Weiterbildung:Payback-Punkte fürs Lernen

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Digital oder analog, im Internetkurs oder in der Volkshochschule – Hauptsache die Menschen bilden sich fort. Geht es nach der CDU-Fraktion, sollen sie dafür belohnt werden, wenn ihre Kurse berufsrelevant sind. (Foto: Westend61/imago)

Der Ex-Werbechef und CDU-Bundestags­abgeordnete Thomas Heilmann will die Deutschen animieren, sich stärker fortzubilden. Wer relevante Kurse belegt, wird belohnt - der Staat soll das mit Milliarden finanzieren.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Thomas Heilmann war mal Werber; ein ziemlich erfolgreicher sogar, immerhin Vorstandsvorsitzender von Scholz & Friends in Europa. Insofern wundert es einen nicht, dass Heilmann, der inzwischen für die CDU im Bundestag sitzt, die bisherige politische Vermarktung des Themas Weiterbildung für, nun ja, suboptimal hält. Mit Schlagworten wie "Wiederaufnahme des organisierten Lernens nach einer abgeschlossenen Erstausbildung", so Heilmanns Analyse, könne es nichts werden mit der notwendigen Qualifizierungsoffensive hierzulande. Genau so aber definierte die Bund-Länder-Kommission noch im Jahr 2000 den Begriff "Weiterbildung".

Angesichts von Fachkräftemangel und Digitalisierung der Arbeitswelt setzt Heilmann nun auf eine ziemlich radikale Wende. Am Montag stellte seine Fraktionsarbeitsgruppe "Zukunft der Arbeit" im CDU-Bundesvorstand eine Art Bildungs-Netflix vor: eine steuerfinanzierte Internetplattform, auf der alle Bürger sich kostenlos weiterbilden können. Entsprechend ihrer Interessen und beruflichen Bedürfnisse und wann immer es ihnen passt, abends, unterwegs oder in der Mittagspause. "Modulares Interaktives Lebensbegleitendes Lernen für Alle" lautet der Titel. Oder kurz MILLA, man will schließlich nicht nach "Wiederaufnahme des organisierten Lernens nach einer abgeschlossenen Erstausbildung" klingen.

An der VHS, beim TÜV, im Netz: Es gibt Punkte für Teilnehmer und Geld für Anbieter

"Agiles Arbeiten in einer Bank" könnte laut Heilmann ein Kurstitel lauten. Oder "Design Thinking". Oder "Einführung in die Programmiersprache Python". Wer einen Kurs erfolgreich abschließt, sammelt Milla-Punkte. Die soll man gegen Sachprämien eintauschen können. "Wie Payback-Punkte", sagt Heilmann; gerade bei bildungsfernen Bürgern könne das ein Anreiz sein, die Freizeit zur Weiterbildung zu nutzen. Die Punkte, die man auch offline an der Volkshochschule, in einer Firmenschulung oder beim TÜV sammeln kann, sollen zudem gegenüber potenziellen Arbeitgebern als Nachweis für Zusatzqualifikationen dienen. Überhaupt die Arbeitgeber: Für die soll die Plattform zum Talentpool werden, aus dem sie neue Leute rekrutieren können, etwa über Kurse in Mangelberufen. "Wir schaffen einen neuen Markt", sagt Heilmann; die Punkte könnten sich zu einer Währung entwickeln.

Finanziert werden soll das System aus Steuern; auf ein bis drei Milliarden Euro im Jahr schätzt Heilmann die Kosten. Die Kurse an sich sollen kostenlos sein; die Anbieter wiederum bekommen für ihre Leistungen Geld. Wie viel, das soll sich unter anderem danach richten, wie arbeitsmarktrelevant ihr Kurs ist und wie gut er von den Nutzern bewertet wird. Was als relevante Fähigkeiten gilt, wird fortlaufend staatlich ausgewertet und veröffentlicht. Bedeutet: "Fit bleiben mit dem Thermomix" wird vermutlich mit einem eher geringen Relevanzfaktor bedacht - was zu einer niedrigeren Vergütung führt als bei "Business-Chinesisch für Fortgeschrittene". Eine Basiskontrolle soll zudem unsinnige oder illegale Kursangebote aussortieren. "Sexarbeiterin ist auch ein Mangelberuf, aber wollen wir staatlich geprüfte Sexarbeiterinnen? Eher nicht", sagt Heilmann. Im Prinzip aber soll jeder Kurse anbieten können. "Warum sollen Youtuber keinen Englischkurs anbieten?", fragt Heilmann. Er rechne mit mehr als einer Million Angeboten. "Es geht darum, die Leute anzuregen, etwas zu lernen."

Bleiben zwei Fragen. Erstens: Wer soll die Plattform entwickeln? "Das wird keine normale Behörde bauen können", sagt Heilmann, der vor seinem Wechsel in die Politik selbst zahlreiche Internetfirmen mit gegründet oder auch mit finanziert hat. Ihm und seinen Mitstreitern schwebt stattdessen eine "neue, digitale Einheit" vor, die Milla mit einheitlichen und offenen IT-Standards "agil baut" - so wie es Start-ups und Internetfirmen mit ihren Neuerungen machen: ein Produkt in Etappen entwickeln, mit voll funktionsfähigen Zwischenprodukten. Ein Vorbild für das Konzept ist unter anderem das 2014 im Weißen Haus angesiedelte Start-up U.S. Digital Service zur schrittweisen Verbesserung der Behördenservices für die Bevölkerung.

Die zweite Frage ist: Wie findet das eigentlich der Koalitionspartner? Am 18. Oktober erst hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sein Qualifizierungschancengesetz in den Bundestag eingebracht; letztlich eine Ausweitung bestehender Weiterbildungsprogramme der Bundesagentur für Arbeit. Darüber hinaus liebäugelt die SPD weiterbildungstechnisch mit Fortbildungskonten für alle Arbeitnehmer inklusive Freistellungsanspruch.

Milla dagegen ist bislang ein reines CDU-Baby und geht in eine deutlich andere Richtung. Am 8. Dezember, auf dem Bundesparteitag der CDU in Hamburg, soll die Milla-Offensive jedenfalls beschlossen werden; als Teil der für kommendes Jahr ohnehin geplanten Nationalen Weiterbildungsstrategie der Regierung. 2020, spätestens 2021 könne es losgehen, sagt Heilmann. "Das ist mein schnell-realistischer Zeitplan." CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, die im Dezember für den Parteivorsitz kandidieren will und an Milla mitgearbeitet hat, sprach am Montag von einer neuen Lösung zur Stärkung der Weiterbildung, "von der alle profitieren werden".

© SZ vom 06.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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