Stadt der Zukunft:Gärten, die die Welt retten könnten

Badya City BIRDVIEW

Vor zweitausend Jahren war die Wüste ein Wald. Jetzt könnte, 30 Kilometer westlich von Kairo, eine Gartenstadt für 150 000 Einwohner daraus werden.

(Foto: Albert Speer und Partner)
  • In der Wüste nahe Kairo wird derzeit eine futuristische Stadt für 150 000 Bewohner geplant.
  • Der Münchner Wolfgang Plattner könnte dafür das Begrünungskonzept liefern.
  • Seine Erfindung suggeriert Pflanzen, sie seien, was Wasser und Nährstoffe angeht, bereits "im Schlaraffenland".

Von Gerhard Matzig

Gott ist ein Blumenhändler. Sein Laden befindet sich, kaum verwunderlich, in der Himmelschlüsselstraße 60, also in einem nördlichen, eher nicht so mondänen Stadtteil Münchens. Nämlich in Feldmoching-Hasenbergl. Dass man einen Termin mit Gott im himmlischen München hat: logisch. Dass aber seine Firma, die mit ihrer unaufgeregten Treibhausarchitektur an eine alte Gärtnerei erinnert und in Wahrheit ein Pflanzengroßhandel namens "G.K.R." ist, nicht in einer angesagten Gegend, sondern nahe dem Hasenbergl residiert, das ist in jeder Hinsicht sympathisch bis zeichenhaft.

Ansonsten aber würde Wolfgang Plattner in aller Bescheidenheit wohl anmerken, dass er weder Blumenhändler noch Gott ist. Immerhin aber kündigt der heute 59-jährige Unternehmer, Hobbykünstler und Selfmade-Visionär, der als 14-Jähriger sein Taschengeld mit dem Verkauf von Schnittblumen in Moosach aufgebessert hat, an: "Ich werde es in der Wüste regnen lassen. Und dann mache ich daraus einen großen Wald."

Also, in aller Demut natürlich. Möglicherweise ist Gott ja ein Freund feiner Ironie. Plattner schmunzelt. Allerdings ist die zunächst grotesk sich anhörende Idee, wonach aus der Wüste eines Tages wieder das werden könnte, was dort zweitausend Jahre zuvor einmal unter anderen klimatischen Bedingungen existierte, eine wald- und pflanzenreiche, fruchtbare Region, mehr als ein Hirngespinst.

Wenn die Sonne die Fieberhirne der Investoren scharf anbrät und ein Werbeclip herauskommt

Direkt in der Wüste, 30 Kilometer westlich von Kairo gelegen, will der Immobilienentwickler Palm Hills Development nach einem spektakulären Entwurf des Frankfurter Architektur- und Städtebaubüros Albert Speer und Partner (AS + P) in den kommenden Jahren "Badya City" realisieren: eine Stadt für 150 000 Bewohner auf einem 1 260 Hektar umfassenden Areal.

Das Projekt ist Teil der 6th of October City. Das ist eine der zahlreichen satellitenhaften Entlastungsstädte für das vom Beton- und-Dichte-Infarkt heimgesuchte Kairo mit seinen bald zehn Millionen Einwohnern. Fast jeder ägyptische Herrscher träumt davon, die Wüste zum Blühen zu bringen, in der Umgebung der Hauptstadt, im Delta, südlich der Oasen. Denn der Gegensatz zwischen der winzigen bewohnbaren Fläche und der explodierenden Bevölkerung ist für Ägypten inzwischen bedrohlich.

Der Werbeclip der Investoren aus Deutschland trägt allerdings fast surreale Züge. Da wird in Form einer Kunstgeschichteverrätselung eine Stadt heraufbeschworen, wie sie wohl aussähe, wollte man den Maler Henri Rousseau zum Chefgärtner des sumpfigen "Star-Wars"-Dagobah am Rande der Galaxis ernennen. Welches Fenster oder welche Tür man in der künftigen Nachhaltigkeits-Kapitale Badya City ("The Creative City") auch immer öffnet: Davor und dahinter befindet sich der Garten Eden. Plus ein von David Hockney realisierter Splash-Pool. Plus Eva, die Frau im Blumenkostüm, die sich auf einem Sofa inmitten einer dschungelhaften Landschaft rekelt und einem Tiger das Fell hinter den Ohren krault. Wovon Investoren halt so träumen, wenn deren Fieberhirne in schattenlos staubigen Landschaften in der Sonne scharf angebraten werden.

