Windows 10:Microsoft macht Nutzer zu Testkaninchen

Windows 10 Creators Update

Es ist schon zum Verzweifeln: Windows-Updates werden meist auf das Gerät gespielt, wenn der Nutzer gerade loslegen oder den Laptop abstöpseln will. Abgesehen davon stecken die Aktualisierungen oft voller Fehler.

(Foto: Microsoft)
  • Alle sechs Monate veröffentlicht Microsoft neue Windows-10-Versionen.
  • Die Updates sind ein Glücksspiel, bei dem oft etwas schiefgeht.
  • Nutzer testen wider Willen unfertige Software. Einige Vorsichtsmaßnahmen können helfen, Rechner und Daten zu schützen.

Von Simon Hurtz

Alle sechs Monate setzt sich Microsoft mit Hunderten Millionen Menschen an den Roulette-Tisch und bittet zum größten Glücksspiel der Welt. Der Einsatz ist hoch: Microsoft riskiert das Vertrauen des Kunden, der Nutzer spielt mit seinen digitalen Daten. Beide setzen ihre Jetons auf dieselbe Farbe: Wenn die Kugel auf schwarz fällt, können die Spieler durchatmen. Doch immer öfter enden die Partien auf Rot.

Diese moderne Roulette-Variante ist besser als Windows-10-Update bekannt. Jeweils im April und im Oktober aktualisiert Microsoft sein Betriebssystem und integriert neue Funktionen. Obwohl Unternehmen und Nutzer gemeinsam gegen den Fehlerteufel spielen, geht in unschöner Regelmäßigkeit etwas schief.

Der vergangene Monat war für Microsoft ein Desaster: Zuerst löschte das Oktober-Update bei einigen Nutzern wichtige Ordner und persönliche Daten. Es folgten Bluescreens und Probleme bei der Tonausgabe, die Internetverbindung brach ab, und Schriftarten wurden falsch dargestellt. Schließlich deaktivierte Windows auch noch ordnungsgemäß erworbene Lizenzen der Pro-Version.

Angesichts der Fehlerflut zog Microsoft das Update wenige Tage nach Veröffentlichung zurück. Für viele Nutzer kommt diese Einsicht zu spät: Auf ihren Rechnern läuft bereits die neue Windows-Version, und regelmäßig tauchen im Internet Beschwerden auf, weil wieder irgendetwas nicht funktioniert. Dabei hätte es Microsoft besser wissen können. Bereits vor Monaten hatten Tester der Vorabversionen in den Windows-Foren auf teils schwerwiegende Fehler hingewiesen.

Der Konzern veröffentlichte die Software in völlig unfertigem Zustand

Microsoft veröffentlichte die Software trotzdem, offensichtlich in völlig unfertigem Zustand: Erst jetzt, Mitte November und nach anderthalb Monaten fieberhafter Arbeit, scheint Microsoft sein zurückgezogenes Oktober-Update für stabil genug zu halten, um einen zweiten Versuch zu wagen. Man wolle die Software-Qualität weiter verbessern, versprach Windows-Chef am Dienstagabend und kündigte eine Reihe weiterer Blogeinträge an, um Microsofts Qualitätssicherung transparenter zu machen.

Neben dem halbjährlichen Roulette spielt Microsoft auch Blackjack. Die Karten werden an jedem zweiten Dienstag im Monat verteilt, wenn der turnusmäßige Patchday ansteht, bei dem Microsoft Sicherheitslücken schließt und Fehler behebt. Die Erfolgsaussichten des Nutzers sind besser als bei den großen Funktionsupdates, aber auch hier gibt es größere Pannen: Programme starten nicht mehr, inkompatible Treiber machen Teile der Hardware unbrauchbar, teilweise muss das ganze System neu aufgesetzt werden.

Apple veröffentlicht regelmäßig neue iOS- und MacOS-Versionen für Hunderte Millionen iPhones, iPads und Macs. Anders als bei Microsoft ähneln Apple-Updates eher einer Wette auf einen CSU-Ministerpräsidenten in Bayern: In den vergangenen Jahren musste man manchmal ein bisschen zittern, aber am Ende hat man sein Geld behalten. Auch der Umstieg auf neue Android oder Linux-Versionen läuft meist deutlich reibungsloser ab.

