Kino:Alles schaut dich an

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Tilda Swinton leitet die schwarzmagische Tanzkompanie in „Suspiria“ – und sie spielt in dem Film noch zwei weitere Rollen. (Foto: Verleih)

Dario Argentos "Suspiria" ist ein Horrorklassiker, Schauplatz: Deutschland 1977. In seinem Remake nimmt Luca Guadagnino Zeit und Ort nun ernst - und inszeniert einen Deutschen Herbst voller Hexen.

Von Philipp Stadelmaier

West-Berlin, Ende der Siebzigerjahre. Der Wind bläst durch die düsteren Straßen, als würde er die junge Frau gegen ihren Willen vor sich hertreiben, durch einen Hauseingang, hoch die Treppe, einen Korridor entlang und ins Kabinett des Psychotherapeuten. Doch auch dort kommt sie nicht zur Ruhe, wirbelt im Raum herum, stammelt seltsames Zeug: Die berühmte Berliner Tanzkompanie, der sie angehört, würde von Hexen geführt. Ganz anders der Arzt: Regungslos bleibt er hinter seinem Schreibtisch, fixiert sie durch dicke Brillengläser, notiert auf einem Notizblock die Diagnose: "Wahnvorstellungen."

Von Anfang an offenbart sich hier eine unsichtbare Kraft, welche die Körper umherschleudert oder immobilisiert. Ein Vorgeschmack darauf, dass hier okkulte Gewalten am Werk sind, die im Verborgenen operieren, aber durch allerhand verstreute Zeichen in die Präsenz drängen. Immer wieder blitzen in Großaufnahmen verschiedene Gegenstände im Zimmer des Arztes auf: die schwarz-weiße Fotografie einer Frau an der Wand, ein Kästchen mit einem seltsamen Zeichen, ein Buch des Psychiaters Carl Gustav Jung. Der Film lenkt den Blick auf die Details: Überall lauern Geheimnisse, verborgene Bedeutungen.

Dies ist auch später so, wenn eine andere junge Frau eine Berliner U-Bahn-Station betritt. Links oben in der Einstellung, versteckt in der Ausschilderung der Station, taucht der Titel des Filmes auf: "Suspiria". Über der Frau prangt das Zeichen für "Durchgang Verboten". Hier hat sich jemand für einen bestimmten Weg entschieden, es gibt kein Zurück mehr.

Kein Weg zurück, das ist auch das Motto von Susie (Dakota Johnson). Sie ist ihrer streng christlichen Familie im amerikanischen Ohio entflohen, nun ist sie hier, um zu tanzen - in der Truppe von Madame Blanc (Tilda Swinton). Aber schnell wird klar, dass es auch aus der Villa der Kompanie kein einfaches Entkommen mehr gibt. Denn Abhauen, das wollte die Tänzerin, die wir anfangs im Kabinett des Psychotherapeuten gesehen haben. Mittlerweile ist sie spurlos verschwunden.

Susie wird ihren Platz einnehmen und die Hauptrolle spielen in dem Stück, das gerade vorbereitet wird. Es ist eine gefährliche Rolle, wie man ihr versichert. Man versteht auch bald, wieso. Während Susie tanzt, setzt sie eine unsichtbare, brutale Energie frei: Parallel sieht man, wie in einem anderen, leeren Raum eine renitente Schülerin wie von einer unsichtbaren Hand durch die Gegend geschleudert und zerquetscht wird. Madame Blanc und die anderen Leiterinnen der Kompanie sind tatsächlich Hexen. Die Tanzkunst, die sie praktizieren, kann tödliche Folgen haben.

"Suspiria", der auf den Filmfestspielen in Venedig dieses Jahr seine Premiere feierte, ist Luca Guadagninos Remake des gleichnamigen Horrorklassikers von Dario Argento aus dem Jahr 1977. Dass er den Tanz in den Vordergrund stellt, ist schon mal der offensichtlichste Unterschied zum Original. Argento hatte ein paar harmlose Ballettszenen in seinem Film - ihm ging aber darum, ein Meisterwerk der Farben schaffen. Dem Blut konnte man seine Künstlichkeit ansehen, einige Einstellungen erinnerten an Kandinsky-Gemälde, und das rote und das blaue Licht markierten Zonen unterschiedlicher Gefährdung für die Hauptfigur, die ebenfalls Amerikanerin war und Susie hieß.