Nun tauchen ja immer wieder mal neue Pläne von immer superlativistisch herbeieuphorisierten Öko-Städten in aller Welt auf. Neu an Badya City ist aber, dass die suggestiven Renderings in einem hochseriösen Architekturbüro mit konstruktivem Leben gefüllt werden. AS & P sind nicht nur für den Städtebau, sondern auch für die Architektur zuständig. Und somit auch für ein realistisches Begrünungskonzept, bei dem die Himmelschlüsselstraße ins Spiel kommen könnte. Im Konjunktiv. Denn, so formuliert man es bei G.K.R. diskret, noch habe man den Auftrag zur Begrünung der Wüste nicht in der Tasche.

Noch wird darüber nachgedacht, ob, wie und wann die Erfindung von Wolfgang Plattner in Ägypten zum Einsatz kommen könnte. Wann man ihm also dabei zusehen kann, wie er aus einer Wüste mithilfe von Pflanzen, die Einfluss nehmen auf das Mikroklima, ein rousseauhaftes Arkadien bis hin zum Wald macht. Vorausgesetzt: Man gibt dem Projekt ein oder auch zwei Jahrtausende Zeit. Dass sich Wald und Naturmystik aber schon heute als deutsche Exportgüter anbieten, ist auch mit Blick auf die Romantik gut nachvollziehbar.

Wobei Plattner kein delirierender Fantast ist. Er ist aber Tüftler, Bastler, Visionär und Erfinder. Bisweilen hat man ja ohnehin das Gefühl, große Erfindungen werden gar nicht ausschließlich im Nerdreich des Silicon Valley von knapp volljährigen Leuten gemacht. Und nicht nur in Ex-Garagen. Manchmal eben auch in einer Ex-Gärtnerei in München. Die Fachleute von AS & P waren erst kürzlich da.

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In Düsseldorf entsteht ein Gebäude von Ingenhoven Architects als Hainbuchenhecke.

(Foto: Reiß Michael)

Die Stadt der Zukunft ist grün

Etliche namhafte Architekten und Stadtplaner in aller Welt fangen derzeit an, sich für die Himmelschlüsselstraße 60 in München zu interessieren. Wenn das so weitergeht, kann Plattner am Parkplatz hinter der Gärtnerei ein Schild anbringen lassen: "Reserviert für Stararchitekten". Seit er und sein Team ihre Erfindung auf der Architekturbiennale in Venedig gezeigt haben, ist G.K.R. so etwas wie die Hoffnung einer grünavantgardistischen Pflanzen-Architektur. Nicht als Kunst-Begrüner wie der Franzose Patrick Blanc. Sondern als Tüftlerbund. Was vielleicht auch etwas deutschtypisch ist. Aber auch in dieser Rolle kann man zu einer Art Buckminster Fuller der Botanik werden.

Plattners Erfindung heißt "schwebende Pflanzen" (als Marke: Hydro Profi Line). Vereinfacht gesagt, beschreibt die dem Schweben zugrunde liegende, patentierte Technologie eine Art Botanikschwindel. Beziehungsweise eine Überredungskunst. Den Pflanzen in speziellen Begrünungssystemen wird nämlich suggeriert, sie seien, was Wasser und Nährstoffe angeht, bereits "im Schlaraffenland". Deshalb tun sie fürderhin, so Plattner, genau das nicht, was Pflanzen sonst immer erdwärts tun: sich in Richtung Nährstoffe auszuwurzeln. Letztlich aber bedeutet dies: Der Wasserverbrauch von Begrünungen reduziert sich laut G.K.R. "um bis zu achtzig Prozent auf nachhaltige Weise".

