Essen und Trinken:Forst Class

Waldküche

Waldbrand in der Pfanne: Flambierter Fisch mit Kiefernzapfen, Nadeln und Spänen - das gibt ein harzig-rauchiges Aroma.

(Foto: Armin Huber)

Gebratene Zapfen, frittierte Flechten, Latschenpesto: Zutaten aus dem Wald inspirieren zurzeit viele Köche. Ein Besuch bei Barbara Untermarzoner in Südtirol.

Von Titus Arnu

Barbara Untermarzoner betritt die Küche mit einem Ast unter dem Arm. Sie legt den Latschenkieferzweig auf die Arbeitsfläche und beginnt zu zupfen, eine mühsame, meditative Arbeit. Nach ein paar Minuten hat sie zwei Handvoll grüne Nadeln zusammen, wirft sie in einen Standmixer, gießt 250 Milliliter Rapsöl dazu, fügt ein Bund frische Petersilie sowie eine halbe Handvoll Sonnenblumenkerne hinzu und drückt auf den Startknopf. Der Mixer hat ordentlich zu arbeiten, es knackt und kracht, aber nach ein paar Minuten hat sich eine grüne Creme gebildet, und ein ätherisches, würziges Aroma erfüllt den Raum. Es erinnert entfernt an ein Latschenkiefer-Schaumbad. Wenn man die Augen schließt, meint man, im Wald zu stehen.

Wer die Augen wieder öffnet, kann aus dem Küchenfenster den Wald auch sehen: Man blickt erst auf ein Kräuterbeet, eine Wiese und dann auf hohe Tannen. Das Hotel "Tann", in dem Barbara Untermarzoner am Herd steht, liegt an der Tannstraße auf dem Ritten bei Bozen, umgeben von Nadelbäumen. Ihre Küche wirkt ein bisschen so, als wären Eichhörnchen für die Einkaufsliste verantwortlich: In den Regalen stehen Gläser und Dosen mit Wacholderbeeren, Tannenzapfen, Fichtensprossen, getrockneten Pilzen, Wurzeln, Blüten, Nadeln, Kräutern und Nüssen.

Der Wald ist also nicht nur Kulisse und Namensgeber für das Hotel, er ist auch das Thema des Restaurants. "Waldküche" nennt Barbara Untermarzoner ihre Art zu kochen; sie verwendet gerne Zutaten, die sie bei ihren täglichen Spaziergängen in der Umgebung sammelt, sie konserviert Früchte, Nüsse und Pilze nach althergebrachten Methoden und kreiert neue Gerichte damit. Sie kombiniert Meeresfisch mit Holznoten, Waldkräuter mit Früchten und Pasta mit Latsche. Beim Abendmenü spielt die hellgrün leuchtende Paste eine wichtige Nebenrolle: Das Latschenpesto gibt den Rote-Bete-Capeletti aus Kamutmehl eine erfrischende, ätherische Note. Zudem serviert Gastgeber Markus Untermarzoner Teigtaschen mit Bresaola und "Waldgewürz" (Zirbenholzpulver), dann gibt es Wolfsbarsch mit "Tschurtschen" (Kiefernzapfen), auf einem Zirbenbrett gegart. Selbst das Quellwasser ist mit Zirbenholz aromatisiert. Nur der Wein schmeckt nicht holzig, zum Glück.

Auch Blätter einiger Baumarten wie Ulme, Linde, Hasel und Rotbuche sind essbar

Archaische Zutaten aus dem Wald gelten spätestens seit dem Erfolg der nordischen Küche nicht mehr als hinterwäldlerisch, ganz im Gegenteil. Der dänische Starkoch René Redzepi hat sein Restaurant "Noma" mit frittierten Flechten, Birkensaft oder einem Dip aus schwarzen Ameisen weltberühmt gemacht. Der Südtiroler Zwei-Sterne-Koch Heinrich Schneider bereitet mit den Kräutern, Pilzen und Moosen, die er rund um sein Restaurant "Terra" im Sarntal findet, höchst kreative Menüs zu. Und der Schweizer Öko-Vorreiter Stefan Wiesner betreibt in seinem Restaurant "Rössli" in Escholzmatt schon seit Jahrzehnten konsequent eine naturnahe Experimentalküche, die ebenso avantgardistisch wie abenteuerlich wirkt - er kocht mit Holzspänen, stellt Miso aus Zirbenholz her, zermahlt Steine zu Mehl, beschallt Bergsalz mit Heavy-Metal-Musik und mariniert Kürbis mit Ameisensäure (wobei die Insekten am Leben bleiben). Der Trend ist auch in Großstädten wie Berlin angekommen, wo man eigentlich an jeder Ecke etwas Ordentliches zu essen kaufen kann: Beim "Foraging" streifen selbsternannte Waldmeister durch Parks und Wälder, um Hagebutten, Nüsse und Löwenzahn aufzuklauben.

