Entwicklungsminister Müller:"Keine Ausbeutung von Mensch und Natur akzeptieren"

Müller

An ihren Produktionsstätten in Afrika erfüllen deutsche Unternehmen bereits anspruchsvolle Standards, sagt Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) im SZ-Gespräch. Handelsexperte Boniface Mabanza dagegen sieht bei Menschenrechten und Umwelt noch großen Nachholbedarf.

(Foto: Regina Schmeken)

Deutsche Konzerne, die in Afrika Geschäfte machen, sollten Menschen und Natur gut behandeln. Darin sind sich Gerd Müller und Handelsexperte Boniface Mabanza einig. Aber wer soll das durchsetzen?

Interview von Kristiana Ludwig und Isabel Pfaff

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat Afrika zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit gemacht. Unter anderem will er dort mehr Investitionen anstoßen. Wie steht die afrikanische Diaspora in Deutschland zu diesen Ideen? Boniface Mabanza, geboren in der Demokratischen Republik Kongo, ist Experte für Entwicklung und Handel und arbeitet für die Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika in Heidelberg. Die SZ hat die beiden zum Gespräch gebeten.

SZ: Was bedeutet eine gute Partnerschaft für Sie?

Gerd Müller: Eine gute Partnerschaft ist Vertrauen und Verlässlichkeit.

Boniface Mabanza: Für mich ist das eine Beziehung, in der gemeinsame Lernprozesse entstehen. Und das setzt voraus, dass niemand oben ist und niemand unten.

Die Partnerschaft mit den Ländern Afrikas spielt eine große Rolle in Ihrer Amtszeit, Herr Müller. Wie kann die entstehen, wenn das wirtschaftliche Gefälle so groß ist?

Müller: Erst einmal wächst eine Partnerschaft aus dem Herzen. Wir dürfen nicht nur materiell denken. Afrika ist ein faszinierend vielfältiger Kontinent - hundertmal so groß wie Deutschland - mit 3000 verschiedenen Sprachen und Kulturen und einer grandiosen Natur. Afrika und Europa, das sind Herausforderung und Chance für beide Seiten. Das ist ein Geben und Nehmen.

Mabanza: Ich denke, dass die Asymmetrie der Machtverhältnisse nicht zu leugnen ist. Ich bin auch der Überzeugung, dass die Länder Afrikas etwas geben können. Aber die Industrienationen, die eine Kolonialgeschichte haben, müssen erst ihre Denkmuster verlernen, um von Afrika lernen zu können. Ohne diesen Perspektivwechsel können wir zwar über Partnerschaft reden, aber in Wirklichkeit ist es keine.

Die Bundesregierung spricht viel von Partnerschaft. Beim "Compact with Africa", zum Beispiel, geht es darum, Geschäftsbeziehungen zwischen deutschen Unternehmen und afrikanischen Ländern anzubahnen. Herr Mabanza, was halten Sie von diesem Konzept?

Mabanza: Afrika ist ein Kontinent mit 55 Ländern, die zum Teil sehr unterschiedlich sind. Namibia hat wenig mit Somalia gemeinsam. Patentlösungen wie "Direktinvestitionen anziehen für alle", das ist zu vereinfacht. Viele Länder hätten so viel wirtschaftliches Potenzial, wenn die politischen Probleme gelöst wären.

Herr Müller, sind Privatinvestitionen ein zu einfaches Rezept?

Müller: Mit öffentlichen Geldern allein können wir keine ausreichenden Beschäftigungseffekte auslösen. Jedes Jahr drängen 20 Millionen junge Menschen auf den afrikanischen Arbeitsmarkt. Deshalb brauchen wir auch mehr private Investitionen und den Aufbau fairer Handelsbeziehungen.

Mabanza: Aber was unternehmen wir, um zu verhindern, dass sich ausländische Investitionen nur die Bereiche aussuchen, in denen sie am schnellsten hohe Gewinne erzielen? Bisher haben sie die Länder mit den ausgebeuteten Ressourcen meist wieder verlassen und zurück blieb Umweltverschmutzung und soziale Desintegration. Zu einem Strukturwandel der afrikanischen Wirtschaften hat das nicht geführt.

