Presse und Rundfunk:Einfach schwer

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7,5 Millionen Deutsche gelten als funktionale Analphabeten und weitere 13,3 Millionen Menschen haben größere Probleme beim Lesen und Schreiben. Für sie gibt es spezielle Nachrichtenangebote wie im MDR. Aber viele sind das nicht.

(Foto: MDR)

Medienangebote in Leichter und Einfacher Sprache sollen Menschen mit Lese- und Lernschwierigkeiten helfen, aber auch solchen, die Deutsch lernen wollen. Funktioniert das?

Von Florian Sturm

Petra F. sitzt mit ihrem Sohn an dessen Schreibtisch und liest ihm vor. Konzentriert verfolgt Lars F., 30 Jahre alt, jedes Wort seiner Mutter: "Umwelt-Schützer finden das nicht richtig. Sie sagen: In dem Wald sind viele seltene Tiere ...", liest sie. Die Sätze stammen nicht aus einem Kinderbuch, sondern vom Deutschlandfunk (DLF); konkret aus dem Projekt Nachrichtenleicht. Petra F. (Name von der Red. geändert) informiert ihren Sohn damit über aktuelle Nachrichten. Dieser Text handelt vom Konflikt rund um den Hambacher Forst. In anderen Artikeln geht es um die Politik der USA, politische Wahlergebnisse oder die letzten Fußballturniere.

Klassische Medienangebote - Tageszeitungen, Fernsehnachrichten oder Radiosendungen - sind nicht das Richtige für Lars F.; Sprache und Grammatik sind zu komplex. Denn seit seiner Geburt vor drei Jahrzehnten lebt Lars F. mit einer geistigen und körperlichen Behinderung. Er selbst hat keine Lautsprache, versteht jedoch das, was um ihn herum geschieht. Auch wenn er in der Regel stark verzögert auf äußere Reize reagiert. Seit zwei Jahren verschlechtert sich zudem seine Sehkraft. "Trotzdem ist er natürlich am Zeitgeschehen interessiert", sagt seine Mutter. Vor allem interessieren ihn die Themen Natur, Umwelt und Tiere. Kurz vor dem zurückliegenden Bundestagswahlkampf stieß Petra F. erstmals auf tazleicht, ein Projekt der Tageszeitung taz.

Kurze Sätze, einfache Begriffe, keine Fremdwörter: Das Angebot soll Teilhabe ermöglichen

Das Ziel von Nachrichten in Leichter und Einfacher Sprache ist simpel: den Zugang zu Informationen ermöglichen. Der sei schließlich die Grundvoraussetzung für politische und gesellschaftliche Teilhabe, sagt DLF-Redakteurin Tanja Köhler: "Nicht alle Menschen haben gleichermaßen Zugang zu Informationen, beispielsweise weil sie kognitive Behinderungen oder Lernschwierigkeiten haben oder nur eine geringe Lese- und Schreibkompetenz besitzen." Für genau diese Personengruppe, aber auch für Menschen mit Demenzerkrankungen sowie für den Einsatz in Deutschkursen wurden Nachrichten in Leichter und Einfacher Sprache konzipiert. Aber auch Menschen wie Jamie Calladine nutzen die Webseite Nachrichtenleicht. Der 22-jährige Engländer verfolgt dort seit einem knappen halben Jahr das Weltgeschehen, er möchte so seine Deutschkenntnisse verbessern.

Tanja Köhler leitet das Nachrichtenleicht-Projekt des DLF und ist von Anfang an dabei. Das Konzept entstand 2010 und wurde im Studiengang Online-Journalismus der Fachhochschule Köln entwickelt. Im Rahmen eines Semesterprojekts hat die Nachrichtenredaktion des DLF gemeinsam mit den Studierenden Ende 2012 einen Jahresrückblick erstellt. Damit die Seite anschließend nicht eingestellt wurde, übernahm der DLF das Projekt und betreut es seit Januar 2013. Seither werden freitags Texte aus den Rubriken Nachrichten, Kultur, Sport und Vermischtes in Einfacher Sprache veröffentlicht. 2017 startete zudem eine Audioproduktion. Einmal wöchentlich (freitags, 20.04 Uhr) gibt es eine kurze Sendung im DLF-Radio, die auch als Podcast zu hören ist.

Produziert werden die Beiträge von ausgebildeten Redakteuren des jeweiligen Medienhauses. Vor der Veröffentlichung prüft sowohl eine darauf spezialisierte Organisation, wie das österreichische Unternehmen Capito, als auch eine Prüfgruppe der Zielgruppe den jeweiligen Text.

Dabei muss man zwischen Texten in Leichter und in Einfacher Sprache unterscheiden. Bei beiden geht es um die Optimierung der Textverständlichkeit; allerdings für verschiedene Zielgruppen. Ursula Bredel ist Linguistin an der Universität Hildesheim und hat mit Christiane Maaß den Duden für Leichte Sprache verfasst. Sie erklärt den Unterschied - in nicht ganz so simplen Worten - so: "Die Leichte Sprache ist eine maximal vereinfachte Sprachversion und basiert auf klaren Regeln. Am gegenüberliegenden Pol steht die voll ausgebaute Standardsprache. Die Einfache Sprache bewegt sich zwischen diesen beiden Polen. Sie folgt keinem festen Regelwerk und kann sich beliebig an die Standardsprache annähern."

