Präsidentschaftswahl:Bolsonaros Sieg stellt die Zukunft der brasilianischen Demokratie in Frage

Wahlen in Brasilien

Jair Bolsonaro begann seine Präsidentschaft in Brasilien mit einer Kampfansage: "Jetzt wird nicht weiter mit dem Sozialismus, dem Kommunismus, dem Populismus und dem Linksextremismus geflirtet."

(Foto: Ricardo Moraes/dpa)
  • Der ultrarechte Jair Bolsonaro hat mit komfortablem Vorsprung die Stichwahl in Brasilien gewonnen und ist neuer Präsident des Landes.
  • Seine Wahl stellt die Zukunft der fünftgrößten Demokratie der Welt in Frage.
  • Die Gründe für den extremen Rechtsruck Brasiliens sind vielfältig - dazu beigetragen hat auch der unheimliche Einfluss der evangelikalen Kirchen.

Analyse von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Früher war es so: Wenn an den berühmten Stränden von Rio Zehntausende in gelben Fußballtrikots jubelten, wenn die Nationalhymne angestimmt wurde, wenn Böller krachten und Autos die Promenaden verstopften, dann war Brasilien mal wieder Weltmeister geworden. Das neue Brasilien feiert genauso - weil ein Rechtsextremer die Präsidentschaftswahl gewonnen hat.

Der ehemalige Hauptmann der Armee Jair Messias Bolsonaro, 63, bekam bei der Stichwahl am Sonntag etwa 55 Prozent der gültigen Stimmen. Damit lag er deutlich vor seinem Gegenkandidaten Fernando Haddad, 55, von der linken Arbeiterpartei PT. Das Ergebnis markiert eine Zäsur für die fünftgrößte Demokratie der Welt, denn ihre Zukunft steht nun mehr denn je in Frage. Dabei ist sie überhaupt erst 33 Jahre alt.

Bolsonaro legte zwar in seiner Siegesrede einen "Schwur vor Gott" ab, dass seine Regierung die Verfassung, die Freiheit und die Demokratie schützen werde. Nahezu alles, was er in seinen 28 Jahren als Berufspolitiker öffentlich gesagt hat, lässt aber erahnen, dass dieses Bekenntnis nicht von Herzen kommt - abgesehen vom Gottesschwur. Man kann Bücher füllen mit den antidemokratischen, rassistischen, frauenfeindlichen, homophoben und gewaltverherrlichenden Sätzen des nächsten brasilianischen Staatsoberhaupts.

Historische Niederlage für Brasiliens Arbeiterpartei

Eine Zäsur markiert dieses Ergebnis aber auch für die größte Linkspartei Lateinamerikas. Die PT hatte seit 2002 alle Präsidentschaftswahlen in Brasilien gewonnen, diesmal erlitt sie eine historische Niederlage. Nach der Amtsenthebung der eigentlich bis zum Ende dieses Jahres gewählten PT-Präsidentin Dilma Rousseff und der Verhaftung des Parteigründers Lula da Silva ist es im Grunde schon die dritte schwere Niederlage hintereinander. Aber es ist die erste, die der PT vom Wahlvolk zugefügt wurde. Es ist die schmerzlichste von allen.

Die Gründe für diesen extremen Rechtsruck Brasiliens sind vielfältig. Sie reichen von einer bestens orchestrierten Lügenkampagne in den sozialen Netzwerken über den unheimlichen Einfluss der evangelikalen Kirchen, die den Katholiken Bolsonaro unter anderem wegen seines Kreuzzuges gegen die Abtreibung und die Homo-Ehe unterstützten.

Aber der Sieg dieses bis vor Kurzem noch als skurriler Spinner geltenden parlamentarischen Hinterbänklers ohne jede Parteistruktur wäre nicht möglich gewesen ohne eine mehrheitsfähige Anti-PT-Stimmung im Land. Ein großer Teil der Wähler hat am Sonntag nicht für Bolsonaro, sondern gegen die Arbeiterpartei gestimmt. Sie gilt als Hauptschuldige an allem Übel im Land, an der Wirtschaftskrise und vor allem an der systematischen Korruption - obwohl sie seit dem Sturz Rousseffs vor gut zwei Jahren gar nicht mehr regierte.

