FC Liverpool:Klopp spurtet durchs freie Gelände

Jürgen Klopp jubelt nach dem Tor von Origi gegen den FC Everton

Wahnsinn in der Nachspielzeit: Jürgen Klopp jubelt nach dem 1:0 gegen Everton.

(Foto: AP)
  • Der FC Liverpool gewinnt ein umjubeltes Derby 1:0 gegen den FC Everton und hält in England die Meisterschaft spannend.
  • Jürgen Klopp rennt nach Schlusspfiff über das halbe Feld - der Siegtreffer in der 96. Minute wirkt in Liverpool wie ein Vulkanausbruch.
  • Anschließend entschuldigt er sich bei seinem Trainerkollegen Marco Silva.

Von Sven Haist, Liverpool

Einfach drauf, was blieb Virgil van Dijk anderes übrig? Zu verlieren hatte der FC Liverpool nichts mehr in der finalen Aktion des Spiels, ein Unentschieden war im Lokalduell mit dem FC Everton bereits eingeplant. Ob van Dijk deswegen den Ball nur halbwegs erwischte oder gar nicht, war eigentlich egal: Der Ball musste dringend ins Tor, wenn Liverpool noch gewinnen wollte. Und so holte van Dijk am Strafraum kurz aus, um den Ball auf Höhe der eigenen Hüfte mit einem Alles-oder-Nichts-Volleyschuss in den Torwinkel zu knallen.

Statt den Ball jedoch mit dem Spann zu erwischen, traf ihn der Verteidiger mit dem Schienbein. Das Spielgerät stieg mit unberechenbarem Rückwärtsdrall in den Himmel auf, die letzte Chance schien dahin. Selbst van Dijk gab die Hoffnung auf und wendete sich ab. Mit dem Remis wäre ManCity an der Tabellenspitze der englischen Liga auf vier Punkte davongezogen - und wer weiß schon, ob Liverpool diesen Rückstand auf den Meister in dieser Saison je hätte aufholen können? Doch es kam anders.

Zur Weisheit des Fußballs gehört eben auch, dass ein hochgeflogener Ball irgendwann wieder herunterkommen muss. Und so titschte der Ball zur Überraschung von Evertons Keeper Jordan Pickford zweimal auf die Latte - und dann zu Divock Origi, der ein Tor schoss, das ganz Liverpool ausrasten ließ, nicht zuletzt seinen Trainer Jürgen Klopp.

Der obligatorische Lauf von Jürgen Klopp

Mit dem Kopf drückte Origi den Ball über die Torlinie, sechs Minuten nach seiner Einwechslung im ersten Ligaspiel für ihn in dieser Spielzeit. Der Siegtreffer bot ihm die Möglichkeit, endlich Frieden zu schließen mit einem wüsten Foul von Ramiro Funes Mori, dessen Folgen ihn im April 2016 gegen Everton aus der Bahn geworfen hatten. Der belgische Angreifer, in der Vorsaison nach Wolfsburg ausgeliehen, zog sich eine Bänderverletzung im Knöchel zu. Bei seinem Torjubel schnappte sich Origi, 23, den Ball aus dem Netz und hielt ihn derart fest im Arm, als wolle er ihn nie mehr hergeben.

Nach dem 1:0 in der sechsten Minute der Nachspielzeit spielte sich an der Anfield Road der übliche Wahnsinn ab. Von der Trainerzone aus legte Jürgen Klopp seinen obligatorischen Freudenlauf aufs Parkett. Wenn nicht Torwart Alisson Becker ihn mitten auf dem Spielfeld gestoppt hätte, wäre Klopp vermutlich immer noch unterwegs. Anschließend habe er seinen Trainerkollegen Marco Silva um Verzeihung gebeten: "Ich wollte nicht loslaufen. Das war nicht mein Plan, aber ich konnte halt einfach nicht anhalten", erklärte Klopp seinen Gefühlsausbruch: "Als der Ball den Fuß von Virgil verlassen hat, dachte ich, es wäre vorbei." Silva selbst sagte, er haben von einer Entschuldigung nichts mitbekommen: "Ich sage nicht, dass es ihm an Respekt mangelt, weil ich es nicht gesehen habe."

Durch den Sieg im 232. Merseyside-Derby (dem 100. Aufeinandertreffen der Klubs in Anfield) bleibt Liverpool auf zwei Punkte an Manchester City dran und bringt den Meister damit in Zugzwang. Für City stehen in dieser Woche zwei Auswärtsspiele an, die es durchaus in sich haben. Mit Watford wartet am Dienstag eine nicht zu unterschätzende Stolperfalle vor dem Topspiel mit Chelsea am Samstag. Das emotionale Hoch des Erfolgs über Everton soll Liverpool durch den anstrengenden nächsten Monat helfen, mit dem Entscheidungsspiel gegen Neapel ums Weiterkommen in der Champions League, dem Aufeinandertreffen mit Manchester United und dem Titelshowdown bei City zu Beginn des neuen Jahres.

"Don't worry, mate - you are not alone"

Everton wartet stattdessen seit 19 Jahren auf einen Erfolg in Anfield. Torwart Jordan Pickford bat anschließend für seinen Fauxpas um Nachsicht bei den Fans. Für Pickford, der zuvor einige Chancen des Gegners zunichte gemacht hatte, ist das Malheur der erste Rückschlag nach seiner Nominierung zum englischen Nationaltorwart im Frühjahr. Das Massenblatt Sun zertifizierte die Slapstick-Einlage mit dem Stempel für "Calamity Keepers", zu Deutsch "Pannentorhüter", auf dem geschrieben stand: "Don't worry, mate - you are not alone."

Die Plumpheit dürfte Pickford nun durch seine Torwartkarriere begleiten, so wie das schon bei seinen Vorgängern David Seaman, David James, Robert Green und Joe Hart im Nationaltrikot der Fall war. "Das ist das Everton-Pech, wenn wir in Anfield spielen. Ich möchte mich bei den Fans entschuldigen. Ich weiß, wie viel ihnen dieses Spiel bedeutet. Es war einfach ein merkwürdiger Vorfall", sagte Pickford.

Der Prestigeerfolg kommt Liverpool gerade recht, weil er dem Trend aus den Ergebnissen in der Champions League entgegen wirkt, dass der Mannschaft momentan die Tore nicht in den Schoss fallen. Bei den drei Auswärtsniederlagen standen insgesamt nur ein Tor (nach Elfmeter) und fünf Schüsse aufs Tor auf der Habenseite. Bevor das für einen Ansatz an Selbstzweifeln sorgen konnte, haben sich die Reds nun mit einem positiven Gefühl eingedeckt, das den Spirit im Team bestärkt und das Selbstverständnis, tatsächlich die erste Meisterschaft des Vereins seit der Saison 1989/90 gewinnen zu können.

Für dieses Vorhaben forderte Klopp indirekt die Ligakonkurrenten auf, sich künftig in den Duellen mit ManCity mehr anzustrengen. "Die Gegner haben vor uns nicht den gleichen Respekt wie vor City. Man guckt und wundert sich, was die Gegner gegen City machen. Eine Woche später spielen sie gegen uns und denken: So, lass es uns versuchen", sagte Klopp. Durch die ökonomische Spielweise seiner Elf kam zuletzt der Verdacht auf, die Mannschaft könnte einen Teil ihres Draufgängertums verloren haben. Doch das Tor durch Origi, bei dem Virgil van Dijk einfach mal los schoss, könnte es wieder zurückgebracht haben.

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