Justizministerin Katarina Barley in München:"Am Ende werde ich auf jeden Fall verhauen"

Justizministerin Katarina Barley in München: In München stellt sich Justizministerin Barley der Frage: "Gelten Gesetze auch für soziale Netzwerke wie Facebook?"

In München stellt sich Justizministerin Barley der Frage: "Gelten Gesetze auch für soziale Netzwerke wie Facebook?"

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Bei einer Podiumsveranstaltung in München beantwortet Justizministerin Katarina Barley Fragen zur Debatte ums Urheberrecht und dem unbeliebten "NetzDG", das Straftaten in sozialen Netzwerken bekämpfen soll.
  • Die SPD-Politikerin erzählt, wie sie selbst mit Anfeindungen im Internet umgeht und wiederholt ihre Forderung nach einem "Pluralismusgebot" für News-Algorithmen.
  • Barley vermittelt so das Gefühl, dass die Bundesregierung Ängste und Misstrauen ernst nimmt - bleibt bei manchen Netzthemen aber allzu diplomatisch.

Von Jannis Brühl und Charlotte Haunhorst

Eigentlich hat Deutschland keine Internetministerin, aber am Mittwochabend übernimmt Katarina Barley den Job. Viele Hände im Publikum heben sich, Gäste bombardieren die Ministerin - offiziell für Justiz und Verbraucherschutz zuständig - mit den großen Fragen der digitalen Zeit.

Ein Student will wissen, ob Datenschutz nicht dem Fortschritt im Weg steht. Er meint etwa die Krebserkennung mithilfe künstlicher Intelligenz. Ein pro-kurdischer Aktivist fragt, warum auf Facebook ständig seine Öcalan-Fotos gelöscht würden. Eine junge Frau erkundigt sich, warum die Monopole aus dem Silicon Valley nicht mit dem guten alten Kartellrecht gebrochen würden. Ein Herr will, dass Barley für ihn ein berüchtigtes Dilemma endgültig auflöst: Soll ein autonom fahrendes Auto denn jetzt das Kind überfahren oder den Greis? (Wenn es keine andere Option gibt.)

Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahlen im Mai sitzt auf einem Podium der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München vor 250 Menschen, die meisten Studenten. Die SZ, jetzt.de und das Institut für Kommunikationswissenschaft der LMU haben sie eingeladen, um über die Frage zu debattieren: "Gelten Gesetze auch für soziale Netzwerke wie Facebook?"

Einige Male bleibt Barley zu diplomatisch

Barley vertritt eine Regierung, die deutlich später eine KI-Strategie entwickelt hat als andere Industriestaaten, und auf deutschen Ämtern stehen die Bürger immer noch ganz analog in Schlangen. Das mobile Netz ist vielerorts immer noch so schlecht, dass sich die Nutzer nicht einmal auf Twitter darüber beschweren können, wie schlecht es ist.

Die Ministerin hört zu, vermittelt im Gespräch mit SZ-Redakteurin Karoline Meta Beisel immerhin das Gefühl, dass die Bundesregierung Ängste und Misstrauen ernst nimmt. Ängste, die die Machtkonzentration in einigen Tech-Konzernen und eine hypernervöse Online-Debatte hervorrufen. Misstrauen gegen zu starke und zu häufige Eingriffe des Staates in das wichtigste Kommunikationsmittel vieler Menschen.

Einige Male bleibt Barley dabei etwas zu diplomatisch. Etwa, wenn sie sich bei der umkämpften EU-Urheberrechtsreform lediglich als Vermittlerin gibt, die es vergeblich allen recht machen müsse: "Am Ende werde ich auf jeden Fall verhauen. Es macht keinen Spaß, von den Verlegern, Youtube, Google und den Kreativen verhauen zu werden. Und am Ende werden sie mich vermutlich alle verhauen, aber das spricht vielleicht auch dafür, einen guten Ausgleich zwischen allen geschaffen zu haben." Die entsprechende EU-Direktive hat in Brüssel die Lobbyschlacht des Jahres ausgelöst. Verleger wollen, dass Google ihnen Geld für Links zahlt. Musik- und Filmverwerter wollen Youtube zwingen, alle Inhalte auf Urheberrechtsverletzungen zu prüfen. Und die Freunde von Film-Remixen und Satire fürchten um die Freiheit, sich auszudrücken. Barley und die Bundesregierung selbst sind dabei im europäischen Rat mitentscheidende Akteure.

