Es war gewiss kein Auftritt, den die Welt gebraucht hat. Aber in Südamerika hat Gianni Infantino halt ein Heimspiel. Und weil der jüngste G-20-Gipfel in Argentinien stattfand, im Fußballreich Diego Maradonas, der ja mit einem (sicher lukrativen) Fifa-Beraterjob ausstaffiert ist und zudem ein enger Kick- und Feierkumpel des Weltverbands-Bosses, durfte also Infantino tatsächlich bei den Gipfel-Politikern in die Bütt. Dort lud er die üblichen PR-Banalitäten über die gesellschaftlichen Heilkräften des Kickergewerbes ab: Frauen, Integration, dingens, Gesundheit, äh, Jugend und Bildung - was man so runterbetet als affärenumtoster Fußballboss.
Fußball in der Europa League:Insel-Clásicos und Studentenpartys
Es kann nie genug Fußball geben, daher ein Hoch auf die Quali zur Europa League! Wie weit kommt Torpedo Kutaissi? Und packt die Studentenmannschaft der Cardiff Metropolitan University den FC Progrès Niederkorn?
Nichts erzählt hat er über reale Themen: Etwa darüber, wie er die Fifa mithilfe einer obskuren Investorengruppe ausschlachten will. Das hätte ja entlarvt, was der Werte-Kram in der Fifa wirklich zählt: nichts. Der Boss fädelt klammheimlich mit arabischen und anderen Geschäftskameraden den totalen Rechte-Ausverkauf ein ( SZ vom 17.11.); parallel erzählt er seinen Vorständen monatelang von neuen Turnierformaten, die aber nur als Tarnung über diesen Ausverkauf gespannt worden sind: eine reformierte Klub-WM und eine neue Nations League.
Seit das Projekt aufgeflogen ist, wurde es still darum. Und weil es nie ein gutes Zeichen ist, wenn der Autokrat zu heiklen Wirtschaftsthemen schweigt, halten stattdessen kritische Geister das Thema wach. Das ein oder andere Kontrollorgan in der Fifa will die Pläne des Patrons nun genauer studieren; und vor allem jene alarmierende Expertise, die dazu von den Topjuristen des Hauses verfasst wurde. Letztere können ihre Sorgen ja nicht mehr selbst darlegen, sie mussten leider gehen. Höchste Zeit also, dass Compliance- und Governance-Experten der Fifa ihre Fragen an den Herrscher richten. Zumal die fachkundigen Aufseher mit satten sechsstelligen Salären entlohnt werden: Wofür genau? Für ihre Expertenarbeit - oder fürs Wegschauen? Auch das ist nun zu klären.
Die Diaspora glaubt an sich, die Frage ist aber, was die Zuschauer tun
Zudem rumort es in einem anderen Gremium. Das World Leagues Forum (WLF), das - unter Führung des deutschen Liga-Chefs Christian Seifert - die wichtigsten Ligen der Welt versammelt, lehnte soeben Infantinos Reformpläne zu Klub-WM und Nations League erneut strikt ab. Den Sonnenkönig früh und rigoros auszubremsen, zeugt von Weitblick. Zumal nächste Woche Infantinos Taskforce zum Thema tagt; irgendeinen Dreh wird er sich da schon einfallen lassen.
Andererseits ist es nicht so, dass der Fußballbetrieb seine Marktgrenzen für ausgereizt hält. Sonst müsste sich das WLF, das aus Zusammenschlüssen hunderter Klubs besteht, auch gleich gegen diesen neuen, dritten Vereinswettbewerb in Europa wehren, der jetzt gegründet worden ist: Arbeitstitel Europa League 2. Diese wird unterhalb von Champions League und Europa League ausgetragen, mit 32 Teilnehmern. Das genau wollen sie also, die Klubs: Noch mehr Spiele. Für noch mehr Geld, so hoffen sie.
Aber wer will CFR Cluj gegen FC Milsami sehen, außerhalb Rumäniens und Moldawiens? Die Diaspora glaubt an sich, die Frage ist aber, was die Zuschauer tun. Jüngste Erhebungen zeigen, dass in Europas fünf Topligen die Fans bereits im Schnitt pro Jahr 701 Euro für den Fußball ausgeben. Wo ist die Schmerzgrenze?
Dass die Branche sogar vor- und nachmittags spielen würde, liegt in der Natur der Goldmine Profifußball. Warum auch nicht? Das Ende des Booms wird die Zahlkundschaft bestimmen. So lange rasen die Fußball-Züge dahin, und Medien und Sponsoren rasen mit. Gebremst wird erst, wenn die Passagiere abspringen. Dann kommt ja nur noch die Wand.