Müller: Das, was Sie beschreiben, ist Neokolonialismus. Und deshalb sage ich: Die Investitionen dürfen die Armen nicht noch ärmer machen. Wir brauchen Mindeststandards für Firmen im ökologischen und im sozialen Bereich. In den Minen, Fabriken und auf den Plantagen müssen den Menschen grundlegende Rechte gewährt werden: existenzsichernde Löhne, keine Kinderarbeit und Umweltstandards müssen für alle Lieferketten und Produkte aus Afrika gelten.

Mabanza: Das würde ich sofort unterschreiben: Sozialstandards, ökologische Standards. Die Investitionen der vergangenen Jahre haben die Länder aber untereinander in einen unheilvollen Wettbewerb gesetzt. Es geht darum, wer mehr ausländische Firmen anzieht. Um ihren Standort attraktiv zu machen, haben die Länder ihre Standards eher heruntergeschraubt und Steuern gesenkt. Ob sich die Konzerne anständig verhalten, wurde ihnen lange selbst überlassen. Was tun wir konkret dagegen?

Müller: Ich gebe Ihnen Recht, wir müssen das Prinzip der Freiwilligkeit ein Stück weit überwinden und Mindeststandards mit Verbindlichkeit umsetzen.

"Herr Müller, warum distanzieren Sie sich nicht von solchen Abkommen?"

Wie sorgt die Bundesregierung dafür, dass solche Standards von deutschen Firmen eingehalten werden?

Müller: Deutsche Unternehmen erfüllen bereits anspruchsvolle Standards, auch in der Partnerschaft mit Afrika. Zum Beispiel bei Van Laack bei der Hemdenproduktion in Tunesien, die ich mir vor kurzem angeschaut habe. Siemens hat neue, strenge Compliance-Standards. Insofern sind wir in vielen Bereichen Vorreiter.

Mabanza: Das ist nicht mein Eindruck. Wir haben ganz konkrete Beispiele, nehmen wir BASF. Auf ihrer Homepage heißt es, sie verpflichten sich, Menschenrechte und Umweltstandards zu achten, auch bei ihren Lieferanten. Aber in Wirklichkeit passiert nichts. BASF ist ein wichtiger Abnehmer von südafrikanischem Platin aus der Bergbauregion Marikana. 2012 hat die südafrikanische Polizei dort 34 Minenarbeiter während eines Streiks erschossen. Die Arbeiter wollten bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Minen. Also ich sehe nicht, inwiefern unsere Konzerne hier Vorreiter sind.

Müller: Die Einhaltung der Menschenrechte ist unabdingbar. Hier sind auch die afrikanischen Regierungen in der Pflicht.

Mabanza: Da sind wir auf der anderen Ebene. Wir sprechen doch jetzt über die Verantwortung deutscher Firmen.

Müller: Wir müssen immer beides im Blick behalten. Ich glaube aber, wir sind uns einig, dass wir in den Lieferketten, die ihren Ursprung in afrikanischen Minen oder Kaffeeplantagen haben, keine Ausbeutung von Mensch und Natur akzeptieren können. Was gegenwärtig häufig noch der Fall ist. Deshalb haben wir beispielsweise bei Textilien und Kakao und Kaffee ein Bündnis mit der Wirtschaft geschlossen, um faire Produktionsstandards umzusetzen. Und das wird auch kontrolliert. Bei Textil macht bereits die Hälfte der Branche mit. Das heißt aber, dass 50 Prozent immer noch nicht mitmachen. Das muss sich ändern. Und auch der Konsument kann durch seine Entscheidung beim Einkauf für fair gehandelte Produkte ein Zeichen setzen.

