Carlsen gegen Caruana:Schachspielen bis zum Armageddon

Carlsen gegen Caruana: Einen Gang hochschalten, bitte: Die Entscheidung in London zwischen Magnus Carlsen und Fabiano Caruana wird im Schnellschach erzwungen.

Einen Gang hochschalten, bitte: Die Entscheidung in London zwischen Magnus Carlsen und Fabiano Caruana wird im Schnellschach erzwungen.

(Foto: Matt Dunham/AP)
  • Alle zwölf regulären Partien der Schach-WM sind Remis ausgegangen. Nun müssen Weltmeister Magnus Carlsen und sein Herausforderer Fabiano Caruana in den Tiebreak.
  • Das bedeutet auch, dass die ohnehin latente Debatte befeuert wird, ob das aktuelle Format angemessen ist, um den Weltmeister zu ermitteln.
  • Längst kursieren Varianten für andere WM-Formen: Einer Gruppe geht es darum, das Zweikampf-Format beizubehalten, es aber zu reformieren. Eine andere Gruppe präferiert ein K.o.-Format.

Von Johannes Aumüller

Als der Schiedsrichter mit zwei Stoffsäckchen auf die Bühne kam, demonstrierte Magnus Carlsen noch einmal eine gewisse Großzügigkeit. Er müsse jetzt nicht wählen, meinte der Weltmeister, das dürfe auch gerne sein Herausforderer Fabiano Caruana tun. Aber darauf ließ sich der Referee nicht ein. Carlsen musste hineingreifen, und er zog eine weiße Figur heraus. Der Norweger darf also die erste Partie anfangen, wenn sich an diesem Mittwoch im Londoner Holborn College der Kampf um die Schach-WM in einem Tiebreak entscheidet, aber das war ihm auch nicht weiter wichtig.

Deutlich gravierender für den Match-Verlauf dürfte in der Tat sein großzügiger Umgang mit einer Siegchance eine knappe halbe Stunde vorher gewesen sein. In der zwölften und letzten regulären Partie der WM hatte er mit Schwarz einen Vorteil, zudem war sein Gegner in Zeitnot geraten. Doch zur großen Verblüffung bot Carlsen nach dem 31. Zug ein Remis an, was Caruana gerne akzeptierte. Die Kritik daran wies er zurück. Er sei mental nicht in der Verfassung gewesen, das durchzuziehen, und er habe keinen risikolosen Weg gefunden, Caruana richtig zu attackieren, befand Carlsen. Und außerdem darf er sich im Tiebreak durchaus als Favorit fühlen.

Alle zwölf regulären Partien der WM sind Remis ausgegangen. Das ist selbst für die an Unentschieden nicht arme Geschichte der Schach-Titelkämpfe ein erstmaliges und kurioses Ereignis. Das bedeutet zum einen, dass sich die Kontrahenten wie schon vor zwei Jahren bei Magnus Carlsens Sieg über Sergej Karjakin im Schnellschach duellieren. Gegebenenfalls müssen gar Blitz- und Armageddon-Partien herhalten .

"Ruhe in Frieden, klassisches Schach"

Aber das bedeutet zum anderen auch, dass die ohnehin latente Debatte befeuert wird, ob das aktuelle Format angemessen ist, um den Weltmeister zu ermitteln. "Ruhe in Frieden, klassisches Schach", lästerte der russische Großmeister Alexander Grischuk, der im März in einem Turnier um die Herausforderer-Rolle gegen Caruana unterlag, nach Remis zwölf.

Manch einem Protagonisten der Schach-Welt ist es ein Graus, dass nun Partien mit so kurzer Bedenkzeit über den Weltmeister-Status entscheiden. Das ist zwar spannend und sehenswert und erfordert besondere Fähigkeiten wie ein gutes Gefühl für eine Stellung. Und es ist dem Kern des eigentlichen Sports auch näher, als es etwa beim Fußball der Entscheid via Elfmeterschießen zu sein scheint. Aber Schnell- und erst recht Blitzschach erhöhen zweifelsohne die Zahl der Fehler und haben nur bedingt etwas zu tun mit dem klassischen Ansatz, dass es sich bei Schach um einen Denksport und das tiefe Ergrübeln von guten Zugkombinationen handelt.