Langfristig haben die Pflanzen außerdem genug Platz. Durch das quasi natürlich eingeschränkte Wurzelwachstum bleibt auch die Architektur als vertikales Traggerüst (Wand) oder als horizontale Konstruktion (Dach) frei von der Notwendigkeit, sich dem Pflanzenwachstum in irgendeiner Weise dynamisch anzuschmiegen. In der Kombination einer planvoll durchdachten, statischen Architektur und einer ebenso planvoll konzipierten, dynamisierbaren Pflanzebene werden begrünte Kubaturen erstmals wirklich "pflegeleicht". Und, wichtiger, massenwirksam. Denn Pflanzen verschönern nicht nur das Lebens- oder Arbeitsumfeld, sie dienen auch der Verdunstkühlung, der Temperaturpufferung, der Verschattung und sogar der Luftreinigung sowie der Staubbindung. Sogar der Fauna kann solche Flora dienlich sein. Und eine Lärmminderung um bis zu zehn Dezibel ist auch noch drin. Flora ist insofern nicht nur die Göttin der Blüte, sondern auch die Superheldin des zeitgenössischen Städtebaus.

Die Praxistauglichkeit der Plattnerschen Wurzel-Überredungskunst, so sie langfristig nachweisbar ist, definiert den entscheidenden Punkt. Denn viele neue Vertikal-Wälder (zeichenhaft ist etwa der "Bosco Verticale", ein intensiv begrünter Zwillingsturmkomplex in Mailand von Stefano Boeri) leiden mitunter schon bald am vernachlässigten Grün. Oder an zunehmend ins Astronomische wuchernden Kosten für die Pflege. In den Worten von Ingenhoven Architects: "Mit Balkonblumen ist es halt nicht getan, wenn man wirklich grüne Architektur haben will." Wände und Dächer sind nicht so leicht in Naturreservate zu verwandeln, wie das einem auf Imagebroschüren gern vorgegaukelt wird.

Am Ende sind es doch noch die Gärtner, die die Welt retten

Das inzwischen weltweit agierende Büro aus Düsseldorf, mit Christoph Ingenhoven an der Spitze, gehört übrigens zu den Pionieren grüner Städte und einer atmend vitalen Architektursprache. In Singapur wurde der vor wenigen Monaten eröffnete Gebäudekomplex "Marina One" mit dem Mipim-Award 2018 (Best Innovative Green Building) ausgezeichnet. Und in Düsseldorf entsteht gerade "Kö-Bogen 2". In zwei Jahren soll unmittelbar am Hofgarten, dem Dreischeibenhaus wie dem Schauspielhaus benachbart, eine furiose Grün-Architektur entstehen: ein Haus wie eine monumentale, dreidimensionale Hecke. Auf diese Weise wird eine Geschäfts- und Büroadresse nicht nur zum Teil der Stadt, sondern sogar zu Park und Landschaft.

Die Sehnsucht nach einer wieder grüneren Stadt - sie lässt sich zum Beispiel in Jonas Reifs Buch "CityTrop" oder im Woha-Werk "Garden City - Mega City: Rethinking Cities For The Age Of Global Warming" nachlesen - ist alt. Vielleicht fängt sie schon mit den Hängenden Gärten der Königin Semiramis in Babylon an - auch wenn dieses "Weltwunder" nie nachgewiesen werden konnte. Viel später, auf der Pariser Weltausstellung 1867, stellte Carl Rabitz, ein Berliner, ein erstes begrüntes Flachdach vor. Aber erst seit der Ölkrise nimmt das Interesse an einer Aussöhnung von Natur- und Stadtraum und die Sehnsucht nach einer gelingenden Grün-Grau-Symbiose spürbar zu. Lange als "Architektenpetersilie" verspottet, als Feigenblatt sozusagen, avanciert das Grün in der Baukunst zum echten Partner.

Städte werden sogar regelrecht umgewertet, denn historisch betrachtet standen sich Stadt und Land, also Stein und Natur, zumeist antagonistisch gegenüber. In der Ära der pandemisch gewordenen Verstädterung, da uns weltweit schon der Beton ausgeht und der zu seiner Herstellung benötigte Sand als endliche Ressource gelten muss, ist die Idee von der umgewidmeten Stadt als dem Naturraum der Zukunft, der zugleich das endlich zivile Habitat der Menschheit wäre, eine fraglos inspirierende Utopie. Am Ende sind es womöglich die Gärtner, die die Welt retten.

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