Landtagswahl in Hessen:Bouffier kümmert sich, Schäfer-Gümbel kämpft, Al-Wazir zeigt Stärke

Landtagswahl in Hessen: Tarek Al-Wazir, Thorsten Schaefer-Gümbel und Ministerpräsident Volker Bouffier auf hessischen Wahlplakaten

Tarek Al-Wazir, Thorsten Schaefer-Gümbel und Ministerpräsident Volker Bouffier auf hessischen Wahlplakaten

(Foto: AP)

CDU, SPD oder Grüne - wer nach der Landtagswahl in Hessen den Ministerpräsidenten stellt, ist völlig offen. Den Endspurt im Wahlkampf gestalten die Kandidaten sehr unterschiedlich. Eindrücke von vor Ort.

Von Detlef Esslinger und Susanne Höll, Wiesbaden

Eine alte Wahlkampfregel lautet: Wer am letzten Tag am längsten kämpft, der gewinnt. Nicht, weil Wahlkämpfer abergläubisch wären oder weil Wähler gar registrierten, wer am längsten unterwegs ist. Sondern, weil sich in der Ausdauer so vieles spiegelt: Antrieb, Resonanz, Stimmung.

Also, wer kämpft am längsten vor der Landtagswahl an diesem Sonntag in Hessen?

Samstagnachmittag, kurz vor 16 Uhr. Thorsten Schäfer-Gümbel, der Spitzenkandidat der SPD, steigt in Wiesbaden aus seinem Wahlkampfbus, er hält jetzt gleich seine Abschlussrede. Die CDU und die Grünen hatten ihre Abschlusskundgebung schon am Donnerstag, die SPD hat sie jetzt. Erstens: "Wir kämpfen, solange es irgendwie geht", sagt Schäfer-Gümbel. Zweitens: Er hat mit Bedacht diesen Platz gewählt. "Knockin' on Hessens door" hieß es am Freitagabend in der "heute-Show" in dem nicht ganz so platten Teil der Sendung, und Schäfer-Gümbels Bus parkt jetzt quer vor Hessens door, nämlich dem Haupteingang der Staatskanzlei; auf dem Platz dahinter warten ein paar hundert Anhänger auf ihn.

In den Umfragen liegt er etwa acht Prozentpunkte hinter der CDU. Aber je nachdem, wie sich die Dinge sortieren, könnte er trotzdem Ministerpräsident werden - in einem Dreierbündnis entweder mit den Grünen und der FDP, oder mit den Grünen und der Linken. Also, was bekommt man, wenn man an diesem Sonntag SPD wählt? Schäfer-Gümbel sagt seinen Zuhörern: "Ich bin jetzt in diesem Wahlkampf 1500 Mal nach Koalitionen gefragt worden. Aber diese Frage kann ich erst beantworten, wenn ich weiß, wie es ausgeht."

Früher wäre eine solche Antwort einem Politiker immer als Rumlavieren, als Taktieren ausgelegt worden. Nach dem Motto: Natürlich würde X garantiert mit Partei Y koalieren, aber er gibt es halt nicht zu. Heute darf man einem Politiker diese Antwort abnehmen: Die jeweiligen Anhänger sind längst zu lagerübergreifenden Koalitionen bereit; also schaut zunächst jeder zu, dass man so stark wie möglich wird, und dann redet man miteinander, unter Demokraten. Außer, dass die CDU nichts mit der Linken macht und niemand etwas mit der AfD, ist vieles denkbar und möglich.

Duell Schäfer-Gümbel gegen Bouffier

Um die Mittagszeit dieses Samstags hatte es noch ein kleines Duell von zwei Spitzenkandidaten gegeben, zwischen Schäfer-Gümbel und dem CDU-Ministerpräsidenten Volker Bouffier; in der Fußgängerzone von Gießen. Na ja, was heißt Duell. Schäfer-Gümbel steht auf einem Podest und hält eine Rede, was mit ihm alles besser werden soll, um ihn herum fröhlich klatschende Anhänger. Die CDU hingegen, ein paar Meter weiter, hat sich für die Infostand-Variante entschieden. Zwischen einem Kaffee- und einem Modeladen weht ihre orangefarbene Fahne, Helfer in blauem Fleece verteilen Kulis und Broschüren, der Andrang hält sich in Grenzen, und irgendwann kommt Bouffier im dunklen, schweren Mantel hinzu.