Die Regeln für Leichte Sprache legen beispielsweise fest, dass ein Beitrag aus einfachen Sätzen mit jeweils nur einer Aussage besteht; dass Fach- und Fremdwörter, Redewendungen, Abkürzungen und Metaphern vermieden oder erklärt werden; dass es keine Konjunktive, Genitiv- und Passivkonstruktionen gibt, dass nur ein Satz pro Zeile dargestellt wird. Und dass längere Begriffe gekoppelt werden ("Wahl-Kampf", "Bundes-Land").

Obwohl der gleichberechtigte Zugang zu Informationen in Artikel 21 der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben ist, sind die Angebote derzeit spärlich. Nachrichtenleicht ist gegenwärtig das einzige überregional erscheinende Medienangebot in Einfacher Sprache, das einen umfassenden Wochenrückblick bietet. Bis vergangen Oktober präsentierte auch tazleicht regelmäßig überregionale Nachrichten. Nun erscheinen Texte lediglich zu besonderen Ereignissen wie politischen Wahlen. Auf regionaler Ebene gibt es Angebote vom MDR, dem SR und NDR; auch die Stadt Marburg hat eines der raren Onlineangebote in Leichter Sprache.

An einer potenziell kleinen Zielgruppe kann das kaum liegen: Als Forscher der Universität Hamburg die Lese- und Schreibkompetenz der deutschen Bevölkerung untersuchten, kamen sie zu dem 2011 veröffentlichten Ergebnis: 7,5 Millionen Deutsche gelten als funktionale Analphabeten und weitere 13,3 Millionen Menschen haben zudem größere Probleme beim Lesen und Schreiben. All diese Menschen könnten von Nachrichten in Leichter und Einfacher Sprache profitieren.

Aber grenzt das spezielle Textuniversum seine Leser nicht erst recht aus?

Dass es trotzdem kaum Angebote gibt, liege am Geld, vermutet Sascha Geldermann: "Derlei Beiträge sind einfach nicht wirtschaftlich." Der Redakteur der Augsburger Allgemeinen koordinierte dort das Projekt "Nachrichten in Leichter Sprache", das von Februar 2016 bis Oktober 2017 lief. Jede Woche wurden drei Artikel veröffentlicht. Die fehlende Wirtschaftlichkeit sei dem Team von Anfang an bewusst gewesen. "Doch als Journalist finde ich es wichtig, dass jeder Mensch unsere Informationen erhalten und verstehen kann", sagt Geldermann. Momentan sei das Angebot vorerst gestoppt, da es auch viele andere Projekte gäbe, so der Redakteur. Man wolle es jedoch in Zukunft fortführen.

Es gibt aber auch Kritik an dem Konzept. So spricht der Linguist Josef Bayer von der Universität Konstanz vom "Pfuschkonstrukt [...]der 'leichten Sprache'". Ziel müsse stattdessen "immer die Kompetenz der existierenden Sprache sein". Den Versuch, "alle wesentlichen Texte in eine erleichterte Kunstsprache zu überführen", hält Bayer "für nicht machbar und auch nicht wünschenswert".

Teile der Kritik können auch Befürworter des Konzepts nachvollziehen. Durch die Vereinfachung sprachlicher Strukturen verringere sich immer auch der Informationsgehalt, sagt Linguistin Bredel und ergänzt: "Eigentlich sollte Leichte Sprache durch Partizipation zur Inklusion beitragen. Es besteht aber die Gefahr der Ausgrenzung, weil diejenigen, die auf Leichte Sprache angewiesen sind, in einem Textuniversum gefangen sind, das von der Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder zurückgewiesen wird. Im schlimmsten Fall steigert die Leichte Sprache sogar die Exklusion."

Dennoch ist Bredel von der Relevanz von Nachrichten in Leichter und Einfacher Sprache überzeugt: "Verständlichkeitsoptimierte Texte sind eine Hilfe für Leser mit eingeschränkten Sprach- und Lesefähigkeiten, die am gesellschaftlichen und politischen Diskurs teilnehmen wollen." Die Befürchtung, derlei Beiträge könnten die Standardsprache aus dem Alltag verdrängen, hält sie für unbegründet. Diese Texte seien ein Zusatz, kein Ersatz für standardsprachliche Texte.

Lars F. und seine Mutter sind froh, dass es Nachrichtenleicht gibt. Sie wünschen sich, "dass noch deutlich mehr Print-, Radio- und TV-Angebote in Leichter Sprache entstehen", sagt Petra F. Auch Spiele und Bücher, Harry Potter beispielsweise oder die Werke von Cornelia Funke, wären toll. "Dann hätte mein Sohn mehr vom Leben."

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