Soziale Medien:"Wir können regulieren, bis der Arzt kommt"

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Bundesjustizministerin Katarina Barley spricht auf einer Podiumsdiskussion von SZ, jetzt.de und der LMU über Recht und Gesetz in sozialen Netzwerken. Sie wirkt zuweilen wie das, was Deutschland nicht hat: Eine Internetministerin.

Von Jannis Brühl und Charlotte Haunhorst

Eigentlich hat Deutschland keine Internetministerin, aber am Mittwochabend übernimmt Katarina Barley den Job. Viele Hände im Publikum heben sich, Gäste bombardieren die Ministerin - offiziell für Justiz und Verbraucherschutz zuständig - mit den großen Fragen der digitalen Zeit. Ein Student will wissen, ob Datenschutz nicht dem Fortschritt im Weg steht. Er meint etwa die Krebserkennung mithilfe künstlicher Intelligenz. Ein pro-kurdischer Aktivist fragt, warum auf Facebook ständig seine Öcalan-Fotos gelöscht würden. Eine junge Frau erkundigt sich, warum die Monopole aus dem Silicon Valley nicht mit dem guten alten Kartellrecht gebrochen würden. Ein Herr will, dass Barley für ihn ein berüchtigtes Dilemma endgültig auflöst: Soll ein autonom fahrendes Auto denn jetzt das Kind überfahren oder den Greis, wenn es keine andere Option gibt?

Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahlen im März sitzt auf einem Podium der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München vor 250 Menschen, die meisten Studenten. Die Süddeutsche Zeitung, jetzt.de und das Institut für Kommunikationswissenschaft der LMU haben sie eingeladen, um über die Frage zu debattieren: "Gelten Gesetze auch für soziale Netzwerke wie Facebook?" Barley vertritt eine Regierung, die deutlich später eine KI-Strategie entwickelt hat als andere Industriestaaten, und auf deutschen Ämtern stehen die Bürger immer noch ganz analog in Schlangen. Das mobile Netz ist vielerorts immer noch so schlecht, dass sich Nutzer nicht einmal auf Twitter darüber beschweren können, wie schlecht es ist.

Die Ministerin hört zu, vermittelt im Gespräch mit SZ-Redakteurin Karoline Meta Beisel immerhin das Gefühl, dass die Bundesregierung Ängste und Misstrauen ernst nimmt. Ängste, die von der Machtkonzentration in einigen Tech-Konzernen kommen. Misstrauen gegen zu starke Eingriffe des Staates in das wichtigste Kommunikationsmittel vieler Menschen.

Einige Male bleibt Barley dabei etwas zu diplomatisch. Etwa, wenn sie sich bei der umkämpften EU-Urheberrechtsreform lediglich als Vermittlerin gibt: "Am Ende werde ich auf jeden Fall verhauen. Es macht keinen Spaß, von den Verlegern, Youtube, Google und den Kreativen verhauen zu werden. Und am Ende werden sie mich vermutlich alle verhauen, aber das spricht vielleicht auch dafür, einen guten Ausgleich zwischen allen geschaffen zu haben." Barley muss auch das unbeliebte Gesetz verteidigen, das sie von ihrem Vorgänger Heiko Maas geerbt hat: das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Im Oktober ist es ein Jahr alt geworden. Großen sozialen Netzwerken wie Facebook oder Youtube drohen hohe Strafen, wenn sie Beiträge nicht konsequent löschen, in denen Straftaten begangen werden: von Beleidigung und Verleumdung bis zu Volksverhetzung.

Moderatorin Beisel weist darauf hin, dass sich am selben Abend in Berlin der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit kritisch über das NetzDG äußern wird: Russland nutze es als Legitimation, demokratische Kritik einzuschränken. Das Regelwerk aus Deutschland ist für Beobachter wahlweise Zensurwerk, Inspiration für Autokraten, stümperhaft zusammengebastelt - oder das Vorbild, wie ein Staat mit sozialen Netzwerken umgehen kann. Barley befindet: "Das NetzDG ist ein gutes Beispiel, wie sich Befürchtungen zerstreuen können." Vom oft beschworenen Overblocking - der vorauseilenden Sperrung vieler Beiträge aus Furcht vor Strafen - könne keine Rede sein. 80 Prozent der Beschwerden würden nicht gelöscht (was im Groben stimmt). Viele Fehleinschätzungen, was zu löschen sei, gebe es offenbar auch nicht: Sie habe im ihr unterstellten Bundesamt für Justiz mit 25 000 Beschwerden gerechnet. "Eingegangen sind bisher 700."

Zum Umgang mit Aggressionen im Netz bekennt Barley, besonders brutale Beiträge früher auch selbst bei den Netzwerken gemeldet zu haben. Sie habe "hin und wieder" Beschwerden losgeschickt, aber es sei nur zurückgekommen: Haben wir geprüft, ist okay. Dabei seien die Beiträge strafbar gewesen: "Ich bin Juristin, ich schicke da nicht irgendwas los." Wegen des NetzDGs könnten die Unternehmen sich nicht mehr so leicht aus der Affäre ziehen. Sie selbst beschränke sich darauf, die schlimmsten Twitter-Konten stummzuschalten, von denen sie angefeindet werde. Ständig Kritiker blockieren wolle sie nicht, dann würde sie ja "selbst in eine Bubble kommen".

Barley ist an diesem Abend aber nicht nur gefühlte Internetministerin, sondern auch Ministerin für Sisyphusarbeit: "Wir können regulieren, bis der Arzt kommt, aber wir werden immer Datenspuren hinterlassen. Und Unternehmen werden die verwenden." Die Frage, ob das autonome Auto nun das Kind oder den Greis überfahren solle, beantwortet sie mit einer Gegenfrage: Ob die Maschine vielleicht nicht einfach würfeln müsse?

© SZ vom 30.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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