Beobachtung durch Verfassungsschutz:Eigenes Gutachten bringt AfD in Bedrängnis

AfD-Pressekonferenz in Berlin

Jörg Meuthen (r.) und Alexander Gauland in der Bundespressekonferenz.

(Foto: dpa)
  • Ein von der AfD selbst in Auftrag gegebenes Gutachten bescheinigt der Partei, dass sie riskiert, vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden.
  • Das Gutachten gibt auch Handlungsempfehlungen - denen zufolge müssten auch die Spitzenpolitiker ihre Arbeit stark verändern.
  • In der kommenden Woche wollen die Abteilungsleiter der Landesämter für Verfassungsschutz erneut über eine mögliche Beobachtung der AfD beraten.

Von Sebastian Pittelkow, Katja Riedel und Jens Schneider, Berlin

Als der Vortrag im Bundesvorstand der AfD zu Ende war, murrten einige der wichtigsten Politiker der rechtsnationalen Partei heftig. Alexander Gauland, der mächtigste Mann in der AfD, soll dem Vernehmen nach gesagt haben, dass er unter diesen Umständen morgens ja gar nicht mehr aufzustehen brauche. Weil damit nämlich die AfD durch eigentlich jede von Gaulands Reden ein Fall für den Verfassungsschutz wäre. Der Partei- und Fraktionschef Gauland wäre freilich keine Ausnahme. Im Grunde würde diese Einschätzung für die ganze Partei gelten, und das macht das Gutachten des emeritierten Freiburger Staatsrechtlers Dietrich Murswiek so pikant.

Roland Hartwig, der Vizechef der AfD-Bundestagsfraktion, stellte es vor kurzem dem Parteivorstand vor. Die AfD-Spitze hat es selbst bei dem als konservativ eingeschätzten Juristen Murswiek in Auftrag gegeben und lernte nun, dass sie ein großes Problem bekommen könnte. Es dreht sich um die Frage, die in der AfD derzeit für die größte Unruhe sorgt: Könnte die Partei, die inzwischen in allen 16 Landtagen und im Bundestag sitzt, bald als Ganzes vom Verfassungsschutz beobachtet werden?

In der kommenden Woche wollen die Abteilungsleiter der Landesämter für Verfassungsschutz erneut über diese Frage beraten. Die AfD-Spitze verfolgt die Debatte mit großer Sorge, die beiden Vorsitzenden Gauland und Jörg Meuthen ahnen, dass Wähler und wesentliche Teile ihrer aktiven Basis abgeschreckt werden könnten, viele kommen aus dem Öffentlichen Dienst. Also hat die AfD eine Kommission eingesetzt, um sie "unangreifbar" zu machen, wie es heißt. Geführt wird die Kommission von Fraktionsvize Hartwig, einem moderaten AfD-Politiker, der früher Justitiar eines großen Chemie-Konzerns war.

Um eine Beobachtung abzuwenden, will man den eigenen Laden gründlich prüfen und den Mitgliedern für die Zukunft Handreichungen, eine Art Fibel für verfassungskonformes Benehmen mitgeben. Dafür beauftragte man den Staatsrechtler Murswiek. WDR, NDR und SZ liegt die zehnseitige Zusammenfassung des Gutachtens vor, die der Kommissionsleiter Hartwig im Bundesvorstand vortrug. Es ist ein für die AfD verheerender Befund, den man nun zur "internen Angelegenheit" erklären will.

Denn auf diesen zehn Seiten sind Kriterien aufgeführt, die eine Partei in der Summe zum Fall für den Verfassungsschutz machen. Die AfD erfüllt sie reihenweise, auf den letzten vier Seiten stehen "Handlungsempfehlungen zur Vermeidung einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz". Und im Grunde zu jedem Punkt fällt auch AfD-Spitzenpolitikern ein Beispiel für einen Verstoß aus den eigenen Reihen ein. Da heißt es etwa: "Unbedingt notwendig ist es, folgende Äußerungen und Verhaltensweisen zu unterlassen: pauschale Diffamierungen oder Herabwürdigungen von Ausländern/Immigranten/Flüchtlingen/Muslimen." Und: "extremistische Reizwörter" wie "Umvolkung", "Überfremdung", "Volkstod" oder "Umerziehung" müssten vermieden werden.

Murswiek führt zahlreiche Beispiele an, die eine Beobachtung der jetzigen AfD rechtfertigen würden. Pauschale Negativurteile über die "Altparteien", über die "politische Klasse" oder über die Medien sollten vermieden werden - etwa der Begriff "Lügenpresse", der bei der AfD zum Alltagsvokabular der Polemik gehört. Angesichts dieser Liste sprachen Vorstandsmitglieder davon, dass die AfD sich dann ja gleich auflösen könne, die Empfehlungen seien so nicht umsetzbar.

Sonderermittler Hartwig werde von Teilen der Partei "Großinquisitor" genannt, ist zu hören

Ein Vorstandsmitglied sagte am Freitag: "Wenn man das Papier ernst nimmt, können wir gar nix mehr machen." Man müsse die Empfehlungen nun "in AfD-Deutsch übersetzen und der Basis vermitteln." Das werde schon "schwer genug".

Es gibt in der Partei schon ohne das Gutachten viel Unruhe. In einem "Stuttgarter Aufruf" schrieben jetzt mehrere hundert Mitglieder des ganz rechten Flügels, darunter auch Abgeordnete: "Wir widersetzen uns allen Denk- und Sprechverboten." Sie beklagen, dass bereits "zahlreiche Ordnungs- und Ausschlussverfahren" gegen Mitglieder eingeleitet worden seien. Aus der Parteispitze ist zu hören, dass man konsequenter sein wolle. Und das Bundesschiedsgericht versandte in der vergangenen Woche intern einen Hilferuf, dass die Landesschiedsgerichte dringend personell aufgestockt werden müssten, vor allem mit Volljuristen. Zusätzliche Kammern sollten eingerichtet werden, um die Landesschiedsgerichte aufgrund der vielen Verfahren zu entlasten. Aber das Misstrauen ist groß. Der Sonderermittler Hartwig werde von Teilen der Partei "Großinquisitor" genannt, ist zu hören. Intern sei von einer "AfD-Stasi" die Rede.

Hartwig sagt zum Murswiek-Papier: "Das ist nichts weiter als ein Zwischenschritt." Er werde weiter verarbeitet "zu einer Handlungsempfehlung für die Partei". Da solle "differenziert werden zwischen nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen, die in der Partei zu bekämpfen sind" - und anderen Beispielen, die der Verfassungsschutz als Anhaltspunkt sehen würde, die er aber für "fraglich oder rechtswidrig" hält. Die Parteichefs Gauland und Meuthen lehnten eine Stellungnahme ab.

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