Afrikas Firmen fehlt das Kapital

Es sind nicht allein die ungeteerten Straßen oder die fehlende Elektrizität, die in Subsahara-Afrika die Wirtschaft lähmen. Das größte Problem, vor dem kleine und mittelständische Unternehmen auf dem Nachbarkontinent stehen, sind Kredite. Denn afrikanische Banken zögern, Geld an die Privatwirtschaft zu verleihen. Das zeigt eine neue Studie der Europäischen Investitionsbank (EIB), die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Ein Grund dafür sei die Strategie vieler afrikanischer Banken, vor allem in staatliche Projekte zu investieren, schreiben die Autoren. Sie beziehen sich bei ihrer Analyse unter anderem auf eine Befragung afrikanischer Firmen, von denen 26 Prozent die Finanzierung als ihr größtes Hindernis nannten. 17 Prozent der Unternehmer klagten über die Stromversorgung, insgesamt 13 Prozent über politische Instabilität in ihrem Land und über Steuerpolitik. Zölle und Handelsregeln waren nur für rund sieben Prozent der Unternehmer das größte Problem. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen seien jedoch die einzigen Arbeitgeber, die in Afrika die dringend gebrauchten Jobs schaffen können, heißt es in der Studie. Die Afrika-Expertin der EIB, Maria Shaw-Barragan, sagt, die Entwicklungshilfe aus dem Ausland könne keinen afrikanischen Kapitalmarkt ersetzen. "Dieser Punkt ist entscheidend", sagt sie. Die EIB unterstützt sowohl europäische Unternehmen, die auf dem Kontinent investieren, als auch afrikanische Firmen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat kürzlich angekündigt, einen Entwicklungsinvestitionsfonds aufzulegen. Mit insgesamt einer Milliarde Euro sollen einerseits deutsche und europäische Unternehmen unterstützt werden, die in Afrika investieren wollen. Andererseits sollen afrikanische Firmen und Start-ups profitieren. Bereits im vergangenen Jahr hatte Merkel im Rahmen ihrer G-20-Präsidentschaft die Initiative "Compact with Africa" angestoßen, die sich allerdings vor allem auf ausländische Investoren konzentriert. Ziel der Industrie- und Schwellenländer ist es, ihre Privatunternehmen von Geschäften in den afrikanischen Partnerländern zu überzeugen. Im Gegenzug lassen sich deren Regierungen auf Reformen ein, etwa im Bankensektor oder beim Ausbau ihrer Infrastruktur. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat darüber hinaus sechs "Reformchampions" ausgesucht, mit denen Deutschland direkte Partnerschaften aufbaut. Tunesien, Marokko, die Elfenbeinküste, Äthiopien, Senegal und Ghana bekommen besondere Unterstützung - gegen weitere Auflagen. Kristiana Ludwig

Mabanza: Ich würde es als öffentliche Hand nicht auf die Entscheidung der Einzelnen ankommen lassen. Die Macht der Konsumenten hat Grenzen, weil nicht jeder das Geld oder den Willen für faire Produkte hat und weil vielen Menschen die Informationen fehlen. Gesetze sollten dafür sorgen, dass nur fair produzierte Produkte auf den Markt kommen.

Müller: Dazu müssen wir uns in Europa einig werden: Was importiert wird, muss in den Herkunftsländern nach fairen Standards produziert werden. Das sind wir uns und den Familien in Afrika schuldig.

Das heißt, Sie fordern Handelsschranken für nicht fair produzierte Produkte?

Müller: Ja. Wir haben solche Schranken beispielsweise beim Verbraucher- und Gesundheitsschutz. Aber es muss uns auch interessieren, unter welch schwierigen Bedingungen die Menschen vor Ort arbeiten müssen. Der soziale Aspekt darf uns nicht egal sein.

An wen genau richten Sie diese Forderung?

Müller: Also, wenn wir Gesundheitsstandards an der Grenze kontrollieren können, dann müssen wir auch soziale und Öko-Standards zertifizieren können.

Sie meinen die EU?

Müller: Den Lieferkettennachweis müssen die Firmen erbringen - am besten auf der Grundlage europaweiter Regeln.

Mabanza: Das ist etwas, was nur die Politik durchsetzen kann. Aber das geschieht nicht.

Müller: Es geschieht zu wenig. Da gebe ich Ihnen Recht. Der Handel hat sich die letzten 30 Jahre globalisiert, aber die Regeln sind national zurückgeblieben.

Mabanza: Da sprechen Sie ein Problem an. Die EU verhandelt seit 16 Jahren mit den afrikanischen Ländern über Freihandelsverträge. Aber die sind auch nach der Beurteilung der Kanzlerin alles andere als fair. Ein Beispiel: Kenia ist der wichtigste Produzent für Produkte wie Saft, Waschmittel oder Joghurt in Ostafrika. Durch das Abkommen wären kenianische Produkte aber in direkter Konkurrenz mit Waren aus Europa. Und dieser Konkurrenz können sie nicht standhalten. Herr Müller, warum distanzieren Sie sich nicht von solchen Abkommen?

Müller: Im Koalitionsvertrag haben wir ja festgelegt, dass die bestehenden Handelsabkommen auf den Prüfstand gestellt werden. Wir verhandeln gerade das neue EU-Afrika-Abkommen, das Alternativen für faire Handelsbeziehungen aufzeigen muss.