Bolsonaro hatte bereits den ersten Wahlgang Anfang Oktober mit komfortablem Vorsprung vor Fernando Haddad gewonnen. Aber in den vergangenen Tagen war der Abstand in den Umfragen eingeschmolzen. Die PT und mit ihr viele besorgte Demokraten aus anderen Parteien hatten an eine Trendwende geglaubt. Das war offenbar eine Täuschung. Bolsonaro hat sich von seinem Umfragetief gerade wieder rechtzeitig erholt. Haddad sagte in seiner ersten öffentlichen Stellungname, er respektiere das Ergebnis. Dabei erwähnte er den Wahlsieger allerdings mit keinem Wort. Und er gratulierte auch nicht.

Ein Mann der Worte gegen einen Mann der Waffen

Bolsonaro war ein paar Minuten zuvor indes auch nicht auf seinen Stichwahlgegner eingegangen, wenn man mal von der allgemeinen Kampfansage absah: "Jetzt wird nicht weiter mit dem Sozialismus, dem Kommunismus, dem Populismus und dem Linksextremismus geflirtet." Die Gräben sind in Brasilien dieser Tage viel zu tief, um sich die Hand zu reichen.

Das hängt nicht zuletzt mit einem Bericht der Zeitung Folha de S. Paulo von vergangener Woche zusammen, in dem die illegale Finanzierung einer gigantischen Fake-News-Kampagne zugunsten Bolsonaros und gegen Haddads PT enthüllt wurde. Die Autorin des Artikels, ihre Redaktion und damit auch die Pressefreiheit in Brasilien wurden seither massiv bedroht. Bolsonaro kündigte zwei Tage später "eine Säuberung" an, wie sie dieses Land noch nie gesehen habe. Zur Erinnerung: Dieses Land hat unter anderem einen Genozid gegen seine Ureinwohner hinter sich, einen weltweit beispiellosen Massenmord an schwarzafrikanischen Sklaven sowie eine über zwei Jahrzehnte währende Militärdiktatur, die Bolsonaro stets verherrlichte.

Viele Anhänger des Hochschullehrers Haddad brachten am Sonntag ihr Lieblingsbuch in die Wahlkabine mit und veröffentlichten hinterher ein Foto davon. Das war eine Anspielung auf einen Bolsonaro-Wähler, der im ersten Wahlgang die elektronische Urne mit dem Lauf einer Pistole betätigt hatte und sich voller Stolz dabei filmte. Die Waffe stellte sich hinterher als Attrappe heraus. Mit der Bücheraktion sollte aber auch demonstriert werden, worum es bei dieser Abstimmung ging: Um die Frage, ob das Land künftig von einem Mann der Worte oder einem Mann der Waffen regiert wird.

Bolsonaros Fans hoffen auf einen neuen militärischen Drill

Bolsonaro selbst ging in Rio de Janeiro wählen. Er trug dabei eine kugelsichere Weste und wurde von zahlreichen Soldaten begleitet - mit Blick auf die Messerattacke von Anfang September sicherlich aus Sicherheitsgründen. Aber es passte auch bestens zu seiner Imagepflege als Gewaltprofi.

Vor Bolsonaros Haus in Rios Stadtteil Barra da Tijuca versammelten sich am Abend Tausende seiner Fans. Viele feierten den Sieg ihres Kandidaten mit der Wahlnummer 17, indem sie 17 Liegestützen machten. Offenbar in freudiger Erwartung eines neuen militärischen Drills.

Mit den Vorboten dieses Drills machten in den vergangenen Tagen auch schon die brasilianischen Hochschulen Bekanntschaft, allerdings ging es dabei längst nicht so fröhlich zu. Einheiten der militärischen Polizei drangen in mindestens 20 öffentliche Universitäten ein, sie lösten Debatten auf, in denen es um die "Prinzipien der Demokratie" gehen sollte, fotografierten Studenten und konfiszierten Transparente, die vor dem Ausbruch des Faschismus warnten. Die Aktion wurde mit dem Hinweis auf ein Gesetz begründet, das Wahlwerbung am Wochenende der Abstimmung verbietet. Bolsonaro sagte dazu: "Die Universität ist kein Ort für Proteste."

Etwa 45 Millionen Brasilianer, die diesen Mann nicht gewählt haben, fragen sich nun nicht zu Unrecht, an welchen Orten man künftig überhaupt noch gegen den Staatspräsidenten demonstrieren darf.

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