Forschungsprojekt:Wohnen, arbeiten, entspannen

Platz für alle schaffen: Hamburger Wissenschaftler wollen die Wasserlagen der Stadt für Bürger erschließen.

Von Sabine Richter

Mit dem Senatskonzept "Stromaufwärts an Elbe und Bille" soll der Hamburger Osten ein Schwerpunkt der Stadtentwicklung werden. Bis zu 20 000 neue Wohnungen können dort gebaut werden, Platz soll aber auch für Gewerbebetriebe sein. Die schicke, etwas seelenlose Hafencity vor Augen, ist diese Entwicklung vielen unheimlich. Zu ihnen gehört Dorothee Halbrock. Mit ihren Mitstreitern vom Verein "Hallo: Verein zur Förderung raumöffnender Kultur e.V" veranstaltet sie in einem alten Kraftwerksbau Kulturfestivals und betreibt mit der "Schaltzentrale" ein experimentelles Stadtteilbüro. Halbrock will erreichen, dass ungenutzte oder verschlossene Orte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

"Wo Lärm ist, kann es nicht zu schick und teuer werden - wie etwa in der Hafencity."

Das ist auch ein Anliegen von Antje Stokman, an der Hafencity Universität Professorin für Landschaftsarchitektur. Ihr Forschungsprojekt mit etwa 25 Studierenden arbeitet mit der "Schaltzentrale" zusammen. Die Teilnehmer des Projekts kartieren ein etwa 1000 Quadratmeter großes Gebiet rund um den Billebogen, meist vom Boot aus. Quasi im Vorfeld der Stadtentwicklung soll erkundet werden, wo es, ähnlich wie an Alster oder Elbe, öffentliche und nicht-kommerzielle Zugänge zu den Wasserlagen gibt, wie man sie erschließen kann und welche Perspektiven es für eine öffentliche Nutzung gibt. Das Lehr- und Forschungsprojekt ist Teil einer Kooperation mit dem Illinois Institute of Technology in Hamburgs Partnerstadt Chicago, die ähnliche Fragen im Umgang mit zentral gelegenen Industriegebieten am Wasser beschäftigt. "Vor dem Hintergrund wachsender und sich verdichtender Städte werden auch mehr Freiräume benötigt. Deshalb ist die Frage, wie man Wohnen, Arbeiten und Freizeit miteinander verknüpfen kann, immer wichtiger", erklärt Stokman. Zu einer gemeinwohlorientierten Quartiersentwicklung gehöre auch die Vernetzung von Nachbarschaften, Vereinen und der Wirtschaft sowie das Schaffen von Anlaufstellen für die Bürger.

Dass Wasserlagen Werte schaffen, weiß die Immobilienwirtschaft genau. Etwa 80 Kilometer lang sind Bille, Elbe und Kanäle in Hamburgs östlichen Stadtteilen Hammerbrook, Hamm, Billwerder und Rothenburgsort. Anders als an der Alster sind die Wasserlagen hier aber meist die eher versteckten Rückseiten von Industrie und Gewerbe, vieles davon kleinteilig und defensiv genutzt. Zahlreiche Wohngebäude sind im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. So lebten beispielsweise in Hammerbrook um 1938 noch 57 000 Menschen, heute sind es nur um die 2000. Aber erste Wohngebäude an den Kanälen sind entstanden, auch Künstler und Kreative haben diese Ecke entdeckt.

Die Industriebetriebe werden von Kulturschaffenden und Stadtplanern nicht als Störfaktor gesehen. Für Dorothee Halbrook und Antje Stokman erfüllen die Betriebe an den Kanälen des Hamburger Ostens eine wichtige Funktion. "Sie sind so etwas wie Schutzräume, dass Nischen für kreative Nutzungen erhalten bleiben", sagt Halbrock. "Wo gebaut wird, wo Lärm ist, kann es nicht zu schick und teuer werden, wie etwa in der Hafencity". Das unter Denkmalschutz stehende Kraftwerk an der Bille mit Kohlebunkern, Kessel und Turbinenhalle ist ein gutes Beispiel. Künstler haben dort ihre Räume, die Schaltzentrale ihren Stadtteiltreff. Dort hat der Hallo: e.V. einen schwimmenden Bootsanleger geschaffen. Und damit einen der raren Zugänge zum Wasser als nachbarschaftlichen und - während Veranstaltungen - sogar öffentlichen Raum hergestellt.

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