Energieversorgung:Wenn kein Heizgas mehr kommt

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Bowanenkowo in Sibirien, gleich nördlich des Urals: eines der Gasfelder, von wo aus Deutschland mit Energie versorgt wird.

(Foto: Alexander Zemlianichenko Jr./Bloomberg)

Angenommen, auf einen Rekordsommer folgte ein Rekordwinter - und die Pipelines aus Russland, Norwegen oder den Niederlanden blieben leer. Jetzt üben Katastrophenschützer, was dann zu tun wäre.

Von Michael Bauchmüller, Bonn

Die Nachrichten vom 3. Februar wirken bedrohlich, dabei ist der Höhepunkt noch lang nicht erreicht. Das Fernsehen bringt eine Sondersendung zur Frostwelle. "In Süddeutschland sind die Temperaturen weiter gefallen", sagt der Sprecher. "Die Füllstände in den Gasspeichern sind mittlerweile erheblich gesunken." Das Unglück nimmt seinen Lauf.

Der Sprecher ist von der Tagesschau geliehen, Thorsten Schröder, doch gesendet wird nicht im Ersten, sondern bei "Lükex TV". Die Sendung ist Teil einer groß angelegten Katastrophenübung, die für kommende Woche geplant ist: Bund und Länder proben den Fall eines Engpasses in der Gasversorgung. Lükex, die "Länderübergreifende Krisenmanagementübung", soll klären, wer was tun muss, um das Schlimmste zu verhindern. "Manche behaupten ja, für so einen Engpass müssten viel zu viele Faktoren zusammenkommen", sagt Christoph Unger, Chef des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). "Da kann ich nur sagen: Für Fukushima musste auch eine Menge zusammenkommen." Besser, man mache sich vorher auf alles gefasst.

Das Drehbuch ist faustdick und in seinen Einzelheiten ein Staatsgeheimnis. Choreografiert wird es von einem Waldrand bei Ahrweiler aus, dort liegt die BBK-Akademie für Krisenmanagement. Nächste Woche wird sie für zwei Tage lang das Zentrum der Krise, von hier aus wird der Notfall simuliert. Behörden in Bund und Ländern, Netzbetreiber und Unternehmen müssen darauf reagieren - auf einen Ernstfall, der fiktiv am 30. Januar 2019 seinen Lauf nimmt, wenige Tage später schon die Nachrichten bestimmt und sich dann immer weiter aufschaukelt.

Was man alles räumen muss: Kliniken, Seniorenheime, Gefängnisse

Im Schnitt alle zwei Jahre prüfen Bund und Länder so ihre Krisentauglichkeit. Monatelang bereiten sie sich vor, prüfen Zuständigkeiten und Kommunikationskanäle. "Erst einmal geht es darum, überhaupt die Konsequenzen zu verstehen", sagt Unger. "Und dadurch wird auch klar, wer mit wem sprechen muss." Ein großflächiger Stromausfall wurde schon geprobt, außerdem ein Terrorangriff mit biochemischen Waffen. 2015 fiel wegen der Aufnahme der Flüchtlinge eine Übung zu einer Sturmflut aus; die Behörden waren schon mit der Realität ausreichend beschäftigt. Verglichen mit Blackout, Terror oder Naturgewalten wirkt ein Engpass in der Gasversorgung harmlos. Ist er aber nicht.

Was er bis zu seinem Höhepunkt Mitte Februar anrichten könnte, lässt sich aus den Unterlagen zu der Katastrophenübung nur erahnen. Krankenhäuser etwa lassen sich nicht mehr beheizen, müssen also evakuiert werden. Das gleiche gilt vom Seniorenheim bis zum Knast. Büros bleiben leer, weil sie nicht mehr beheizt werden können: Die Arbeitsschutzregeln verlangen eine Raumtemperatur von 18 Grad Celsius. Menschen erkranken an Erkältungen, darunter aber dummerweise auch Ärzte und Apotheker. Leitungen frieren ein, obwohl sie frostfrei tief in der Erde verlaufen: Der Frost kommt über das Innere der Gebäude, wo die Leitungen ungeschützt liegen. Ställe, etwa Hühnerfarmen, lassen sich nicht mehr beheizen; Tiere verenden. Industriebetriebe stehen still und verlieren Millionen. "Das Ganze kann eine Eigendynamik annehmen, die ungeheure Ausmaße hat", sagt Tina Linti, Expertin für Krisenmanagement bei der Bundesbehörde. "Und das versuchen wir zu simulieren."

Zu diesem Zweck kommen in der Übung, nur zum Beispiel, auch soziale Medien ins Spiel. Sie heißen nicht Twitter und nicht Facebook, sondern Sheepper und Lükbook, gesteuert werden auch sie von Ahrweiler aus. Es sind die Kanäle, über die sich eine Panik entwickeln kann, über die Behörden aber eben diese auch verhindern können. Was etwa, wenn sich Gerüchte über Tote verbreiten, über Opfer der Kältewelle? Wie reagieren die Krisenstäbe in Bund und Ländern auf eine Panik? Wann etwa müsste sich die Bundesregierung erklären, müsste ein Kanzler oder eine Kanzlerin vor die Presse treten?

Der Chef sagt: "Übe so, wie du kämpfst." Er hat sich ein paar Schikanen ausgedacht

Frei erfunden ist der Engpass nicht, und nicht von ungefähr proben Behörden in Bayern und Baden-Württemberg besonders intensiv mit. Eine Gasknappheit hatte sich dort schon einmal angebahnt, 2012. Die Kälte hatte halb Europa im Griff, es kam zu wenig Gas an. Dann brach die Kälte ab, die Lage entspannte sich. Was aber passiert, wenn nach einem echten Rekordsommer mal ein echter Rekordwinter kommt? Anders als bei einem Blackout kommt das Problem hier nicht plötzlich, sondern schleichend. Die Speicher leeren sich peu à peu, für die Lükex-Übung wird zudem eine Lieferunterbrechung aus dem Ausland unterstellt, von wo auch immer. Etwa ein Drittel des Gases für Deutschland kommt aus Russland, ein Viertel aus Norwegen, ein Fünftel aus den Niederlanden.

In so einem Fall teilen sich die Verbraucher in die schützenswerten und die weniger schützenswerten. Geschützt etwa sind in der ersten Phase die privaten Haushalte, sie müssen auf Heizgas nicht verzichten. Unternehmen aber müssen ihren Verbrauch drosseln. Wie sich das aber durchsetzen lässt, soll die Übung zeigen. Einfach abklemmen lassen sie sich nicht vom Netz. Muss dann die Polizei anrücken? Wer entscheidet, welche Unternehmen zuerst dran sind? Was ist mit Unternehmen, die sich sträuben? Und was, wenn sich plötzlich die Politik einschaltet, weil sie Angst um einen wichtigen Arbeitgeber hat?

Die Übung soll den beteiligten Behörden auch solche Probleme nicht ersparen. Unger hat da eine einfache Maxime: "Train as you fight" - übe so, wie du kämpfst. Das betrifft auch die eigene Behörde, die in einem Betonklotz im Bonner Stadtteil Lengerich sitzt. In dem einstigen Arbeitsministerium von Norbert Blüm ist auch das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern untergebracht, vor 60 Monitoren und einer großen Bildschirmwand werden hier größere und kleinere Krisen bewältigt, vom Hochwasser bis zum Waldbrand. Das Lükex-Drehbuch kennt auch hier keiner - schließlich soll sich auch für die Krisenmanager des Bundes die Lage möglichst unverhofft entwickeln. Beheizt wird die Behörde übrigens mit Gas. Ist ja zum Glück nur eine Übung.

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