Die "Boxhandschuhe der Verbraucherschützer" kann man seit diesem Donnerstag in Aktion erleben: So nennt der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) die neue Musterfeststellungsklage, die mit dem 1. November in Kraft getreten ist. Zum Auftakt zieht der Verband stellvertretend für die Dieselfahrer gegen VW vor Gericht. Es geht um Schadenersatz für die Betroffenen des Diesel-Skandals.
Rund 2,5 Millionen Autos hatte Volkswagen nach dem Abgasskandal zurückgerufen. 26 600 Dieselfahrer streiten bereits alleine vor Gericht um Schadenersatz. Die Verfahren sind oft aufwendig und finanziell riskant. Die Musterfeststellungsklage soll das ändern. Die Anwälte der Verbraucherschützer erwarten, dass sich mehrere Zehntausend Betroffene anschließen. Schon jetzt gebe es um die 40 000 Anfragen und Interessenten.
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Musterfeststellungsklage bedeutet: Verbraucherschutzverbände klagen für Gruppen von Betroffenen - mit weniger Aufwand und Risiko für den Einzelnen. Die Diesel-Klage ist so etwas wie der erste Test dieses neuen Verfahrens. Die Verbände klagen für Dieselfahrer, die vom Volkswagen-Pflichtrückruf betroffen waren und noch nicht selbst geklagt haben. Das betrifft Diesel von VW, Audi, Skoda und Seat mit Motoren des Typs EA 189 (Vierzylinder, Hubraum: 1,2 oder 1,6 oder 2,0 Liter), die nach dem 1. November 2008 verkauft wurden. Auch wer sein Auto inzwischen verkauft hat oder verschrotten ließ, kann mitmachen.
Der VZBW arbeitete zehn Fälle auf und reichte seine Klage auf dieser Grundlage nun beim Oberlandesgericht Braunschweig ein. Hält das Gericht die Klage für zulässig, können sich weitere Betroffene kostenlos beim Bundesamt für Justiz in ein Klageregister eintragen. Das soll einfach und ohne Anwälte möglich sein. In zwei Monaten müssen insgesamt 50 Menschen zusammenkommen. Wenn die Verhandlung begonnen hat, kann man nicht mehr einsteigen.
Einen Schadenersatz für die Kläger wird es wohl nicht direkt geben. Bei dem Verfahren geht es erstmal nur darum, ob Volkswagen unrechtmäßig gehandelt hat. Wird den Kunden ein Recht auf Schadenersatz zugesprochen, müssen sie dies selbst durchsetzen. Sie können also nicht mit dem Urteil zum Autohändler gehen und Geld zurückverlangen, sondern müssen noch einmal vor Gericht ziehen. Bequemer wäre ein Vergleich zwischen VW und den Kunden. "Unser Ziel ist, dass Autobesitzer entweder das Auto zurückgeben können und dafür den Kaufpreis erstattet bekommen, oder wenn sie es behalten wollen, den Wertverlust kompensiert bekommen, oder wenn sie das Auto bereits verkauft haben, eine entsprechende Entschädigung bekommen", sagt VZBV-Vorstand-Klaus Müller.
Die Verfahren könnten mehrere Jahre dauern
Das Prozesskostenrisiko trägt allein der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Wenn die Verbraucherzentralen verlieren, sind alle, die im Klageregister stehen, allerdings an diese Entscheidung gebunden. Sie können also nicht mehr vor anderen Gerichten auf Schadenersatz klagen. Die Anwälte sind sehr zuversichtlich, Volkswagen dagegen sieht wenig Aussichten für die Klage. Die Fahrzeuge seien trotz der im Dieselskandal aufgeflogenen Abschalteinrichtung der Abgasreinigung genehmigt, technisch sicher und fahrbereit, argumentiert das Unternehmen.
Sollten die Verbraucherzentralen gewinnen, kommt es darauf an, ob VW einem Vergleich mit den Kunden zustimmt. Dann könnte es schnell gehen. Geht der Autobauer durch alle Instanzen, könnte es aber Jahre dauern. Beide Seiten gehen von mündlichen Verhandlung 2019 und einer Gerichtsentscheidung 2020 aus. Danach rechnet VW mit dem Gang zum Bundesgerichtshof, wo ebenfalls zwei Jahre anfallen dürften. Erst dann könnte in Einzelverhandlungen über die jeweilige Höhe des Schadenersatzes entschieden werden.