Mit Körperkontakt zum Frieden:Seid umschlungen

Tausende Menschen pilgern zur Montessori-Schule auf Gut Biberkor, um der 64-jährigen Amma zu huldigen, die in Indien eine Hilfsorganisation gegründet hat und mit Umarmungen Frieden in die Welt bringen will

Von Michael Berzl, Berg

Den letzten Meter geht es dann doch auf Knien voran. Nicht aus Unterwürfigkeit, sondern weil es praktischer ist. So klappt das mit der Umarmung besser. Amma ist sehr klein, die in weiße Tücher gehüllte Inderin sitzt auf einem niedrigen, breiten Sessel, der auf der Bühne in der Turnhalle der Montessori-Schule in Biberkor steht. Und so muss sie sich nur ein wenig nach vorne beugen, wenn der nächste Kandidat an der Reihe ist, der von einer der vielen Helferinnen an die richtige Stelle bugsiert wird. Dann geht es sehr schnell. Die als "Mahatma", als große Seele verehrte Frau, drückt ihn an ihre Brust, sie murmelt ein paar Worte, die klingen wie "mein lieber Sohn, mein lieber Sohn". Sie lässt los, übergibt ein Bonbon, das in ein Blütenblatt einer Rose eingewickelt ist, oder einen Apfel und ein Armkettchen, sie fasst noch einmal nach und dann ist der Moment auch schon vorbei. Die Umarmten dürfen noch ein Weilchen in der Nähe bleiben und auf der Bühne sitzend das Erlebnis nachklingen lassen.

Amma umarmt ihre Anhänger; Guru-Frau Amma auf Gut Biberkor

Um Amma zu begegnen, gehen ihre Anhänger auf die Knie. Helferinnen organisieren den reibungslosen Ablauf beim Umarmen im Akkord.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

"Es ist ein warmes Gefühl in der Brust", erzählt der 53-jährige Zvone Karnicar, der in einer fünfköpfigen Reisegruppe extra aus Slowenien gekommen ist. Dieses Gefühl hätte er gerne noch ein wenig länger genossen. "Es war so schnell vorbei. Ich hatte nicht einmal Gelegenheit, ihr in die Augen zu sehen", bedauert er. "Das nächste Mal werde ich das anders machen", nimmt er sich vor. Er will also wiederkommen. Und da ist er nicht der Einzige. Es scheint ein großes Bedürfnis zu geben, so in den Arm genommen zu werden. Dieses Bedürfnis erfüllt die Inderin, die aus einer Fischerfamilie in Kerala stammt, seit Jahrzehnten zigtausendfach. Und nicht nur das: Die 64-Jährige hat Papst Franziskus getroffen und vor der UNO-Hauptversammlung in New York gesprochen, sie setzt sich für Frauenrechte ein und hat die Hilfsorganisation "Embracing the World" gegründet.

Amma umarmt ihre Anhänger; Guru-Frau Amma auf Gut Biberkor

Zur Einstimmungerklingen in der Turnhalle indische Gebete.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Um dieser Frau zu begegnen, kommen am Dienstag Tausende nach Biberkor; manche nehmen dafür eine weite Anreise in Kauf. Auf der Zufahrt stauen sich am frühen Vormittag die Autos, eine Wiese in der Nähe der Montessori-Akademie, die als Parkplatz dient, füllt sich, von den Bahnhöfen in Starnberg und Wolfratshausen verkehren Shuttle-Busse. Hunderte unbezahlte Helfer kümmern sich um einen reibungslosen Ablauf. Von den Einweisern am Parkplatz über das Küchenteam bis zu den Ordnern an den Bühnenzugängen, die im Reißverschlusssystem die Begegnungen mit Amma regeln. Damit es kein Gedränge gibt, werden Nummernkarten mit einer Buchstaben-Zahlen-Kombination ausgegegeben, so ähnlich wie in der Kfz-Zulassungsstelle im Starnberger Landratsamt. Schon bald sind diese sogenannten Tokens vergeben.

Amma umarmt ihre Anhänger; Guru-Frau Amma auf Gut Biberkor

Um Amma zu begegnen, gehen ihre Anhänger auf die Knie.

(Foto: Franz X. Fuchs)

Die Biobäuerin Annelies Holzer aus Degerndorf hat ein "Y" erwischt. Es dauert also noch, bis sie an die Reihe kommt. Als sie mittags im Essenszelt einen indischen Imbiss mit Pakora zu sich nimmt, ist erst das "M" an der Reihe. "Ich bin gespannt, wie das wird", sagt sie. Der 54-jährige Elektroingenieur Klaus Müller aus Dachau weiß, wie es ist. Es spricht von einem "Gefühl von Herzöffnung, von großer bedingungsloser Liebe". Seit 20 Jahren ist er schon dabei und kommt immer wieder. Er kümmert sich um die Elektrotechnik, ehrenamtlich natürlich. Was er dafür bekomme, wiege die Mühen leicht auf, findet er. So und ähnlich beschreiben das auch andere.

Mit großer Geduld harren sie zu Hunderten in der Schulturnhalle aus, bis sie an die Reihe kommen. Die meisten sind schon zur Auftakt-Meditation da, singen das "Om Shanti, om shanti" des Friedensgebets mit. Ein paar Besucher sehen sich an den Merchandising-Ständen um, wo Tücher, Kettchen, CDs und Kalender verkauft werden. "Spüre unendliche Ruhe und gefühlten Frieden", betet Andreas Hirsch mit seiner sonoren Stimme vor. Er übersetzt die Worte Ammas: "Sie sagt, dass der menschliche Geist und die Natur derzeit in Unruhe sind". Die Kraft der Gebete könne dies verbessern; die Zuhörer sollen sich vorstellen, weiße Blüten regneten zu Boden. Und tatsächlich bewegen sich da auf den beiden großen Bildschirmen über der Bühne, die die regungslos verharrende Amma zeigen, weiße Punkte nach unten. Es wird still in der Turnhalle, die meisten schließen die Augen.

Eine junge Frau mit langen Dreadlocks wirft sich zu Boden, so dass ihre Stirn den verlegten Teppich berührt, eine andere sitzt mit nach oben gereckten Armen und geschlossenen Augen auf ihrem Stuhl, meditierend bereiten sich manche auf die Begegnung vor. Dem Klischee von Sektenanhängern entsprechen aber die wenigsten, die Verzückten sind Ausnahmen.

An diesem Mittwoch geht das Umarmen in der Turnhalle weiter. Das Programm beginnt um zehn Uhr mit einer Meditation, ehe einer nach dem anderen zur Begegnung mit Amma geführt wird. Nächste Station in der aktuellen Europatournee ist dann das Seminarzentrum Hof Herrenberg im Odenwald. Bis Mitte November folgen Toulon, Mailand und London. Bisher zählte zu den Veranstaltungsorten die Zenith-Halle im Münchner Norden, ein düsterer, ungemütlicher Fabrikbau. Biberkor in einer Umgebung mit Bäumen und grünen Hügeln hat es Organisatoren und Besuchern angetan. "Uns gefällt es hier sehr gut. Wir würden gerne wieder kommen", sagt Franziska Agosti, die Sprecherin von "Embracing the World".

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