Neues Hauptquartier:Amazon entscheidet sich für New York und Washington

Neues Hauptquartier: Long Island City in New York: Hier entsteht bald ein Teil des neuen Amazon-Hauptquartiers.

Long Island City in New York: Hier entsteht bald ein Teil des neuen Amazon-Hauptquartiers.

(Foto: AFP)
  • Amazons neues, zusätzliches Hauptquartier wird auf zwei Städte aufgeteilt: New York und einen Vorort von Washington D.C.
  • Mehr als 200 Städte hatten sich für den Amazon-Firmensitz beworben.
  • Viele Analysten sind sich einig, dass es Amazon bei der Auswahl des weiteren Hauptsitzes neben der Jagd nach den besten Mitarbeitern auch um einen besseren Draht zur Politik geht.

Von Claus Hulverscheidt, New York, und Malte Conradi, San Francisco

Mario Cuomo, der umtriebige Gouverneur des Bundesstaats New York, hatte vor Tagen einen heiligen Schwur abgelegt: dass er sich in Amazon Cuomo umbenennen werde, sollte der Online-Versandriese aus Seattle aus den vielen interessierten Städten New York zu seinem zweiten Firmensitz in Nordamerika küren.

Cuomo kann sich nun auf den Weg zum Standesamt machen: Amazon hat sich für New York entschieden. Allerdings wird sich die Stadt den Sitz mit Arlington, einem Vorort der US-Hauptstadt Washington D.C, teilen müssen. Denn das HQ2, die neue Firmenzentrale, wird zwischen den zwei Orten aufgeteilt wie der Internetkonzern am Dienstag bekannt gab.

Damit gehen all die übrigen Kandidaten leer aus - von Dallas und Denver über Raleigh in North Carolina bis zum kanadischen Toronto. Sie alle hatten auf die 50 000 neuen Arbeitsplätze mit einem Durchschnittsgehalt von 100 000 Dollar und die Investitionen in Milliardenhöhe gehofft, die Amazon dem siegreichen Bewerber versprochen hatte. Die Bewerberstädte, zu Beginn waren es 238, stellten im Gegenzug Steuererleichterungen und Subventionen in Millionenhöhe, preiswertes Bauland und viele andere Vergünstigungen in Aussicht. Dass sich Amazon nun, wenig originell, für die beiden Ostküsten-Metropolen entschied, dürfte viele ärgern.

Warum macht Amazon das überhaupt?

So viel wurde in den zurückliegenden 13 Monaten über den ganzen Bewerbungs-Zirkus gesprochen, geschrieben und spekuliert, dass kaum noch jemand die naheliegendste Frage stellte: Warum macht Amazon das überhaupt? Auch Amazon selbst hat dazu bislang kaum etwas gesagt.

Als möglicher Grund für ein zweites Hauptquartier ist da zunächst einmal das ganz normale Wachstum - und das ist bei Amazon alles andere als normal: Noch vor acht Jahren beschäftigte Amazon in seiner Heimatstadt Seattle gerade einmal 5000 Mitarbeiter heute sind es mehr als 40 000. Offenbar glaubt man bei Amazon, dass die Stadt bei einem weiteren Wachstum in dieser Geschwindigkeit nicht mehr mithalten kann. Im Alleingang hat Amazon die Büromieten, die Kaufpreise für Häuser und die Gehälter in der ganzen Region in die Höhe getrieben. Seattle ist heute Amazon-City, keine andere Stadt der USA wird so von einem einzigen Unternehmen dominiert. In der Stadt regt sich zunehmend Widerstand gegen diese Dominanz. Und sowieso: In diesem Tempo wird Amazon nicht noch einmal Mitarbeiter aus dem ganzen Land nach Seattle locken können und die Universitäten der Region können den Hunger des Unternehmens nach Talenten nicht alleine decken.

Kontakte pflegen - Regulierung vermeiden

Viele Analysten sind sich einig, dass es Amazon bei dem Projekt HQ2 neben der Jagd nach den besten Mitarbeitern auch um einen besseren Draht zur Politik geht. Nicht erst seit Präsident Donald Trump seine Fehde mit Amazon-Gründer Jeff Bezos öffentlich austrägt, wird in Washington diskutiert, ob nicht einige der Tech-Konzerne zu mächtig geworden sind und staatlich reguliert werden müssen. Möglicherweise würde das eine Zerschlagung bedeuten. Für Amazon wird so etwas öfter vorgeschlagen. Derzeit scheint so ein Vorgehen der Regierung unwahrscheinlich, aber wer weiß schon, was in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren passiert? Angesichts so einer Stimmung kann es jedenfalls nicht schaden, näher an die Politik zu rücken.