Er ist in Gießen geboren und hat immer hier gelebt. Sein Großvater war Mitbegründer der CDU hier. Erst redet ein älterer Mann auf ihn ein. Seine Wohnung wird vom Amt bezahlt, nun soll er ausziehen, das Amt sage, die Räume seien zu groß für ihn allein. Bouffier verspricht, sich darum zu kümmern. Dann schüttelt eine junge Frau dem Ministerpräsidenten die Hand und wünscht ihm Glück. Sehr freundlich, wird aber wohl keine Stimme bringen: Der Akzent der Frau klingt ziemlich französisch. Kann man, soll man auf diese Art einen Wahlkampfabschluss begehen? Ist das Siegesgewissheit, Nonchalance oder Panne? Absicht, sagt Manfred Pentz. Er ist der Generalsekretär der Hessen-CDU, also verantwortlich für die Kampagne. Pentz sagt: "Wir machen jetzt Straßen- und Haustürwahlkampf." Der wird in den allerletzten Stunden aber ohne seinen Spitzenkandidaten stattfinden. Bouffier ist schwer erkältet, daher auch so blass, lutscht Kräuterbonbons und geht zeitig nach Hause, um sich ein wenig auszukurieren vor dem Wahltag. Am Sonntag bettlägerig sein? Sollte man als Spitzenkandidat vermeiden.

Das besonders Eigenartige an diesem Wahlkampf ist, dass er mit zwei Spitzenkandidaten begann, den beiden üblichen, einem von der CDU, einem von der SPD. Aber dann legten die Grünen in allen Umfragen zu, dann erzielten sie in Bayern 17,5 Prozent, worauf sie in den Umfragen nochmals zulegten und jetzt gleichstark mit der SPD gehandelt werden. Es ist also nicht völlig ausgeschlossen, dass der Ministerpräsident am Ende Tarek Al-Wazir heißt, der Mann, der laut Umfragen sowieso schon der beliebteste Politiker in Hessen ist.

Al-Wazir stellt seinem Publikum eine unangenehme Frage

Al-Wazir steht am Samstagmittag auf dem Luisenplatz in Darmstadt, er hält eine Rede am Infostand, und an ihm lässt sich schön beobachten, was der Unterschied ist zwischen einem Wahlkämpfer, für den 20 Prozent in den Umfragen nur der nächste Schlag in die Magengrube bedeuten (wie bei der SPD) - oder einem, für den das ein sagenhafter Rekord wäre. Bouffier muss zur selben Zeit in Gießen dem Mann gut zureden, der um seine Wohnung fürchtet. Schäfer-Gümbel wird gleich in Wiesbaden mitfühlend die Geschichte eines 62-jährigen Leiharbeiters erzählen, der mit 1100 Euro netto Familie, Miete, Auto finanzieren muss und nun all seine Hoffnungen in die SPD setzt. (Sagt Schäfer-Gümbel zumindest).

Und Tarek Al-Wazir? Er kann es sich leisten, seinem Publikum etwas zuzumuten. Eine Frau beklagt sich wegen des Lärms der startenden Flugzeuge in Frankfurt, sie könne daheim im Garten gar keine Gespräche mehr führen. Al-Wazir, Verkehrsminister seit knapp fünf Jahren, antwortet zunächst mit einem Vortrag, wie er für Lärmpausen, Lärmobergrenzen und leisere Flugzeuge kämpft. Dann aber fragt er in die Runde, wer sitze denn in all den Flugzeugen, die diesen Lärm machen? Man ahnt die Antwort, Al-Wazir schiebt sie gleich nach: Keine Inder, die in Frankfurt umstiegen, sondern Menschen aus der Region. Es fliegt ja heute jeder mit der größten Selbstverständlichkeit. Guter Gedanke, auf jeden Fall.

Aber: Muss man sich leisten können, einen Tag vor einer Wahl.

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