Barley nennt das NetzDG erfolgreich

Barley muss auch das unbeliebte Gesetz verteidigen, das sie von ihrem Vorgänger Heiko Maas geerbt hat: das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz "NetzDG". Im Oktober ist es ein Jahr alt geworden. Große soziale Netzwerke wie Facebook oder Youtube drohen hohe Strafen, wenn sie Beiträge nicht konsequent löschen, in denen Straftaten begangen werden: von Beleidigung und Verleumdung über Bedrohung bis Volksverhetzung.

Beisel weist darauf hin, dass sich am selben Abend in Berlin der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit kritisch über das "NetzDG" äußern wird: Russland nutze es als Legitimation, demokratische Kritik einzuschränken.

Das ebenso einmalige wie umstrittene Regelwerk aus Deutschland ist für Beobachter wahlweise Zensurwerk, Inspiration für Autokraten, stümperhaft zusammengebastelt - oder das Vorbild, wie ein Staat mit dem Phänomen der sozialen Netzwerke aus dem Silicon Valley umgehen kann. Barley befindet: "Das NetzDG ist ein gutes Beispiel, wie sich Befürchtungen zerstreuen können."

"Ich bin Juristin, ich schick' da nicht irgendwas los"

Vom oft beschworenen Overblocking - der vorauseilenden Sperrung sehr vieler Beiträge aus Furcht vor hohen Strafen - könne keine Rede sein. 80 Prozent der Beschwerden würden nicht gelöscht (was im Groben stimmt). Viele Fehleinschätzungen der Netzwerke, was zu löschen sei, gebe es offenbar auch nicht: Sie habe im ihr unterstellten Bundesamt für Justiz mit 25 000 Beschwerden gerechnet. "Eingegangen sind bisher 700."

Zum Umgang mit Aggressionen im Netz bekennt Barley, besonders brutale Beiträge früher auch selbst bei den Netzwerken gemeldet zu haben. Sie habe "hin und wieder" Beschwerden losgeschickt, aber es sei nur zurückgekommen: Haben wir geprüft, ist okay. Dabei seien die Beiträge strafbar gewesen: "Ich bin Juristin, ich schicke da nicht irgendwas los." Wegen des NetzDGs könnten die Unternehmen sich nun nicht mehr so leicht aus der Affäre ziehen. Sie selbst beschränke sich inwzischen darauf, nur die schlimmsten Twitter-Konten stummzuschalten, von denen sie angefeindet werde. Ständig Kritiker blockieren wolle sie nicht, dann würde sie ja "selbst in eine Bubble kommen".

Die Filterblase ist eines von Barleys Lieblingsthemen. Ihre viel diskutierte Überlegung, ein "Pluralismusgebot" für News-Algorithmen vorzuschreiben, verteidigt sie: Würden die Netzwerke verpflichtet, auch Inhalte in ihren Nachrichtenstrom zu mischen, die den Interessen der Nutzer gar nicht entsprechen, könne das "Filterblasen anstechen". Dieser Gedanke, den sie vor einigen Monaten auf einem Podium locker geäußert habe, hatte sofort einen Aufschrei im Netz hervorgerufen: Zensur! Dabei sei die Idee doch reizvoll, sagt Barley nun: "Ich würde dann auch mal AfD-Content aufgespielt bekommen. Das ist dann aber für manche sicher auch wieder Meinungsdiktatur oder so."

Barley ist an diesem Abend aber nicht nur gefühlte Internetministerin, sondern auch Ministerin für Sisyphusarbeit: "Wir können regulieren, bis der Arzt kommt, aber wir werden immer Datenspuren hinterlassen. Und Unternehmen werden die verwenden." Die Frage, ob das autonome Auto nun das Kind oder den Greis überfahren solle, beantwortet sie im Übrigen mit einer Gegenfrage: Ob die Maschine am Ende vielleicht nicht einfach würfeln müsse?

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