Carlsen vs Caruana:Darum gibt es so oft Remis bei der Schach-WM

  • Bei der Schach-WM häufen sich die Unentschieden zwischen Caruana und Carlsen.
  • Dafür gibt es viele Gründe - aber es liegt auch an der akribischen Vorbereitung der Teams der beiden Kontrahenten.

Von Johannes Aumüller

Fabiano Caruana dachte eine Weile nach, dann griff er zu einem Bauern und schob ihn ein Feld weiter nach vorne - in diesem Moment war die Siegchance dahin. 23 Züge lang hatte der Herausforderer aus den USA den Weltmeister Magnus Carlsen aus Norwegen unter Druck gesetzt. Doch dann verzichtete er in einer sehr komplizierten Stellung auf ein Manöver mit seiner Dame und wählte stattdessen den zurückhaltenden Zug seines Bauern auf h3. Ein wenig später verständigten sich die beiden Kontrahenten mal wieder auf ein Remis - wie schon in allen anderen Partien zuvor.

Acht Partien sind bei der Schach-WM im Londoner Holborn College gespielt, bevor es an diesem Mittwoch (von 16 Uhr an live auf sz.de/schachliveticker) weitergeht, sind es zwei Aspekte, um die sich die Debatten drehen. Erstens, dass der Herausforderer Caruana stabiler und besser vorbereitet wirkt als der Titelträger Carlsen. Zweitens, dass und warum es zu dieser auffälligen Remisflut kommt.

Grundsätzlich gibt es im Schach viel häufiger Unentschieden als beispielsweise beim Fußball, erst recht bei Weltmeisterschaften. Innerhalb der WM-Zweikämpfe der vergangenen zwei Dekaden fanden 109 reguläre Partien statt, 77 davon ohne Gewinner. Bei der Schach-WM 1984 zwischen Garry Kasparow und Anatolij Karpow gab es 17 Remise in Serie, wenn auch nicht zum Auftakt, sondern zwischendrin und unter völlig anderen Rahmenbedingungen für den Wettkampf. Schon vor 23 Jahren endeten beim Duell zwischen Kasparow und Viswanathan Anand die ersten acht Partien unentschieden. Und vor zwei Jahren, als Magnus Carlsen seinen Titel gegen Sergej Karjakin verteidigen musste, standen nach zwölf Partien zehn Remis und nur jeweils ein Sieg, ehe die Entscheidung in Tiebreak-Partien mit extrem verkürzter Bedenkzeit fiel.

Aber Carlsen und Caruana scheinen es nun auf die Spitze zu treiben. Dabei ist es keineswegs so, dass ihre Partien in London dröge sind; oft stecken Gemeinheiten und seltene Züge in den Eröffnungen. Und immerhin dreimal entwickelten sich richtig heikle Stellungen. Gleich in der ersten Partie war das der Fall, als Carlsen mehrmals Züge übersah, die ihn zum Gewinn hätten führen können.

In der sechsten Partie wiederum geriet Caruana in einen Vorteil, den zwar alle Beteiligten spürten. Aber das mögliche und fürs menschliche Auge sehr seltsam aussehende Manöver, das 36 Züge später hätte zum Matt führen können, erkannte nachvollziehbarerweise nur ein Supercomputer - und nicht Caruana in der sechsten Stunde dieses gedanklichen Abnutzungskampfes. Der dritte heikle Moment folgte am Montagabend, als Caruana in der achten Partie lange besser spielte, aber mit seinem zögerlichen Bauernzug seine Chance minimierte. "Er hat eine Variante gespielt, die sehr wenig ausbalanciert, sehr scharf ist. Ich war mental nicht bereit dafür", sagte Carlsen zu dieser Partie: "So war er es, der den ganzen Spaß hatte."

Aber der ganz große Wagemut war bisher noch nicht zu sehen; es gibt durchaus ein paar Ansätze, warum es so oft zu Remisen kommt. Einer davon liegt ganz klassisch in der Psychologie eines solchen Turnieres. Es geht nun mal nicht um eine Partie, sondern um eine Serie von zwölf Partien, und je länger ein Gleichstand anhält, umso mehr hat eine Niederlage entscheidenden Charakter. Da will es besonders gut überlegt sein, wann das Risiko schon angemessen ist.

Entscheidend ist die "Theorie"

Aber es spielt auch gravierend die Vorbereitung hinein. Schachspieler sind zwar verblüffend stark darin, zu kombinieren und vorauszuschauen, wenn sie am Brett sitzen. Aber insbesondere in der Anfangsphase beruhen sehr viele Züge nicht auf einer plötzlichen Eingebung, sondern auf der sogenannten "Theorie", für die Vor- und Nachteile eines jeden Zuges ausführlich analysiert sind. Und die Zugumfänge, für die Spieler dieses theoretische Wissen besitzen, steigen immer weiter.

Monatelang sitzen sie daher vor einem solchen Turnier mit einem Sekundanten-Team zusammen, mit riesigen Datenbanken und Hochleistungs-Rechern, und prüfen, ob es in einer Eröffnung irgendeinen Zug gibt, der den Gegenüber überraschen könnte - und dessen Finesse der Gegenüber dann am Brett erkennen muss. Aber auch nach jeder Partie inspiziert das Sekundenteam jeden Zug des Gegners, um gegebenenfalls bessere Antworten zu entwickeln. Manchmal, wenn die Schachspieler grübelnd dasitzen, sind sie nicht mit einer Kalkulation beschäftigt, sondern mit dem Versuch, sich an die Vorbereitung am Computer zu erinnern.

Zugleich ist diese Vorbereitung bei Caruana offenkundig besser gewesen als bei Carlsen. Schon mehrmals gab der Weltmeister zu, dass ihn ein Zug überrascht habe. Er selbst musste sich vom Großmeister Alexander Grischuk anhören, dass seine Eröffnungen mit Weiß "kindlich naiv" gewesen seien. "Was ich gemacht habe, war zu soft", gestand Carlsen. Seine große Stärke, nämlich in einem weit fortgeschrittenen Stadium der Partie seine gute Intuition zu zeigen, konnte er bisher noch nicht ausspielen.

Dennoch muss dem Weltmeister ob der vielen Remisen nicht allzu bange sein. Denn sollte es nach zwölf Partien tatsächlich 6:6 stehen, fällt die Entscheidung wie schon vor zwei Jahren im Tie-Break. Und in den Schnellpartien mit kurzer Bedenkzeit gilt Carlsen als klar stärker.

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