Schach-WM:Carlsen verzichtet auf riskante Manöver

Schachweltmeisterschaft in London

Schwer gefordert bei der WM: Schachweltmeister Magnus Carlsen.

(Foto: dpa)
  • Das zweite Spiel bei der Schach-WM zwischen Magnus Carlsen und Herausforderer Fabiano Caruana endet wie das erste mit einem Remis.
  • Ein Manöver von Caruana macht dem Weltmeister zwischenzeitlich zu schaffen.
  • Hier gibt es den Liveticker zum Nachlesen.

Von Johannes Aumüller, London

Manchmal ist es erstaunlich, welche Details den besten Schachspielern der Welt wichtig zu sein scheinen. Partie zwei der Weltmeisterschaft steht am Samstag im Holborn College in London an. Als Erster kommt diesmal der Herausforderer Fabiano Caruana ans Brett, genau sechs Minuten vor dem offiziellen Spielbeginn um 15 Uhr Ortszeit. Er setzt sich hinter die Seite mit den schwarzen Steinen und zuppelt noch ein bisschen an seinen Figuren herum. Die beiden Springer schauen von ihm aus gesehen auf die rechte Seite, und das passt ihm offenkundig nicht. Also dreht er sie so, dass sie nach vorne schauen können. Als ob sie so angriffslustiger wirken könnten.

Keine 60 Sekunden später kommt Weltmeister Magnus Carlsen, er setzt sich hinter die weißen Steine, und auch er fasst erst einmal seine Figuren an. Bei ihm schauen beide Springer nach links, und ihm passt das offenkundig auch nicht. Den rechten Springer lässt er so stehen, aber den linken dreht er um 180 Grad, so dass jetzt beide Gäule in die Mitte schauen. Als ob sie so helfen könnten, ihren weißen König besser zu bewachen.

Der erste Kampf dauerte sieben Stunden

Die Partie verläuft dann zwar unspektakulärer als die am Vortag. Da hatten sich die beiden Kontrahenten zum WM-Auftakt einen heftigen Kampf geliefert, der erst nach sieben Stunden, 115 Zügen und mehreren verpassten Siegchancen Carlsens zu Ende war und mit einem Remis endete. Diesmal einigen sie sich schon nach knapp dreieinhalb Stunden und 49 Zügen auf ein Unentschieden - aber es gab dabei eine durchaus bemerkenswerte Phase.

Carlsen spielt mit den weißen Steinen seinen Bauern auf d4, was normalerweise zu tendenziell ruhigeren Partien führt. Ein sogenanntes abgelehntes Damengambit kommt aufs Brett, und routiniert spulen die beiden die ersten Züge ab, doch auf einmal muss der Weltmeister länger nachdenken. In Zug zehn hat Caruana den Turm auf das Feld d8 manövriert, und diese Stellung macht Carlsen zu schaffen. "Oh Mist" lautet die freundliche Übersetzung seiner Antwort in der Pressekonferenz auf die Frage, was er dabei gedacht habe.

Immer wieder steht Caruana auf und schlendert herum

Die Schach-WM dauert formal zwölf Partien und zweieinhalb Wochen, aber tatsächlich zieht sie sich natürlich viel länger hin. Wochen- und monatelang bereiten sich die Akteure darauf vor. Und zu dieser Vorbereitung gehört auch, dass sie mit ihren Sekundanten für die Eröffnungsphase gute Züge finden, die in der Schach-Geschichte noch nicht so oft oder sogar nie gespielt worden sind - und bei denen der Gegner dann seinerseits nicht auf sein Wissen über die Eröffnungstheorie zurückgreifen kann, sondern das Problem selbst am Brett lösen muss. Das kostet dann Zeit - und Energie. Und Turm auf d8 in dieser Variante des Damengambits ist so ein Fall.

Also beginnt eine interessante Phase. Carlsen muss ein paar Züge lang ziemlich intensiv nachdenken, Caruana antwortet immer ganz schnell und erhebt sich des Öfteren vom Platz, um ein bisschen herumzuschlendern. Psychologie spielt im Schach eine große Rolle, und dazu gehört es auch, dem Gegner zu verdeutlichen, dass man selbst die jetzt aufs Brett gebrachte Stellung zu Hause schon gut vorbereitet hat.

Aber Carlsen schafft es, diese kritische Situation zu überstehen, auf riskante Varianten lässt er sich dabei nicht ein. Die Spieler tauschen einen Turm und eine Dame ab, und dann sind sie schon recht früh in einem sogenannten Turm-Endspiel - wie schon am Vortag, aber diesmal mit umgedrehten Vorzeichen.

Der mit den schwarzen Steinen macht den besseren Eindruck

Caruana hat neben seinem König und seinem Turm noch vier Bauern, Carlsen nur noch drei. Die Computer zeigen an, dass die Stellung nun remis sei, aber es lohnt sich der Gedanke, wie die Partie wohl weitergelaufen wäre, wenn Carlsen diesen Mehrbauern gehabt hätte. Der spielt solche Situationen gemeinhin noch länger weiter, weil er sich erhofft, irgendwie noch Vorteile zu erringen. In der Sieben-Stunden-Schlacht am Freitag hatte er das noch ebenso ausdauernd wie erfolglos probiert. Auch dieses ewige Kneten des Gegners gehört zur Psychologie. Aber Caruana behandelt das anders. Ein bisschen versucht er es noch, dann willigt er in das Remis ein.

1:1 steht es nun nach zwei Partien, in denen interessanterweise jeweils der Spieler mit den schwarzen Steinen den stärkeren Eindruck hinterließ. Am Sonntag ist Ruhetag, in der dritten Partie am Montag spielt Caruana dann wieder mit den weißen Steinen.

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