Ruhrgebiet:Der Steiger kommt groß raus

Bergbau Ampelmännchen

Duisburg: Ein Bergmann mit Helm auf dem Kopf und einer Lampe in der Hand soll an die Geschichte des Bergbaus erinnern.

(Foto: dpa)
  • Kurz bevor die Schließung der letzten Zeche das Ende der Steinkohle im Revier besiegelt, herrscht ein Hype um die Kultur der Bergleute.
  • Die Menschen strömen in Ausstellungen, der Tourismus läuft und passende Mode zur Kohle gibt es auch.

Von Janis Beenen, Dortmund

Jetzt gibt es sogar eine Bergmann-Ampel. Statt des üblichen Männleins leuchtet am Duisburger Zoo künftig ein kleiner Kumpel samt Grubenlampe grün und rot. Kurz bevor die Schließung der letzten Zeche den Exitus der Steinkohle im Revier besiegelt, herrscht ein Hype um die Kultur der Bergleute. Politiker preisen die Mentalität. Und gefühlt jeder von Duisburg bis Hamm erzählt, dass er ja auch einen "Oppa" unter Tage hatte oder zumindest einen Steiger in der Nachbarschaft oder immerhin mal im Bergbaumuseum war. Unternehmer profitieren von der Begeisterung. Die Menschen strömen in Ausstellungen, der Tourismus läuft und passende Mode zur Kohle gibt es auch.

Seit dem Jahr 2016 verkauft Matthias Bohm Klamotten unter dem Label Grubenhelden. Der 36-Jährige redet so, wie es ein Bayer oder ein Hesse von einem "Ruhri" erwartet. Statt "arbeiten" sagt er "malochen". Und zur Begrüßung heißt es "Glück auf". Grubenhelden setzt auf den Mythos der rauen Männer. "Mit unserer Mode wollen wir den Leuten, die das Ruhrgebiet und Deutschland zu dem gemacht haben, was es ist, Respekt zollen", sagt Bohm. Konkret bedeutet das: In T-Shirts oder Mützen ist der Stoff der blau-weiß gestreiften Bergmannshemden eingenäht. In anderen Teilen steckt ein Stück der Arbeiterjacken. Als cooler Pulli spricht das junge Leute durchaus an.

Bohm erzählt von seinem Urgroßvater, der selber unter Tage war, und stellt das Ideelle seiner Marke über wirtschaftlichen Erfolg. Doch die Entwicklung von Grubenhelden zeigt auch: Reviertradition ist ein Verkaufsargument. Fraglich ist nur, ob das anhält. Am 21. Dezember ist auch an der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop Schicht im Schacht. Werden sich die Menschen auch in Zukunft daran erinnern, was für tolle Kerle die Kumpel doch waren? Oder wollen sie mit der harten Arbeit und dem Energieträger von gestern nichts mehr zu tun haben?

Bohm benennt die Herausforderung: "Bislang können wir von der Geschichte zur Marke kommen, bald müssen wir von der Marke zur Geschichte leiten." Er glaubt, dass die Werte der Bergmänner wie Ehrlichkeit und Verlässlichkeit weiterhin überzeugen. "Wer unsere Kleidung trägt, drückt Identifikation aus", sagt Bohm. Das mögen offenbar auch viele außerhalb des Potts. 60 Prozent der Onlinebestellungen kämen nicht aus Nordrhein-Westfalen.

Auch Touristen kommen mittlerweile gern an die Ruhr. Erstmals zählten die Hoteliers 2017 mehr als acht Millionen Übernachtungen, dieses Jahr gibt es wohl noch mal einen Schub. Die Region hat Einmaliges geschafft. Industriekultur aller Orten, die den Besucher mit wohligem Schauer wissen lässt, warum er lange gern woanders hingereist ist. Und dazwischen ganz viel Grün - die neue, lebenswerte Welt.

Die Förderungsgesellschaft Ruhr Tourismus kümmert sich um die Vermarktung - der kecke Slogan lautet "Mach mal Ruhrlaub". "Das letzte Jahr der Steinkohle haben wir bei unseren Veranstaltungen natürlich aufgegriffen", sagt Geschäftsführer Axel Biermann. Aufmerksamkeit fördert das Geschäft. Statt 1000 letzten Plätzen für Grubenfahrten hätten es wohl auch 10 000 oder noch mehr sein dürfen. Ruhr Tourismus versuchte gar nicht erst, die begehrten Touren geordnet zu verkaufen, sondern verteilte sie direkt über Gewinnspiele. Trotz aller Euphorie sieht Biermann das Geschehen im Jahr 2018 als Gratwanderung: "Es besteht ein gewisses Risiko, dass die Leute denken, hier gehen jetzt die Lichter aus." Ruhr Tourismus wirkt der Gefahr mit immer neuen Ideen entgegen - Radfahren auf stillgelegten Bahnstrecken der Industrie, Klettern am alten Hüttenwerk und Veranstaltungen auf Zechengeländen. Komisch muss dieses Jahr für die aktiven und ehemaligen Kumpel sein. Die Verlierer des Strukturwandels werden in den letzten Tagen ihrer Branche als Helden verkauft. Glück hat das Museum, das noch einen echten Bergmann vor die Besucher schieben kann.

"Jeder will sich jetzt noch mit dem Bergbau schmücken", sagt Johannes Hartmann, der früher Elektrosteiger im Bergwerk West war. Das könne er gut nachvollziehen. Nur bei Politikern, die einst gegen die Steinkohle gekämpft haben, müsse das nicht unbedingt sein. Als Vorsitzender des Landesverbands der Berg- und Knappenvereine überlegt Hartmann, wie seine Zunft in Erinnerung bleibt: "Wir wollen den Leuten zeigen, wie wir gelebt und gearbeitet haben." Dazu müssen aus seiner Sicht vor allem stillgelegte Anlagen gepflegt werden. Hartmann hofft auf seine früheren Kollegen und alle Heimatverbundenen. Sie sollen die Menschen für ihre Kultur begeistern.

"Unsere Internationalität und das Miteinander sind und bleiben aktueller denn je", sagt Hartmann. Nur müssten all jene, die sich jetzt noch mal auf die Seite des Bergbaus schlagen, auch weiter mithelfen. Sonst bleibt das Ende der Kohle wohl ein kurzes Retro-Geschäft.

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