Tischtennis:Der Magnet und die Zauberer

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Er hat Spaß: Europameister Timo Boll, 37, bei einem seiner seltenen Schaukampf-Auftritte. (Foto: Marco Einfeldt)

Knapp 700 Zuschauer kommen zum Tischtennis-Schaukampf in die Halle des VfB Hallbergmoos. Sechs Weltklassespieler bemühen sich um ein großes Spektakel.

Von Andreas Liebmann, Hallbergmoos

Ricardo Walther und Stefan Fegerl gaben alles. Sie brüllten und stöhnten, sie streckten und verbogen sich, sie witzelten und zauberten - und irgendwann hatten sie einfach Glück. Der Superstar am Nebentisch war fertig. Bis dahin hatte das Publikum allenfalls eine halbes Auge für ihr Spektakel übrig gehabt, denn nebenan spielt nun mal Timo Boll. Der siebenmalige Tischtennis-Europameister.

Als Boll dann fertig war mit seinem ersten Einzel, ein lockerer Sieg in drei Sätzen, da gab es endlich auch begeisterten Applaus für die knallharten Schläge des spinnenbeinigen Österreichers Fegerl und für den Deutschen Ricardo Walther, der sein ganzes Repertoire auspackte: von brachialen Rückhandschüssen über Serien von Halbdistanz-Topspins bis hin zu Ballonabwehrbällen, für die er - wie sich das bei Schaukämpfen gehört - während des Ballwechsels über die Bande stieg. Beide, Fegerl wie Walther, waren schon Mannschaftseuropameister, der eine wird auf Position 67 der Weltrangliste geführt, der andere auf Rang 42, beide standen auch mal am Rande der Top 20. Zunächst aber hatten die Zuschauer nur Augen für Boll, dem die Auslosung ein Duell mit dem Rumänen Ovidiu Ionescu beschert hatte. Die Wiederholung des EM-Finales von Alicante vor sieben Wochen. Boll siegte 11:6, 11:6, 11:7.

Es war keine Frage, für wen die meisten der gut 650 Zuschauer am Montagabend nach Hallbergmoos gekommen waren. Der Leiter der gastgebenden Tischtennisabteilung, Harald Matzkowitz, hatte vorab bekundet, dass es den aufwendigen und kostspieligen Wettkampf überhaupt nur unter der Bedingung geben werde, dass Boll tatsächlich mitspielte, und er kann sich im Nachhinein durchaus etwas darauf einbilden, dass das geklappt hat. Denn Boll ist 37 und muss mit seinen Kräften haushalten, weshalb er sich aus Schauveranstaltungen wie diesen üblicherweise heraushält. Matzkowitz, im schwarzen Sakko, begrüßte den Altmeister entsprechend als "den Unglaublichen, Unfassbaren, Unnachahmlichen", dem er schon zu so manchem Turnier hinterhergereist sei, weshalb er es als fair empfinde, dass nun auch Boll ihm mal einen Besuch abstatte. Dann trug sich Boll, stellvertretend für das anwesende Weltklasse-Sextett, noch ins Goldene Buch der Gemeinde ein, das sich Bürgermeister Harald Reents schnappte und wie eine Schatzkiste unter dem Arm von dannen trug.

Boll hatte gute Laune, das sah man. Er lächelte vom ersten Ballwechsel an, wenngleich er auch den ersten missratenen Return gleich mit einem irritierten "Oh" kommentierte. Ansonsten machte er eben das, was er so macht: Er spielte Tischtennis. Elegant, ökonomisch. Mit zwei, drei extrem krummen Rückspins verzückte er die Experten, oder mit der Art, wie er nah am Tisch mit schnellen Topspins gegnerische Angriffsbälle erwiderte. Gegen den in der TTBL für Fulda aktiven chinesischen Abwehrkünstler Wang Xi musste er dann über volle fünf Sätze gehen. Er gewann, sonst hätte das Finale ohne ihn stattgefunden. "Es ist so ein Zwischending", erklärte er danach, "Ziel ist es schon, ein paar schöne Bälle zu spielen. Am Nachbartisch waren es sicher mehr als bei uns." Er und Wang hätten die Partie doch "relativ seriös genommen, auch als Training". Für die Show waren die anderen zuständig.

Fast eine Dreiviertelstunde verschwinden die Profis hinter Schlangen von Autogrammjägern

Ruwen Filus zum Beispiel, wie Wang ein Defensivspieler, der aber auch allerhand wuchtige Angriffsschläge beherrscht. Der 30-Jährige ist die Nummer 27 der Welt, Anfang des Jahres stand er unter den Top 20. Gegen Ricardo Walther war er unterlegen, beide hatten dabei allerhand Tricks für das Publikum ausgepackt. Gegen den Österreicher Fegerl zeigte er unfassbare Ballwechsel, weil er mit seiner Rückhand jeden der knallharten Vorhandschläge des Österreichers aus großer Distanz zurückbrachte. Da gab es sogar tosenden Applaus und Gejohle, obwohl am Nebentisch Boll gerade gegen Wang im fünften Satz stand. Filus unterlag dann trotzdem und erklärte keuchend: "Für uns Abwehrspieler ist so ein Schaukampf fast härter, weil die Angreifer versuchen, viel mehr Bälle auf den Tisch zu spielen als sonst. Da kommen längere Ballwechsel zustande, bei denen wir ständig vor, zurück und zur Seite laufen müssen. Im Wettkampf passiert das seltener."

Filus war vor einigen Monaten auch bei einem vergleichbaren Schaukampf in Fürstenfeldbruck dabei gewesen, mit den Altmeistern Jörgen Persson und Jean-Michel Saive - aber eben ohne Boll. Die Stimmung diesmal war eine ganz andere. "Timo ist einfach ein Magnet. Wenn er da ist, ist das einfach etwas ganz Besonderes, dann sind die Hallen immer voll", sagte Filus.

Nach der Vorrunde waren die Spieler dann plötzlich verschwunden. "Hier geht keiner ohne ein Autogramm", hatte Matzkowitz eingangs gescherzt, und tatsächlich war das Sextett dann für fast eine Dreiviertelstunde nicht mehr zu sehen hinter dichten Schlangen von Menschen, die um Unterschriften und Selfies baten. "Die waren sehr geduldig", fand Matzkowitz, in manch anderer Sportart wäre das bei Athleten dieser Klasse sicher undenkbar gewesen.

Im Finale traf Boll dann auf Fegerl - und war zwei Sätze lang ohne Chance. Im dritten hatte er Matchbälle gegen sich, die er sogar mithilfe von Kantenbällen abwehrte. "Alle waren schon traurig, dass das in drei Sätzen vorbeigeht", sagte Matzkowitz. Seit 36 Jahren leitet er die kleine Tischtennisabteilung, die mit vereinten Kräften diesen Abend ermöglicht hatte, als einen Höhepunkt in ihrer Historie. Auch für Matzkowitz selbst ging also ein großer Augenblick zu Ende. Dann gewann der Europameister doch noch den dritten Satz; den vierten; und im fünften war bei Fegerl der Faden gerissen. Der Sieger hieß Boll. Natürlich.

© SZ vom 14.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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