DFB-Team:Leroy Sané und der Schnee von heute

DFB-Team: Leroy Sané im Duell mit Frenkie de Jong.

Leroy Sané im Duell mit Frenkie de Jong.

(Foto: AP)
  • Beim 2:2 gegen die Niederlande, dem wahrscheinlich ansehnlichsten Auftritt der DFB-Elf im Jahr 2018, sticht besonders der Torschütze Leroy Sané hervor.
  • Damit wirft er auch Fragen an Joachim Löw auf. Der Bundestrainer hatte ihn nicht für die WM in Russland nominiert.
  • Statt diese Entscheidung zu bereuen, reklamiert Löw einen einen positiven pädagogischen Effekt.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Als Karl Lagerfeld einst sein Grundsatzurteil über Männer in Jogginghosen fällte, kannte er die Jogginghose von Leroy Sané nicht. Dem Modeschöpfer zufolge hat ein Mann, der in besagter Sportbekleidung die Straße betritt, die Kontrolle über sein Leben verloren. Aber hätte Lagerfeld gesehen, wie lässig und souverän Sané am Montagabend in Gelsenkirchen seine farbig bedruckte, scheinbar willkürlich bemalte und doch dezent verzierte Hose trug, dann wäre er bestimmt voller Scham zurückgetreten von seinem Diktat. Wobei er sich bei weitem nicht so hätte schämen können, wie sich nach Meinung mancher Kritiker der Bundestrainer hätte schämen dürfen, als er Sané beim Spiel gegen die Niederlande zusah.

Zu dem für die Hausherren sehr betrüblichen und für die Gäste äußerst glücklichen 2:2 hatte Sané unter anderem das schöne Tor zum 2:0 beigetragen, und wenn es Joachim Löw auch von sich gewiesen hat, so ist es doch nicht undenkbar, dass der Bundestrainer in jenem Torschuss-Moment insgeheim ein bisschen Reue und womöglich auch den Schmerz jener "Ohrfeige" gespürt hat, die ihn nach eigenen Angaben im Sommer bei der WM in seiner Rolle als Deutschland-Coach getroffen hatte. Nach all den erfolgreichen Jahren habe es "jetzt halt mal eine richtige Ohrfeige gegeben", hatte Löw vor dem Treffen mit Holland eher unbekümmert als selbstkritisch das Länderspieljahr 2018 bilanziert.

Dass er Leroy Sané vor der Abreise nach Russland vom Projekt Titelverteidigung ausgeschlossen hatte, gehört allerdings auch zur Wahrheit des Länderspieljahres.

Bereut Löw Sanés WM-Aus? Im Gegenteil

Die Schalker unter den rund 42 000 Zuschauern in der Arena haben am Montagabend jenen Sané gesehen, den sie aus gemeinsamen Zeiten kannten, bevor ihn ihr Klub für 50 Millionen Euro an Manchester City verkaufte respektive verkaufen musste, weil Pep Guardiola den Angreifer so unbedingt hatte haben wollen - jenen Sané, der sich manchmal so abrupt und zügig in Bewegung setzt, als könne er ein Antriebsaggregat aktivieren, das seine im Nu überholten Gegner nicht besitzen. Ferner jenen Sané, der sich an drei Gegnern gleichzeitig vorbei zu fummeln versteht, der geradewegs aufs Tor schießt statt drum herum zu kreiseln, und der nicht immer, aber auch nicht selten den Mitspieler mit dem richtigen Pass bedient - abgesehen davon, dass er seinen Kollegen die Gelegenheit gibt (besonders dem dadurch erkennbar inspirierten Toni Kroos), ihn mit Steilvorlagen zu schicken. An diesem sehr ansehnlichen Auftritt der Nationalelf - dem wahrscheinlich besten dieses verflixten Jahres - besaß der 22-Jährige ebenso grundlegenden Anteil wie an der Annäherung ans neue Leitmotiv des deutschen Spiels: der Beschleunigung und offensiven Zuspitzung.

Wie konnte er also diesen Leroy Sané zu Hause lassen? Das wurde der Bundestrainer in Gelsenkirchen wieder mal gefragt.

Löw trug es mit Fassung. Er hat sich ja inzwischen seine Argumente zurechtgelegt. "Die Entscheidung ist damals so gefallen", sagte er mit Verweis darauf, dass die Umstände Ende Mai andere waren als heute. Auch versuchte der Bundestrainer den Vorwurf der Unterlassung ins Gegenteil zu wenden, indem er einen positiven pädagogischen Effekt reklamierte: "Leroy hat aus dieser Nicht-Nominierung viel gelernt", behauptete er. Sein wichtigstes, weil absolut wahrheitsgemäßes Argument in der Sané-Debatte allerdings lautete, dass alles Nachkarten "Schnee von gestern" sei.

Wer Sané sagt, muss auch Timo Werner und Serge Gnabry sagen

"Bei mir hat's ein bisschen länger gedauert", hat Sané selbst festgestellt. Damit sprach er zwar seine Rolle als Torschütze im Nationalteam an - sein erstes Tor schoss er im 16., sein zweites nun im 17. Länderspieleinsatz. Der Satz ließ sich aber auch aufs große Ganze übertragen, denn Sané sieht sich trotz der bereits 2015 begonnenen Nationalelf-Karriere als Vertreter der neuen deutschen Welle ("da wächst auf jeden Fall was zusammen"). Natürlich hat er auch Löw nicht widersprochen, als er sich zu dessen These vom Effekt der verpassten WM äußern sollte: "Wenn man sieht, wie ich als Spieler reagiert habe, denke ich schon, dass ich etwas gelernt habe."

Wer Sané sagt, der muss neuerdings auch Timo Werner und Serge Gnabry sagen. Dieses schnelle Trio firmiert bisher als Markenzeichen von Löws aktuellem Umbruch, der am Montag auf Schalke stellenweise wie ein Aufbruch ausgesehen hat: so viel Tempo, so viel Vorwärtsdrang, so viele raumgreifende Passagen. Dahinter trat jedoch noch ein zweites Basiselement dieser veränderten Nationalelf in Erscheinung: zwei Protagonisten, die schon im alten, gediegenen Ballbesitzspiel zur ersten Besetzung zählten und sich nun rasch dem reformierten Stil angepasst haben. Toni Kroos, 28, spielte zwar dort, wo er immer spielte, und auch nicht weniger abgebrüht als eh und je, doch kam er einem erfrischt und beschwingt vor.

Das hat, wie erwähnt, mit den Vorderleuten zu tun, die ihm durch ihre Läufe Optionen zum Passspiel bieten. Und es hat mit Nebenmann Joshua Kimmich, 23, zu tun, "ein Spieler, der prädestiniert ist für diese Position", wie Kroos findet. Dass er den neuen Partner im Zentrum zu schätzen weiß, blieb unübersehbar: Kroos und Kimmich fungierten gewissermaßen als Rhythmussektion hinter den wilden Hummeln Sané-Werner-Gnabry.

Dass nun auch das letzte Länderspiel wegen der späten Ausgleichstore der Niederländer keinen Sieg brachte, wurde im deutschen Lager allgemein bedauert und führte zum pflichtgemäßen Aufsagen von Das-darf-uns-nicht-passieren-Floskeln. Aber man brauchte nur Löws Lächeln zu sehen, als er klagte, dieses Ergebnis sei "schon ein wenig bitter". So entspannt hat man den Bundestrainer 2018 selten lächeln sehen.

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