Kreative Selbstversorgung mit Zutaten aus der Natur - das wirkt wie eine Gegenbewegung zur durchgestylten, hochartifiziellen Molekularküche, bei der Lebensmittel dekonstruiert und in etwas Neues transformiert wurden. Die Waldküche kann man auch als Antwort auf Fertigpizza und Convenience Food, auf Verschwendung und Plastikmüll verstehen. Kaum etwas scheint nachhaltiger als das behutsame Sammeln und Zubereiten von Ressourcen, die der Wald bietet. Die Waldküche war vermutlich die erste und natürlichste Ernährungsform der Menschheit: Lange bevor Getreide angebaut und Tiere gehalten wurden, sammelten unsere Vorfahren Beeren, Nüsse, Kräuter und Blätter, um zu überleben. Der Wald ist eine riesige Vorratskammer, und immer mehr Köche entdecken auch Zutaten wie Bucheckern, essbare Wurzeln, Eicheln oder ungewöhnliche Pilzarten wieder. Kochbücher zur Baumküche rufen in Erinnerung, dass auch die Blätter einiger Baumarten wie Ulme, Linde, Hasel und Rotbuche essbar sind. "Der Wald gibt vieles her, wir hatten das nur vergessen", sagt Barbara Untermarzoner.

Waldküche

Das Rinderfilet ist mit Waldkräutern gewürzt.

(Foto: Armin Huber)

Für Stefan Wiesner ist seine Art zu kochen Teil einer eigenen Naturphilosophie. René Redzepi orientiert sich am Verlauf der Monate, Teile seines Herbstmenüs lesen sich wie ein Protokoll der jahreszeitlichen Entwicklung des Waldes. Barbara Untermarzoner dagegen ist weit entfernt davon, ihre Arbeit philosophisch zu unterfüttern. Sie inszeniert ihre Gerichte auch nicht mit Trockeneisnebel und verwendet lieber schlichte Teller statt Granitbrocken oder Rindenstücke, wie es manche Restaurants gerne tun. Von ihrer Großmutter und ihrer Mutter hat sie gelernt, besondere Bodenschätze zu finden: "Als Kinder haben wir Tüpfelfarn gesammelt, er wächst auf Steinen", erzählt Barbara Untermarzoner, "wir haben die Wurzeln ausgegraben und gekaut, das schmeckt wie Lakritze." In ihrem Restaurant verwendet sie die gemahlenen Wurzeln, auch "Engelsüß" genannt, für Desserts. In der Waldküche kommen auch wieder Nahrungsmittel zum Einsatz, die lange wegen ihres Mangels an Prestige vernachlässigt wurden. Gerstensuppe oder gebratene Fichtensprossen. Holzspäne in der Sauce waren früher eher ein Zeichen für bittere Armut als ein Beweis für avantgardistische Kochkunst.

Heute sind Sushi und Pizza alltäglicher als Latschenpesto und Brennnesseltee, das kulinarisch Besondere liegt deshalb nicht mehr in der Ferne, sondern vor der Haustür. "Der Gast ist übersättigt - italienisch, thailändisch, Molekularküche, vegan, die Trends kommen doch immer schneller nacheinander", sagt die Waldköchin. Eine Rückkehr zur naturnahen, regionalen Kost ist aus ihrer Sicht ein naheliegender Schritt, zumal ihre Spielart der Waldküche einfach und gesund ist.

"Unsere Gäste wollen bodenständig und regional essen, nicht exotisch."

Seit acht Jahren steht Barbara Marzoner hauptberuflich in der Küche und im Wald, davor arbeitete sie mit ihrem Mann zusammen im Management des Hotels. Sie hatte irgendwann genug davon, dass sich ihre Köche mit falsch verstandener Avantgardeküche und pseudomodernen Ansätzen selbstverwirklichen wollten. "Unsere Gäste wollen bodenständig und regional essen, nicht exotisch", sagt sie. Auf die große Show kann sie gut verzichten. "Meine Küche ist kein Labor, und meine Teller sind keine Kunstwerke, sondern geerdet", sagt sie. Und was könnte geerdeter sein als der Wald?

Waldküche

Die Köchin Barbara Untermarzoner in ihrem Lokal.

(Foto: Armin Huber)

Manchmal experimentiert Barbara Untermarzoner aber doch, brät Fleisch mit Kiefernzapfen an, um ihm ein harziges Waldaroma zu verleihen, oder legt Fichtensprossen sauer ein wie Essiggurken. Aus Zirbenholz macht sie ein Pulver, dass sie als Gewürz über Pasta und Fleisch streut. Das Latschenpesto ist übrigens keine neue Erfindung, in Südtirol haben die Bauern bereits Baumnadeln im Mörser zerquetscht, lange bevor Standmixer erfunden wurden. Die ätherischen Öle tun dem Magen gut, unterstützen das Immunsystem und sind hilfreich bei Erkältung. "Wenn ich als Kind früher krank war, kochte meine Mutter mir Fichtentee", erzählt Barbara Untermarzoner. Das ist kein Hexenwerk: Einfach einen frischen Fichtenzweig mit heißem Wasser überbrühen, ziehen lassen - fertig. Der Tee hat ein erstaunlich kräftiges, würziges Aroma. Im Gegensatz zur Latsche schmeckt Fichte viel frischer, fast grasig.

Barbara Untermarzoner liebt ihren Wald. Täglich spaziert sie dort mindestens eine halbe Stunde lang und hält Ausschau nach Pilzen, Beeren und Wurzeln. Oft läuft sie dabei barfuß, um den Waldboden besser zu spüren. Letzten Sommer hat sie sich mal im Wald verloren: "Ich lag auf einer Lichtung, habe die Wolken beobachtet und komplett die Zeit vergessen", erzählt sie. Sie kam gerade noch rechtzeitig fürs Abendmenü zurück.

Gut möglich, dass ihre Gerichte an diesem Abend besonders frisch und natürlich geschmeckt haben.

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