Susie nahm damals vom Münchner Flughafen schnell das Taxi zu ihrer Tanzakademie, die laut Drehbuch im vierhundert Kilometer entfernten Freiburg lag - für Argento war Deutschland ein künstliches Märchenland, in dem Realismus nichts verloren hatte. Guadagnino dagegen geht tief in die deutsche Geschichte hinein - eine dankbare Lücke, die der Vorgängerfilm ihm gelassen hat. Das Haus der Tanzakademie versetzt er in einen konkreten historischen Kontext - nach West-Berlin, direkt neben die Mauer. Seinen Film lässt er in genau dem Jahr spielen, in dem Argentos Film herauskam - 1977, mitten im Deutschen Herbst. Die Tänzerin, die anfangs verschwindet, hat sich politisch engagiert, mit der RAF sympathisiert. In ihrem Notizbuch findet sich neben den Namen der Hexen auch der Name von Ulrike Meinhof, und im Laufe des Films flimmern die Bilder der Landshut-Maschine über die Fernsehschirme, die von palästinensischen Terroristen nach Mogadischu entführt wurde - gefolgt von den Bildern der toten deutschen Terroristen in Stuttgart- Stammheim. Die Hexerei ist hier auch eine Metapher für Terrorismus.

Hexerei ist hier die Kraft der emanzipierten Frauen - Männer spielen keine Rolle

Das wertet sie jedoch keineswegs ab, sondern macht sie im Gegenteil erst richtig ambivalent. Denn sie steht hier auch für die Kraft von emanzipierten Frauen, die sie als Waffe in ihren internen Machtkämpfen verwenden. Argentos Susie war ein Opfer, ein zartes Mädchen, das durch viel Horror musste, um am Ende mit erleichtertem Seufzen die Tanzakademie verlassen zu dürfen. Die von Dakota Johnson gespielte Tänzerin ist eine junge Frau, die weiß, was sie will - und weniger unter den geheimen Kräften leidet, als dass sie diese immer mehr zu ihren eigenen macht. Konsequenterweise ist der Film fast ausschließlich weiblich besetzt, mit fantastischen Schauspielerinnen wie Angela Winkler, Ingrid Caven und Tilda Swinton. Noch der Psychotherapeut, laut Filmplakat gespielt von einem gewissen Lutz Ebersdorf, wird in Wahrheit von Swinton verkörpert, die neben ihm und Madame Blanc sogar noch eine weitere Rolle spielt. Dass man die ganze Zeit glaubt, einen Schauspieler zu sehen, den es gar nicht gibt, hat auch schon etwas von Hexerei.

Vielleicht ist er deswegen eine Schlüsselfigur des Films. Sein Name, Dr. Josef Klemperer, spielt auf den jüdischstämmigen Philologen Victor Klemperer an, der die Nazizeit in Deutschland überlebt hat. Auch der Klemperer im Film ist nicht geflohen - hat aber damals seine Frau verloren. Irgendwann steht sie wieder vor ihm. Gemeinsam gehen sie an der Tanzschule vorbei. Und dann passiert etwas, was einem das Blut in den Adern gefrieren lässt.

"Warum sind sich nur alle sicher, dass das Schlimmste vorbei ist?" Dieser im Film geäußerte Satz steht für eine mögliche Wiederkehr von Terror und Faschismus, was im Augenblick wieder hochaktuell ist. Es geht um die zerstörerischen Kräfte in Kollektiven, in einem Land ebenso wie in einer Tanzgruppe. So tanzen die okkulten Kräfte im neuen "Suspiria" auf dem Abgrund der deutschen Geschichte, aus dem alte Gewalt und alter Schmerz in die Gegenwart zurückkehren.

Suspiria , Italien / USA, 2018. - Regie: Luca Guadagnino. Buch: David Kajganich, Dario Argento, Daria Nicolodi. Mit Dakota Johnson, Tilda Swinton, Angela Winkler, Ingrid Caven, Mia Goth, Chloe Grace Moretz, Elena Fokina. Verleih: Koch Medien / Capelight / Central, 152 Min.

© SZ vom 14.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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