Artenschutz:Das große Verschwinden

Jahresbilanz des WWF

Ein Finnwal (Balaenoptera physalus) schwimmt im Golf von Kalifornien (Mexiko).

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Der Bericht der Weltnaturschutzunion beginnt mit einer guten Nachricht: den Berggorillas und Finnwalen geht es wieder etwas besser.
  • Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass weltweit die Zahl der Arten dramatisch zurückgeht.
  • Niemand weiß, wie viele Arten jedes Jahr aussterben. Schätzungen zufolge sind es mindestens 20 000 pro Jahr, vielleicht sogar 60 000.

Von Tina Baier

Zuerst die guten Nachrichten: Den Finnwalen geht es wieder besser und auch für die Berggorillas gibt es Hoffnung. Das geht aus der aktualisierten Roten Liste hervor, die die Weltnaturschutzunion (IUCN) am Mittwoch veröffentlicht hat. Die Zahl der Finnwale hat sich demnach seit den 1970er Jahren wieder verdoppelt. Schätzungsweise 100 000 fortpflanzungsfähige Tiere gibt es derzeit etwa. "Diese Wale erholen sich, weil die kommerzielle Jagd auf sie verboten wurde und weil internationale Abkommen zu ihrem Schutz abgeschlossen wurden", sagt Randall Reeves, der bei der IUCN für die Meeressäuger zuständig ist.

Ähnliches gilt für die Berggorillas, deren Status sich in der aktuellen Roten Liste von "vom Aussterben bedroht" auf "stark gefährdet" verbessert hat. Mittlerweile wird die Zahl der Berggorillas in den Wäldern Ruandas, Ugandas und der Demokratischen Republik Kongo auf etwa 1000 geschätzt.

Das ist schön, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass weltweit die Zahl der Arten dramatisch zurückgeht. Keiner weiß, wie viele Arten jedes Jahr aussterben, Schätzungen zufolge sind es mindestens 20 000 pro Jahr, vielleicht sogar 60 000. Die meisten von ihnen sind nicht so spektakulär wie Finnwale und Berggorillas. Und viele von ihnen sterben aus, bevor sie überhaupt entdeckt wurden.

"Wir wissen nicht, wie viele Arten es auf der Erde gibt, deshalb können wir auch nicht sagen, wie viele davon gerade aussterben", sagt Michael Schrödl, Artenforscher an der Zoologischen Staatssammlung in München. "Das Erreichte ist mager und wird den unglaublichen Dimensionen des Massenaussterbens nicht gerecht", sagt auch Christoph Heinrich vom WWF Deutschland. An der katastrophalen Gesamtlage hat sich nach Einschätzung des WWF trotz kleiner Erfolge bei einzelnen Arten nichts verändert.

Nach Ansicht vieler Biologen hat die Menschheit das sechste großen Artensterben der Erdgeschichte ausgelöst. Das fünfte ereignete sich vor etwa 65 Millionen Jahren und raffte etwa die Hälfte aller damals lebenden Tierarten einschließlich der Dinosaurier dahin.

Um Zeuge dieses Phänomens zu werden, muss man gar nicht nach Afrika oder Asien schauen. "Es passiert direkt vor unserer Haustür", sagt Schrödl. Der Wissenschaftler hat sich unter anderem auf die Suche nach den vielen verschiedenen Schneckenarten gemacht, die es der Literatur zufolge in Bayern gibt. "Wir haben nur noch die Hälfte der beschriebenen Arten gefunden", sagt er.

Das ist zwar noch kein Beweis, dass die anderen Arten bereits ausgestorben sind. Doch auch wenn Lebewesen sehr selten werden, kommen sie ziemlich schnell an einen Punkt, an dem sie sich nicht mehr erholen können und früher oder später verschwinden. Das hat zum einen einen ganz praktischen Grund: Seltene Tiere haben Schwierigkeiten, einen Partner zur Paarung zu finden, weil sie sich schlicht nicht mehr über den Weg laufen.

Der zweite Grund ist etwas komplizierter: Wenn sich in einer Tierpopulation nur immer wieder die gleichen Tiere miteinander fortpflanzen, geht mit der Zeit die genetische Vielfalt der Spezies verloren. Bei jeder Paarung werden immer wieder die selben Erbanlagen weitergegeben. Es entsteht eine Art Inzucht, die dazu führt, dass die Tiere anfälliger für Krankheiten werden. Außerdem können sich solche Arten nicht mehr so schnell anpassen, wenn sich ihr Lebensraum verändert. Ihnen fehlt schlicht die genetische Vielfalt, die dazu notwendig ist. Selbst mit den größten Bemühungen ist eine solche Art dann auf Dauer nicht zu retten.

Konsequenzen vielerorts bereits spürbar

Anders als die früheren Massensterben, ist der jetzige Artenschwund menschengemacht. "Wir Menschen verbrauchen bereits viel mehr Ressourcen als zur Verfügung stehen, überfischen und vergiften die Ozeane, verbauen und veröden riesige Landflächen...", schreibt Schrödl in seinem gerade erschienen Buch "Unsere Natur stirbt".

Die Konsequenzen sind vielerorts bereits spürbar, zu diesem Ergebnis kommen auch die Autoren der aktuellen Roten Liste. Beispielsweise sind mittlerweile neun Prozent der 458 Fischarten im ostafrikanischen Malawisee kurz vor dem Aussterben, weil das Gewässer stark überfischt ist. Darunter sind viele Speisefische, von denen die Ernährung von ungefähr einem Drittel der malawischen Bevölkerung abhängt.

"Das Überleben von mindestens zwei Milliarden Menschen hängt von Süßwasser-Fischerei wie am Malawi-See ab", sagt William Darwall, der bei der Weltnaturschutzunion für den Bereich der Süßwasser-Arten zuständig ist. Wenn es in den Seen der Welt keine Fische mehr gibt, verhungern früher oder später Menschen.

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