Wien:Rieseln um die Welt

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„Schnee von gestern“: Diese Kugel mit Eheringen und leicht bekleideten Frauen gab eine betrogene Ehefrau in Auftrag – um sie ihrem Mann nachzuwerfen. (Foto: Hans Gasser)

Jetzt ist Hochsaison für Schneekugeln, handgemacht in der Wiener Schneekugelmanufaktur. Das Unternehmen ist seit 118 Jahren in Familienbesitz - hat aber trotzdem einige ganz und gar nicht traditionelle Modelle im Angebot.

Von Hans Gasser

"Gestatten, Erwin Perzy III. - ganz einfach, weil ich der dritte Erwin in unserer Familie bin", sagt der 62-jährige Inhaber der Wiener Schneekugelmanufaktur. Sie befindet sich in einem gelb gestrichenen, ehemaligen Fuhrwerkerhaus in Hernals, dem 17. Gemeindebezirk. Draußen fällt Schneeregen, drinnen riecht es nach heißem Kunststoff, und es rieselt auch: Hunderte Schneekugeln verschiedenster Größe sind im Empfangsraum aufgestellt, der gleichzeitig als Museum und als Shop dient. Goldene Riesenräder und der Stephansdom in allen Variationen, dazu Weihnachtsmänner, Pinguine, Gugelhupfe und Sisi-Büsten warten darauf, dass jemand sie kräftig schüttelt, damit feine weiße Kunststoffflocken auf sie herabschneien.

Seit dem Jahr 1900, sagt Erwin Perzy, würden hier in Hernals Schneekugeln produziert. Sein Opa habe sie erfunden, als er von Chirurgen den Auftrag erhielt, die Glühbirne heller zu machen. "Seine Idee: eine mit Wasser gefüllte Kugel vor die Birne zu halten - hat aber nicht funktioniert." Also gab er zur besseren Streuung des Lichts Grieß ins Wasser. Das brachte zwar wieder nicht den gewünschten Effekt. "Aber es sah aus, als würde es schneien." Und weil ein Freund des Opas einen Souvenirstand vor der Wallfahrtskirche von Mariazell hatte, modellierte er die Basilika und montierte sie in die Schneekugel. Die ersten Prototypen waren sofort weg. Der Grieß sei allerdings schnell vergoren, deshalb habe Erwin Perzy I. lange daran getüftelt, was sich am besten als Flocken eignet. "Ich bin genauso ein Tüftler, ich gebe keine Ruhe, bevor etwas nicht geht." Perzy III. ist gelernter Werkzeugmacher. Die Motive der Schneekugeln entwirft und zeichnet er selbst, er programmiert die Fräse, um die Negativform für die Spritzgussmaschine herzustellen. 15 Mitarbeiter hat er, davon sechs aus der Familie, und 40 Heimarbeiter, die vor allem in Ungarn die Plastikteile zusammenkleben und bemalen.

200 000 Schneekugeln produzieren sie jährlich, vor Weihnachten ist Hauptsaison, und zwar auch in Japan, dem wichtigsten Markt, gefolgt von den USA. "Die Japaner mögen am liebsten das Riesenrad und den Stephansdom, in den USA sind es Weihnachts- und Schneemänner."

Familie Obama unter der Sachertorte: Eine Bewunderin orderte dieses Motiv

Wie eine Wiener Firma gegen die chinesische Billigkonkurrenz bestehen kann, erklärt er so: "Wir liefern Qualität, zur richtigen Zeit und in richtiger Stückzahl." Es liegt aber wohl auch an den jahrzehntelangen, guten Geschäftskontakten, die sein Vater und er aufgebaut haben. Befüllt werden die Kugeln nur hier in der Wiener Zentrale, in einem Raum, dessen Schiebetür Perzys Tochter Sabine schnell zuzieht: "Wir haben da ein paar Tricks, die zeigen wir sicher nicht her." Sabine Perzy managt die Firma nun in vierter Generation, ihr Vater konzentriert sich aufs Kreative. "Ich wusste schon seit Kindheit, dass ich die Firma übernehmen will", sagt sie.

Neben den großen Serien fertigt Erwin Perzy auch Wunschkugeln an. Dazu gibt es die besten Geschichten. So steht im Museum die Replik einer Kugel, in der die Obama-Familie unter einer Sachertorte und dem Stephansdom tanzt. Das war die Bestellung einer Bewunderin, die ihn damit nach Wien einladen wollte. "Die Replik musste ich zweimal machen, weil die Frau vom Robbie Williams sie unbedingt haben wollte, als sie uns besucht hat."

In einer anderen Kugel sind zwei leicht bekleidete Damen zu sehen, die sich um zwei Eheringe räkeln, dahinter die Freiheitsstatue. Der Auftrag einer Frau, deren Mann sie mit zwei anderen betrog - sie machte Schluss und überreichte ihm die Kugel mit der Aufschrift: "Schnee von gestern". Am liebsten erzählt Perzy III., dass sein Opa zwar vom Kaiser geehrt, aber nie Hoflieferant gewesen sei. "Das war mir vorbehalten." In der ORF-Satiresendung "Wir sind Kaiser" bekommt jeder Gesprächspartner von Majestät am Schluss eine Schneekugel mit Pinguin überreicht. Das Filmteam wollte eigentlich den Kaiser in der Kugel, erzählt Perzy, aber innerhalb weniger Tage war das nicht zu machen. "Ich hatte einen Kaiserpinguin, der hat ihnen dann auch gefallen."

© SZ vom 30.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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