In der Vergangenheit wurde oft gemutmaßt, Amazon würde HQ2 gezielt in einen roten, also einen von den Republikanern dominierten, Bundesstaat pflanzen. So hätte der Konzern bei beiden Parteien gute Argumente. Mit Virginia hat Amazon nun zumindest einen "Swing-State" ausgewählt, der mal demokratisch und mal republikanisch regiert wird. Und nützlich ist auch die Nähe zur Bundesregierung in Washington, die US-Hauptstadt ist von ihrem Vorort Arlington mit öffentlichen Verkehrsmitteln in weniger als einer halben Stunde erreichbar. Nicht von der Hand zu weisen ist auch die Vermutung, dass Amazon einen großen Wettbewerb um eine ohnehin schon lange getroffene Entscheidung veranstaltete, um die Bewerber zu möglichst hohen Geboten anzustacheln. Und hohe Gebote bedeuten in diesem Fall: Steuervergünstigungen oder Ausbau der Infrastruktur. Und dann ist da noch eine mögliche Begründung: Seattle liegt mitten im Risikogebiet für "The Big One", das große Erdbeben, das Seismologen der amerikanischen Westküste voraussagen. Zwar kann niemand sagen, wann die Katastrophe kommen wird, aber dass sie kommen wird, gilt als sicher. Und die Auswirkungen wären auch für Amazon katastrophal. Schwer vorstellbar, dass der Perfektionist Bezos so ein Szenario nicht bedenkt.

Dass Amazon sich nun für New York und Washington entschieden hat, ist aus reiner Unternehmenssicht nachvollziehbar. Beide Städte zusammengenommen bilden das wirtschaftliche und politische Zentrum des Landes und eignen sich zudem bestens als Logistikstützpunkte für den gesamten Osten der USA sowie als Brücke nach Europa und Vorderasien. In beiden Metropolen gibt es zudem sowohl renommierte Universitäten als auch eine Tech-Szene aus kleineren und größeren Firmen, die jene Mitarbeiter ausbilden, nach denen Amazon suchen wird. Auch die Standorte innerhalb der Städte sind gut gewählt. In New York ist es das Viertel Long Island City im Stadtteil Queens, von dem aus die Flughäfen La Guardia und John F. Kennedy bestens erreichbar sind. Arlington siegte mit dem Stadtteil Crystal City, der direkt an den Washingtoner Inlandsflughafen Ronald Reagan grenzt.

Schöner Ausblick, aber schlecht angeschlossen

Doch hier beginnen zugleich auch die Probleme: Zwar sind in Long Island City die Hochhäuser, Parks und Restaurants zuletzt nur so aus dem Boden geschossen - allein die Zahl der Wohnungen stieg seit 2006 um mehr als 12 000. Doch schon jetzt liegt die mittlere Miete im Viertel bei fast 3000 Dollar im Monat, Tendenz weiter steigend. Ziehen nun weitere 25 000 Amazon-Mitarbeiter in die Gegend, dürfte sich der Trend beschleunigen.

Hinzu kommt: Obwohl das Viertel direkt am East River liegt und herrliche Ausblicke auf das Empire State Building, das Chrysler Building und die Sonnenuntergänge über der Südspitze Manhattans bietet, ist es verkehrsmäßig eher schlecht angeschlossen. Nach Manhattan führen, streng genommen, nur zwei weniger bedeutende U-Bahn-Linien; nach Brooklyn, wo viele der neuen Amazon-Beschäftigten wohl auf Wohnungssuche gehen werden, nur eine einzige.

Einige Kommunal- und Landespolitiker hatten sich deshalb zuletzt sogar dafür ausgesprochen, die Bewerbung der Stadt um die neue Amazon-Zentrale zurückzuziehen - ein Ansinnen, das Bürgermeister Bill de Blasio am Montag noch einmal brüsk zurückwies: "Wir reden hier über das größte Wirtschaftsentwicklungsgeschäft in der Geschichte von New York City", sagte er.

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