Mabanza: Die Alternativen sind da. Zwar hat sich die EU dem Freihandel verpflichtet, doch sie hätte den afrikanischen Ländern erlauben können, trotzdem Zölle auf ausländische Waren zu verhängen. Ihr Entwicklungsstand ist eben immer noch niedriger als der anderer armer Länder, zum Beispiel in Süd- und Mittelamerika. Aber man hat keine Ausnahme für sie gemacht, weil die EU nur Handelsliberalisierung und geostrategische Interessen im Blick hat.

Müller: Darüber könnte man reden. Aber bereits jetzt können die afrikanischen Länder sensible Sektoren dauerhaft mit Zöllen schützen. Wir müssen ihnen helfen, diesen Spielraum besser zu nutzen.

"Bildung und Ausbildung sind für mich der wichtigste Schlüssel für Entwicklung"

Zu den deutschen Reformpartnerschaften gehört, dass deutsche Firmen junge Menschen vor Ort ausbilden. Siemens will zum Beispiel in Ägypten Elektriker schulen. Herr Mabanza, finden Sie das nicht eine gute Idee?

Mabanza: Das kann ein wichtiger Ansatz sein für ein Land wie Ägypten. Aber dann kommunizieren Sie das doch auch so. Man darf nicht großspurig auftreten und behaupten, wir hätten das Rezept für ganz Afrika. Lasst es uns als das benennen, was es ist: Für ein bestimmtes Problem in Ägypten gibt es eine Idee. Bildung und Ausbildung müssen in einem stimmigen Gesamtkonzept eingebettet sein, damit sie Früchte tragen.

Müller: Also, grundsätzlich ist es ja positiv, dass deutsche Firmen Investitionen mit Ausbildungsplätzen verbinden. Das kann doch ein Modell auch für Amerikaner, Chinesen, Türken und andere werden. Bildung und Ausbildung sind für mich der wichtigste Schlüssel für Entwicklung.

Mabanza: In der afrikanischen Zivilgesellschaft sagen viele: Wenn die Industriestaaten uns wirklich helfen wollen, sollten sie dafür sorgen, dass die illegalen Kapitalabflüsse aus Afrika gestoppt werden. Also: Austrocknen von Steuerparadiesen, Offenlegung der Aktivitäten von transnationalen Konzernen.

Müller: Ja, volle Unterstützung. Steuerbetrug führt dazu, dass jedes Jahr geschätzt 50 Milliarden US-Dollar illegal aus Afrika abfließen. Das können wir verhindern, wenn die Staaten der Welt das wollen.

Herr Müller, zu den Staaten der Welt gehört auch Deutschland.

Müller: In mir haben Sie einen Politiker, der sagt, wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Handlungsproblem.

Mabanza: Genau.

Müller: Wenn ich zuständiger Kommissar in der EU wäre, würde ich bei der Bekämpfung der Korruption und der Steuerflucht einen Schwerpunkt setzen. Außerdem würde ich morgen eine europaweite Finanztransaktionssteuer einführen.

Sie sind zwar nicht EU-Kommissar, aber doch ein Minister einer der wichtigsten europäischen Regierungen. Dringen Sie mit Ihren Forderungen bei Frau Merkel durch?

Müller: Bekämpfung der Korruption ist ja Schwerpunkt unseres Marshallplans mit Afrika. Und die Finanztransaktionssteuer habe ich erst kürzlich auf dem Afrika-Gipfel in Berlin angesprochen. Mir kann keiner erzählen, dass die Bankentürme in Frankfurt ins Wanken geraten, wenn wir eine Steuer von 0,01 Prozent auf spekulative Anlagen wie Derivate verlangen. Eine solche Steuer belastet keinen Normalbürger und würde europaweit bis zu 60 Milliarden Euro jährlich einbringen. Mittel für dringend benötigte Zukunftsinvestitionen in Afrika. Zehn europäische Staaten wollen mitmachen. Ja, warum machen wir es nicht? Ich baue hier auf Finanzminister Olaf Scholz.

Mabanza: Wichtig wäre doch, dass solche globalen Fragen in der Bundesregierung in einer Hand liegen. Dann wäre die deutsche Afrika-Politik auch stimmiger.

Müller: Herr Mabanza, wir stimmen fast überall überein. Sie könnten sich hier im Ministerium um die Handelspolitik kümmern! (lacht)

Mabanza: Ich überlege mir das.

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