"Anne Will" zu Hartz IV:Spahn spricht ausnahmsweise nicht über Migration oder den CDU-Vorsitz

Anne Will diskutiert mit CDU-Politiker Jens Spahn

Anne Will lässt über eine Reform des Sozialstaats diskutieren - die interessantesten Wortbeiträge kommen von jenen Gästen, die keine Berufspolitiker sind.

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Wie muss der Sozialstaat reformiert werden? Anne Wills Thema könnte eine Steilvorlage für die SPD sein - doch Generalsekretär Klingbeil bleibt blass. Dafür sind sich die Vertreter von CDU und Linke beim Grundeinkommen einig.

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Die Sendung ist etwa eine halbe Stunde alt, als sich Lars Klingbeil mal wieder zu Wort meldet. In den Minuten zuvor war der SPD-Generalsekretär recht stumm gewesen. Man hätte beinahe vergessen können, dass er an diesem Abend bei Anne Will mitdiskutiert.

Was das Problem auf den Punkt bringt. Denn das Thema, zu dem die ARD-Moderatorin am Sonntagabend eingeladen hat, ist eigentlich eines, bei dem niemand an der SPD vorbeikommen sollte. "Arbeitswelt im Wandel - Wie muss der Sozialstaat reformiert werden?" lautet es. Doch leider hat der Generalsekretär der Partei, die nach eigenem Anspruch noch immer die "kleinen Leute" und die Arbeiter vertritt, dazu wenig zu sagen, was hängen bleiben würde.

Das verwundert umso mehr, da Parteichefin Nahles, Klingbeils Vorgesetzte, erst vor zwei Wochen eben jene tiefgreifende Reform des Sozialstaats angekündigt hatte. "Wir werden Hartz IV hinter uns lassen", versprach sie und brachte die Diskussion damit einmal mehr auf jenes Thema, an dem sich ihre Partei seit Jahren abarbeitet. Die einen halten die Anfang der 2000er vom damaligen Kanzler Gerhard Schröder beschlossene Reform für eine notwendige, wenn auch schmerzvolle Maßnahme, die den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands in letzter Zeit ermöglichte. Für die anderen ist Hartz IV das Grundübel, das dazu führte, dass sich über die Jahre viele Wähler abwandten.

Wie genau der Abschied der SPD von Hartz IV aussehen soll, darüber war bisher nicht viel zu erfahren. Fest steht aber, dass künftig weniger Menschen auf die Grundsicherung angewiesen sein sollen und das neue System die Menschen nicht mehr so gängeln soll wie Hartz IV, das den Beziehern bei Regelverletzungen mit empfindlichen Strafen droht. Klingbeil könnte den Auftritt bei Will also dafür nutzen, diese grundsätzlichen Überlegungen einem Millionenpublikum zu erklären und vielleicht auch etwas Optimismus zu verbreiten. Arbeitern, die wegen der Digitalisierung um ihre Jobs bangen, täte das sicher gut.

Stattdessen spricht er, als er nach besagter halber Stunde das Wort ergreift, davon, dass man sich die Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher im Einzelnen anschauen müsse, etwa bei den unter 25-Jährigen halte er sie für falsch. Im Detail mag er recht damit haben. Die Gelegenheit aber, einmal die großen Linien verständlich zu skizzieren, verpasst er an dieser Stelle, und er verpasst sie auch während der restlichen Sendezeit. Die Zukunftsvisionen verbreiten an diesem Abend andere.

Erwartbare Sätze von Wagenknecht

Das gilt nicht in erster Linie für die anderen beiden Berufspolitiker im Halbrund, Sahra Wagenknecht und Jens Spahn. Die Linken-Politikerin gibt eine Stunde lang recht erwartbare Sätze von sich, etwa, dass Hartz-IV-Bezieher nicht unter einen "Generalverdacht" gestellt werden dürften oder dass der Mindestlohn erhöht werden müsse.

Spahn kann man immerhin zugutehalten, dass er es schafft, einmal eine Stunde lang nicht über das Thema Migration und nicht über den CDU-Vorsitz zu reden, um den er sich gerade bewirbt. Im März hatte der Gesundheitsminister mit Aussagen zu Hartz IV für Unmut gesorgt. "Hartz IV bedeutet nicht Armut", hatte er in einem Interview gesagt und behauptet, dass auch ohne die Tafeln niemand in Deutschland hungern müsse. Derartige Provokationen vermeidet er an diesem Abend. Zudem gelingt es ihm, seine Position allgemeinverständlich deutlich zu machen. Er will das Hartz-IV-System samt Sanktionen beibehalten. "Bei denen, die arbeiten können und nicht wollen, da muss es dann auch Druck geben."

Die wirklich interessanten und zukunftsorientierten Vorstöße kommen aber von den beiden Diskussionsteilnehmern, die keine Berufspolitiker sind. Da sitzt zum einen Simone Menne, sie ist Unternehmensberaterin und die erste Frau, die es in den Vorstand eines Dax-Unternehmens geschafft hat. 2012 wurde sie Finanz-Vorständin bei der Lufthansa. Menne fordert eindringlich, in Sachen Hartz IV müsse endlich "ein Schnitt her, und zwar ein richtiger". Man beschäftige sich viel zu viel mit Sanktionen, obwohl nur sehr wenige Bezieher (drei Prozent) von ihnen betroffen seien. Das führe zu einer "unendlichen Bürokratie" in den Jobcentern.

Besser wäre es, sagt Menne, in Kauf zu nehmen, "dass es Leute gibt, die versuchen werden, Systeme zu missbrauchen". Man kann nur vermuten, dass Robert Habeck an dieser Stelle heftig nicken würde, denn der Grünen-Chef selbst hat erst kürzlich ein Konzept vorgelegt, das eine Grundsicherung ohne Arbeitszwang vorsieht. Dass es bei der Vermutung bleibt, liegt daran, dass bedauerlicherweise niemand von den Grünen bei Will vertreten ist.

"Menschen das Gefühl geben, dass sie ein Leben lang abgesichert sind"

Der zweite Gast, der an diesem Abend zum Nachdenken anregt, ist Michael Bohmeyer. Der frühere Start-up-Unternehmer hat 2014 einen Verein gegründet, der sich für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens von 1000 Euro im Monat stark macht. Warum, das kann Bohmeyer gut erklären. "Das würde Menschen das Gefühl geben, dass sie ein Leben lang abgesichert sind", sagt er. Das Grundeinkommen könne die Menschen dazu befähigen, dem nachzugehen, was sie wirklich tun möchten, unabhängig von der Erwerbsarbeit. Existenzängste, glaubt Bohmeyer, verschärften die gesellschaftliche Spaltung, dem könne sein Vorschlag entgegenwirken. Er bekommt den lautesten Applaus an diesem Abend.

Indem sie Bohmeyer widersprechen, gehen Spahn und Wagenknecht eine seltene Koalition ein. Letztere befürchtet eine "Mogelpackung", am Ende führe das Grundeinkommen zum Abbau des Sozialstaats, da Arme mit 1000 Euro klarkommen müssten, komme was wolle. Spahn findet die Idee unfair, und er fragt mehrmals nach, wie die Sache denn finanziert werden solle. Leider bleibt Bohmeyer ihm die Antwort tatsächlich schuldig.

Am Ende meldet sich dann nochmal Lars Klingbeil und sagt, das mit dem Grundeinkommen fände er an sich spannend, insgesamt aber sei er "skeptisch". Auch das ist irgendwie wenig.

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