Dabei ist es schwierig, den Spielern konkret etwas vorzuwerfen. Es war ein insgesamt sehr hohes Niveau, auch wenn sich Carlsen wohl nicht ganz auf dem Zenit seines Schaffens befand und ein bisschen müde wirkt vom Schach-König-Dasein der vergangenen Jahre. Insbesondere Caruana war sehr gut präpariert, keiner machte einen gravierenden Fehler, und eine Flut an Sicherheits-Remis war auch nicht zu konstatieren. Allenfalls Carlsens Verhalten in der letzten Partie ließe sich so einordnen, war aber aufgrund seiner ausgewiesenen Schnell- und Blitzschachstärke strategisch durchaus nachzuvollziehen.

Carlsen hat sich schon positiv über das K.o.-Format geäußert

Doch längst kursieren Varianten für andere WM-Formen - wobei diese Varianten in sehr unterschiedliche Richtungen zielen. Einer Gruppe geht es darum, das Zweikampf-Format beizubehalten, es aber zu reformieren; etwa dahingehend, dass erst bei einer bestimmten Anzahl gewonnener Partien das Match endet oder dass bei einem Gleichstand nach zwölf (oder mehr) Runden der Weltmeister seinen Titel behält. Aber vom Zweikampf wegzukommen, empfänden sie als unnötigen Bruch mit der Schachtradition.

1886 stieg das erste Duell zwischen Wilhelm Steinitz und Johannes Zukertort, später folgten so zugespitzte Konstellationen wie der brettgewordene Ost-West-Konflikt zwischen Boris Spasskij und Bobby Fischer oder das inner-sowjetische Duell zwischen Anatolij Karpow und Garry Kasparow. Nur in wenigen Ausnahmen - etwa nach dem Tod des Titelträgers Alexander Aljechin 1948 oder während der Spaltung der Schachwelt in zwei Verbände in den Neunziger- und Nullerjahren - gab es auch WM-Formate mit mehreren Teilnehmern. Aber die hatten wiederum andere Nachteile.

Dennoch ist auch jetzt wieder eine Achterrunde, in der jeder Spieler zweimal gegen jeden spielt, in der Debatte; die Schachszene kennt das etwa von den Kandidatenturnieren, in denen es darum geht, einen Herausforderer für die WM zu ermitteln. Manch einer präferiert auch ein K.o.-Format mit 32 oder sogar 64 Teilnehmern, damit Schach ein bisschen wie Wimbledon werden kann. Nicht zuletzt Magnus Carlsen hat sich in der Vergangenheit schon positiv über ein solches Modell geäußert. Das könnte sich sicher gut vermarkten lassen, und mancher Großmeister mag es unterstützen, weil es seine Chancen erhöht, an einer WM teilzunehmen. Aber die Wahrscheinlichkeit von Schnell- und Blitzschachentscheiden stiege da an.

Die Frage ist nur, ob auch die Spitze des Weltverbandes Fide um den neuen russischen Präsidenten Arkadij Dworkowitsch einem dieser Gedanken folgt. Er halte es "zum jetzigen Zeitpunkt für verfrüht, irgendeinen konkreten Vorschlag zu machen, aber das Thema ist von den zuständigen Fide-Organen schon gründlich beleuchtet worden", sagte er der SZ. Einen Wink für seine Präferenzen gab es aber schon zu Beginn seiner Amtszeit: Da kündigte er an, das Format der Frauen-WM an das aktuelle Format der Männer-WM anzugleichen. Bisher gab es dort abwechselnd Zweikämpfe und K.o.-Turniere.

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