NS-Raubkunst:Nehmt euch Zeit

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Die deutsche Schuld hat kein Ablaufdatum. NS-Geschichte muss weiter erforscht werden, damit die Nachkommen der Opfer geraubte Kunst zurückerhalten.

Von Kia Vahland

Die nationalsozialistischen Verbrechen lassen sich nicht wiedergutmachen, die Wunden nicht heilen. Wohl aber lässt sich das Erbe der Mörder und Diebe zumindest teilweise aufräumen. Dazu gehören die enormen Besitztümer, die zwischen 1933 und 1945 jüdischen Bürgern und anderen Opfern abgepresst und gestohlen wurden. Von Büchersammlungen bis zu Werken von Rembrandt oder Paul Klee landete vieles in den Depots und Sälen der Bibliotheken und Museen.

Das Aufräumen begann erst vor 20 Jahren, am 3. Dezember 1998. Damals unterschrieben Vertreter der Bundesrepublik die international ausgehandelte "Washingtoner Erklärung". Nach dieser moralischen Selbstverpflichtung sollen Museen, Büchereien und andere öffentliche Einrichtungen ihre Bestände erfassen, die Verzeichnisse publizieren und jene Stücke, die ihnen nicht gehören, an die Erben der Opfer zurückgeben. Die Unterzeichner versprachen, endlich alles zu tun, um für das so lange vernachlässigte Problem der NS-Raubkunst "gerechte und faire Lösungen" zu finden.

Zwei Jahrzehnte später ist die Sache immer noch nicht gelöst - obwohl viel geschehen ist. Provenienzkunde, die Wissenschaft von der Herkunft von Sammlerstücken, ist ein eigenes Forschungsgebiet geworden. Museen, Bibliotheken, Archive durchforsten ihre Besitztümer, manchmal aus eigenen Stücken, manchmal auf Druck von Anspruchstellern. Einiges wurde restituiert, über anderes wird gestritten, zumeist, weil die historische Überlieferung nicht eindeutig ist. Sehr viele Bestände aber sind immer noch nicht erforscht, oft wurden sie nicht einmal systematisch erfasst. Das meiste Diebesgut sowie die Hehlerware der Nachkriegszeit befinden sich noch in falschen Händen.

Dabei mangelt es der deutschen Politik und ihren Kulturinstitutionen nicht an gutem Willen. Der ist zumeist da, vom Heimatmuseum in der bayerischen Provinz bis zur Kulturstaatsministerin Monika Grütters in Berlin. Doch anstatt die Provenienzforschung zu verstetigen, wurden für viel Geld verstreut über das ganze Land befristete Projekte mit befristeten Stellen geschaffen. Dort wird keine Grundlagen-, sondern Einzelfallforschung betrieben, deren Ergebnisse niemand koordiniert. Das ist für alle Beteiligten, Museumsleute wie Opfervertreter, unbefriedigend. Wenn der nächste große Skandal kommt, wie vor sechs Jahren der Fall Gurlitt, werden wieder alle mit leeren Händen dastehen, weil das NS-Raubsystem noch nicht wirklich verstanden ist.

Dahinter steht kein bürokratisches Problem, sondern ein gedankliches. Geleitet wird die Kulturpolitik immer noch von der Hoffnung, eines Tages sei die Vergangenheit endlich geklärt. Das aber hat sich als naiv erwiesen. Die deutsche Schuld hat kein Ablaufdatum. Unrecht lässt sich nicht pauschal aufklären. Wer aus der Geschichte lernen will, muss sich in langwieriger akribischer Arbeit Einzelschicksalen widmen. Erst im Detail zeigt sich, wie es zum Holocaust kommen konnte.

Der Irrglaube, der nationalsozialistische Kunstraub ließe sich schnell aufarbeiten, wurzelt in den geschichtspolitisch verunsicherten Neunzigerjahren, jener Epochenschwelle zwischen dem Kalten Krieg und der heutigen globalisierten Gesellschaft. 1998 war auch das Jahr, in dem der Schriftsteller Martin Walser in der Frankfurter Paulskirche sagte, bei dem Berliner Holocaust-Denkmal handele es sich um eine "Monumentalisierung der Schande". So reden heute nur noch Politiker am äußersten rechten Rand der AfD. Das Denkmal ist längst da, es ist viel besucht, und die Verpflichtung zur Erinnerung und Aufklärung ist weitgehender gesellschaftlicher Konsens.

Ihn sollte die deutsche Politik nun auch in Kunstraubfragen in Taten umsetzen. Sie muss sich eingestehen, dass dieses Thema bleiben wird und systematischer Anstrengungen bedarf: Dazu gehören eine bundes- und europaweit vernetzte Forschung, Transparenz der Archivbestände und eine viel bessere Ausstattung für die Limbach-Kommission, die in Streitfragen zwischen Erben und Museen als Schiedsstelle wirkt. Sie braucht festangestellte Historiker und Juristen, die sich jedem Fall in Ruhe widmen. Und sie muss auch einseitig anrufbar sein, damit Opfervertreter nicht auf die Kooperationsbereitschaft von Museen angewiesen sind. Auch Privatsammler müssen mehr in die Pflicht genommen werden und benötigen zudem Hilfe, wenn sie ihren Besitz nach den Washingtoner Prinzipien untersuchen lassen wollen. Bessere Strukturen in Museen und an Universitäten sind auch deshalb nötig, weil sie helfen können, die ebenfalls anstehenden Fragen nach Raubgütern aus der Kolonialzeit zu klären.

Angela Merkel hat erkannt, wie gefährlich Antisemitismus und ein Rechtsruck für das Land sein können. Sie müsste sich nun, 20 Jahre nach 1998, zu den Prinzipien von Washington bekennen und für ihre Umsetzung persönlich einstehen. Jetzt, wo diese Kanzlerin noch Gestaltungsmacht hat, ist der Moment zu handeln.

© SZ vom 30.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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