Mafia in Deutschland:Razzia beim Italiener um die Ecke

  • Bei einer großangelegten Razzia gegen die italienische Mafiaorganisation 'Ndrangheta sind in Deutschland, Italien, den Niederlanden und Belgien insgesamt 84 Verdächtige festgenommen worden.
  • In Deutschland nahm die Polizei 15 Verdächtige fest, darunter einen Restaurantbesitzer aus Pulheim, der hierzulande ein führendes Mitglied der Organisation sein soll.
  • Außerdem beschlagnahmten die Ermittler Vermögenswerte in Höhe von fünf Millionen Euro.

Von Jana Stegemann und Christian Wernicke, Düsseldorf

In der "Osteria Da Mario" in der nordrhein-westfälischen Stadt Pulheim im Viertel Geyen bei Köln gibt es "hausgemachte Nudeln, Pizza aus dem 480 Grad Ofen, saftige Hamburger und Weine vom Gardasee". Noch vor zwei Wochen wirbt Inhaber Mario Salvatore A. auf Facebook stolz mit einer 700 Gramm schweren Family-Pizza aus dem Steinofen. "Meine Familie und ich lieben die italienische Küche". Der glatzköpfige Italiener mit der markanten Nase und dem schwarzen Hemd blickt frontal in die Kamera, präsentiert lässig die Pizza in der linken Hand. Im Netz loben Gäste auf Bewertungsportalen seine "italienischen Köstlichkeiten", die "traumhafte Pasta", den "super freundlichen Service".

Doch am frühen Mittwochmorgen bekommt Mario Salvatore A. sehr früh Besuch von sehr vielen Polizisten - essen wollen die aber nichts, stattdessen verhaften sie den 45-Jährigen aus dem Bett heraus. Mario Salvatore A. soll einer der führenden deutschen Köpfe von Europas mächtigster Mafiaorganisation 'Ndrangheta sein, vorgeworfen wird ihm Drogenhandel im großen Stil und Geldwäsche. Die Bild-Zeitung tauft ihn kurz danach den "Paten von Pulheim".

Ermittler haben seit vier Uhr morgens unter dem Codenamen "Pollino" großangelegte Razzien in mehreren europäischen Ländern durchgeführt, die sich gegen die kalabrische Mafiaorganisation 'Ndrangheta richten. In Deutschland gab es Einsätze im Großraum München und in Nordrhein-Westfalen, schwerpunktmäßig im Rheinland und dem Ruhrgebiet. Es ist der zweite Schlag gegen das organisierte Verbrechen innerhalb von 24 Stunden. Bereits am Dienstagmorgen waren in Sizilien 46 mutmaßliche Mitglieder der sizilianischen Cosa Nostra verhaftet worden.

Jetzt also war die 'Ndrangheta dran. Bis zum Mittag wurden insgesamt 84 Tatverdächtige festgenommen, darunter mutmaßlich hochrangige Mitglieder. Außerdem wurden bis zu 4000 Kilogramm Kokain sowie 140 Kilogramm Ecstasy-Pillen beschlagnahmt. Das verkündeten die obersten Ermittler der beteiligten Länder auf einer internationalen Pressekonferenz der europäischen Justizbehörde Eurojust in Den Haag.

Am Nachmittag offenbarte BKA-Vizepräsident Peter Henzler in Wiesbaden, die jetzige Operation "Pollino" habe sich vor allem gegen eine 'Ndrangheta -Familie gerichtet, von der im Rahmen einer Fehde zwischen zwei verfeindeten Familien sechs Angehörige im August 2007 vor einem Restaurant nahe des Duisburger Hauptbahnhofs erschossen worden waren. Henzler schätzte, insgesamt zählten etwa 600 in Deutschland lebende Italiener zu engsten Kreisen verschiedener Mafia-Netze: "Das ist eine Frage des Blutes, das sind Italiener. Niemand sonst ist Mitglied der Familien."

Restaurants und Eisdielen als "logistische Basen"

Die 'Ndrangheta arbeite "hochprofessionell" etwa mit speziell geschützten Handys und Restaurants und Eisdielen als "logistischer Basen" ihrer illegalen Geschäfte. Handlanger der 'Ndrangheta würden Drogen aus Südamerika - vor allem Kokain - über die Häfen Rotterdam und Antwerpen nach Europa bringen und über Deutschland nach Italien transportieren. Um die Geschäfte zu verschleiern, würden lokale Chefs von 'Ndrangheta -Scheinfirmen regelmäßig ausgetauscht: "Es hat aber am Ende nichts genützt", fügte Henzler hinzu.

440 BKA-Beamte, Bundespolizisten, Hundertschaften und Kriminalpolizisten sowie die Spezialeinheit GSG9 und die Beweissicherungs-und Festnahmeeinheit BFE durchsuchten in Deutschland 65 verdächtige Objekte wie Eisdielen, Gaststätten, Hotels und Restaurants - darunter auch die Osteria von Mario Salvatore A. Insgesamt beschlagnahmten sie Vermögenswerte in Höhe von fünf Millionen Euro und nahmen in Deutschland 15 Verdächtige fest, sagte Horst Bien, der Leitende Oberstaatsanwalt aus Duisburg.

Auf die Spur der mutmaßlichen Mafia-Mitglieder sind die deutschen Ermittler nach eigenen Angaben auch durch den Fund von massenweise Kokain in einem präparierten Pferdetransporter gekommen. Der Transporter sei vor zwei Jahren im britischen Fährhafen Harwich sichergestellt worden. Den mutmaßlichen Mafiosi werden bisher mindestens 23 solcher Transporte von jeweils 80 Kilogramm Kokain aus den Niederlanden nach England zur Last gelegt, wie die Kölner Polizei mitteilte.

Ein präparierter Pferdetransporter brachte die Ermittler auf die Spur

Die Operation "Pollino" wurde seit 2016 von Deutschland, Italien, den Niederlanden und Belgien mit enormem Personalaufwand vorbereitet. Eurojust-Vizepräsident Filippo Spiezia lobte auf der Pressekonferenz minutenlang die internationale Zusammenarbeit der Ermittler. Machbar sei dieser "außerordentliche Erfolg" nur durch das gemeinsame grenzüberschreitende Ermittlerteam geworden, "er wäre nicht möglich gewesen ohne diesen europäischen Ansatz".

Der italienische Anti-Mafia-Staatsanwalt Federico Cafiero De Raho forderte die Europäer auf, den Kampf gegen die 'Ndrangheta unvermindert fortzusetzen. Sie sei "eine globale Organisation", die etwa von der mexikanischen Drogenmafia als "ebenbürtig" angesehen werde: "Wenn wir glauben, wir hätten die 'Ndrangheta ausgehoben, dann täuschen wir uns." Die Operation vom Mittwoch sei nur ein erster Schritt: "Da sind Tausende, die verhaftet werden sollten" und noch etliche Milliarden von Euro, die die Behörden konfiszieren müssten.

Für das Bundeskriminalamt legte Kriminaldirektor Hoppe in Den Haag offen, dass es während der zweijährigen Ermittlungen mehrfach "Durchstechereien" und Leaks gegenüber der Mafia gegeben habe. Zudem bemängelte Hoppe, die deutschen Fahnder seien durch zu strikte gesetzliche Regeln behindert worden, etwa zur Vorratsdatenspeicherung oder auch beim Aufspüren von Verdächtigen wegen fehlender Geräte zur Erfassung von Kfz-Kennzeichen.

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