Microsoft kann unmöglich alle Hardware-Konfigurationen vorab testen

Was machen diese Unternehmen besser? Microsoft spielt mit schwerem Handicap. Apple muss nur eine Handvoll unterschiedlicher Geräte aktuell halten, die es obendrein alle selbst herstellt. Google updatet seine eigenen Pixel-Smartphones direkt, die anderen Hersteller passen die neuen Versionen selbst an. Linux-Distributionen wie Ubuntu sind modularer aufgebaut, sodass weniger Teile des Betriebssystems voneinander abhängen.

Windows läuft dagegen auf Hunderttausenden unterschiedlichen Laptops und Desktop-PCs von Tausenden Herstellern mit jeweils eigenen Treibern. Es gibt nahezu unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten, und es ist unmöglich, jede denkbare Variante vorab durchzuspielen.

Dennoch entließ Microsoft vor vier Jahren einen Teil seiner professionellen Tester, die genau dafür zuständig waren. Der Konzern wollte seine Produktentwicklung auf agile Methoden umstellen: flexibler, kleinteiliger und schneller. Statt eines großen Upgrades auf eine neue Windows-Version alle zwei bis drei Jahre, wird Windows 10 halbjährlich aktualisiert. Sogenannte Windows-Insider erhalten die Updates vorab und sollen sie testen, bevor sie für die mehr als 700 Millionen Windows-10-Nutzer freigegeben werden.

Private Anwender als Versuchskaninchen für Unternehmen

Doch mehr als zehn Millionen freiwillige Betatester sind offenbar nicht genug. Das Oktober-Chaos war besonders übel, aber auch davor gab es immer wieder Ärger. Der gut vernetzte Microsoft-Experte Peter Bright glaubt nicht, dass die vielen Fehler an den kürzeren Veröffentlichungszeiträumen liegen.

Tatsächlich war man auch bei vorhergehenden Windows-Versionen meist gut beraten, auf das erste Service Pack zu warten, das die gröbsten Probleme beseitigte. Vielmehr seien Microsofts interne Abläufe verantwortlich, schreibt Bright beim Tech-Portal Ars Technica. Oft werde nicht oder kaum getesteter Code implementiert. Es bleibe wenig Zeit, um Fehler zu erkennen und zu beseitigen.

So werden die Windows-Insider zu Alpha-Testern, die sich mit instabiler Software herumschlagen. Microsoft weist selbst daraufhin, dass sich Vorab-Versionen nicht für Rechner eigneten, die für den produktiven Einsatz gedacht sind. Doch auch als normaler Nutzer, der auf ein zuverlässiges Betriebssystem angewiesen ist, fühlt man sich bisweilen wie ein Betatester. Private Anwender scheinen teilweise als Versuchskaninchen für Unternehmen zu dienen, die für Microsoft noch wichtiger sind. Diese Enterprise-Kunden können Updates zurückstellen und erst installieren, wenn Microsoft die Kinderkrankheiten behoben hat.

Cursor weg vom Update-Button!

Für alle anderen Kunden geht das nur eingeschränkt. Wer die Pro-Version von Windows 10 besitzt, kann Aktualisierungen eine Zeitlang verzögern. Die Optionen finden sich in den Einstellungen unter "Update und Sicherheit > Erweiterte Einstellungen". Mit der Home-Version, die auf den meisten Rechnern vorinstalliert ist, fällt das schwerer. Nutzer müssen Systemeinstellungen in der Registrierungsdatenbank ändern, das Netzwerk als getaktete Verbindung festlegen oder auf Programme von Drittherstellern zurückgreifen. Alle Varianten haben ihre Nachteile und sind nur für erfahrene Anwender zu empfehlen, die wissen, was sie tun.

Zumindest zwei Ratschläge gelten für alle Windows-Nutzer gleichermaßen. Erstens: Cursor weg vom Update-Knopf: Wer in den Einstellungen auf "Nach Updates suchen" klickt, stößt den Aktualisierungsprozess automatisch an - selbst wenn Windows selbst eigentlich noch gewartet hätte. Das ist fast immer eine schlechte Idee.

Zweitens: Regelmäßige Back-ups machen Datenverluste erträglicher. Sicherungskopien sollten ohnehin zur täglichen Routine gehören, vor größeren Updates sind sie Pflicht. Denn beim Glücksspiel auf sein Glück zu vertrauen, hat schon viele Menschen unglücklich gemacht. Auch beim Windows-Roulette gewinnt meist die Bank.

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