtet von ihren Erfahrungen.

Von Maximilian Gerl

Als Uta Horstmann auf einem Wohnwagenplatz im Münchner Norden anfängt, weiß sie nichts von den geschätzt 500 000 Toten in Europa. Nichts von der Kultur, dem Leben, den Problemen. Und sie ahnt nicht, dass ihr Bemühen, Sinti und Roma zu gesellschaftlicher Anerkennung zu verhelfen, ihre Berufung werden wird, weit über den Beruf hinaus. So erzählt es Horstmann heute, mehr als 40 Jahre später. "Ich bin einfach dort gesessen und habe gewartet, bis sich mir jemand anvertraut."

Noch immer vertrauen sich Menschen Horstmann an, genauer: vertrauen ihr. Die 68-Jährige ist Kümmerin, Kämpferin, Kulturvermittlerin. Sie hat sich für die Rechte der Sinti und Roma eingesetzt wie kaum jemand in Bayern, sei es als Sozialarbeiterin des Stadtjugendamts in München oder privat; sie machte sogar einen Hungerstreik auf dem Gelände des ehemaligen KZ Dachau mit. 2017 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz am Bande. Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, sagte, sie alle seien Horstmann zu Dank verpflichtet. Sie habe gezeigt, dass die Kluft zwischen Sinti und Roma auf der einen und der übrigen Bevölkerung auf der anderen Seite überwunden werden könne.

Ihr Einstieg in den Siebzigerjahren, sagt Horstmann, sei mühsam gewesen. Damals gibt es kaum Literatur über Sinti und Roma, was es gibt, stammt von Nazis. Von Leuten, die kein Problem damit hatten, Menschen ins Gas zu schicken. "Ich habe den Holocaust nur mit den Juden verbunden", sagt Horstmann. Vorurteile, Unwissenheit, Ignoranz beherrschen die öffentlichen Debatten. Sinti und Roma, die den Holocaust überlebt haben, stellen Anträge auf Wiedergutmachung. In der Regel kommen die ergebnislos zurück, Tenor der Begründung laut Horstmann: selbst schuld.

Bald lernt sie den Aktivisten Rose kennen. Das erleichtert ihr den Zugang zur abgeschottet lebenden Sinti-und-Roma-Gemeinde - so beschreibt sie es. Als Rose im Frühjahr 1980 zu einem Hungerstreik aufruft, ist es für sie selbstverständlich, ihn dabei zu unterstützen. Sie nimmt sich sogar Urlaub, um nicht in Konflikt mit ihrem Arbeitgeber zu geraten. Die evangelisch-lutherische Kirche stellt Räume in der Dachauer Versöhnungskirche zur Verfügung, sie steht auf dem Gelände des früheren Konzentrationslagers. Unter den Hungerstreikenden sind auch drei Sinti und Roma, die in Auschwitz gefangen gehalten wurden.

Ehemalige KZ-Häftlinge auf ehemaligem KZ-Gelände, hungernd, Rechte einfordernd - die Aufmerksamkeit ist groß. Erstmals wird die Öffentlichkeit zum Hinsehen gezwungen. Nach acht Tagen endet der Streik. Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel fährt persönlich nach Dachau und sichert Unterstützung zu. Als 1982 der Zentralrat entsteht, werden seine Vertreter von Kanzler Helmut Schmidt empfangen. Deutschland erkennt den Völkermord an den Sinti und Roma an. Ein Erfolg für die Bürgerrechtler, eine Genugtuung für Überlebende und Angehörige.

Der Hungerstreik habe ein Umdenken in Bewegung gesetzt, sagt Horstmann. "Die Mehrheitsgesellschaft heute weiß so viel mehr, kann so viel mehr einordnen." Als Rose vor zwei Jahren seinen 70. Geburtstag feierte, habe sogar die Kanzlerin vorbeigeschaut. "Früher wäre so etwas undenkbar gewesen." Bei allem Fortschritt, bei aller Differenzierung seien jedoch viele Vorurteile von einst immer noch präsent; fahrendes Volk, arbeitsscheu, begnadete Geiger, solche Dinge. Junge Menschen sähen sich immer noch gezwungen, ihre Herkunft zu verheimlichen, aus Angst, den Job zu verlieren. Das einzige, was helfe, sagt Horstmann: "Aufklärung!"

2015 ging sie in den Ruhestand, als Sozialarbeiterin, als Bürgerrechtlerin ist sie weiter aktiv. Sie unterrichtet an der Volkshochschule und tritt bei Veranstaltungen öffentlich auf, diesen Samstag zum Beispiel in der Stadtakademie. Horstmann wird dann erzählen, wie es war: als sie nichts ahnend auf einem Wohnwagenplatz anfing.

Der lange Schatten des Völkermords an Sinti und Roma: Heimkindheit der Nachkriegsjahre bis 1975. Samstag, 27. Oktober, Stadtakademie München, Herzog-Wilhelm-Straße 24, 11-15 Uhr

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