Kleine Presseschau:"Vorsicht, Sie verlassen den funktionierenden Teil Deutschlands"

Boris Palmer

Nichts macht man in Berlin lieber als sich aufzuregen. Aber wehe, jemand von außerhalb regt sich über Berlin auf - so wie nun Boris Palmer.

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Mit seinen Aussagen über die angeblichen Unzulänglichkeiten Berlins erregt Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer die Hauptstadtpresse.

Von Verena Mayer

Nichts macht man in Berlin lieber als sich aufzuregen. So kommt man ins Gespräch. Über die S-Bahn, die nicht fährt, den Flughafen, der nie fertig wird, die kaputten Schulen und Schwimmbäder. Aber wehe, jemand von außerhalb regt sich über Berlin auf. Jemand wie Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer. Der sagte in einem Interview, er komme "mit dieser Mischung aus Kriminalität, Drogenhandel und bitterer Armut auf der Straße" nicht klar. "Wenn ich dort ankomme, denke ich immer: Vorsicht, Sie verlassen den funktionierenden Teil Deutschlands."

Palmer setzte damit nicht nur neue Standards beim Berlin-Bashing, er erfüllt auch alle Feindbilder, die man in Berlin haben kann: Er ist "aus Westdeutschland", aus der Provinz und, ganz schlimm: Schwabe. Seit Tagen regen sich daher alle auf. Palmers Berliner Parteikollegin Ramona Pop machte den Anfang ("Wenn Du Metropole, Vielfalt, Tempo und Lebenslust nicht erträgst, kannst Du woanders die Kehrwoche zelebrieren"), Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) wies auf die besonderen "Probleme, Anforderungen und Dynamiken" hin ("Wie oft soll ich's sagen? Wir sind in einer fast Vier-Millionen-Stadt"). Am Mittwoch legte dann die Berliner Presse mit Gegenreden nach.

So schrieb die Berliner Zeitung an den "lieben Boris Palmer": "Was diese Stadt 40 Jahre ausgehalten und nach der Wende geleistet hat, ist außerordentlich, bis heute." Der Tagesspiegel formulierte "eine Antwort aus der Hauptstadt", in der unter anderem gefragt wird: "Spricht daraus am Ende die enttäuschte Liebe eines Freigeistes, der dem kleingeistigen Muff seiner Heimat gerne schon mit 18 nach Berlin entflohen wäre (...)?" Die Berliner Morgenpost machte den Fakten-Check ("Boris Palmer behauptet, dass in der Hauptstadt nichts funktioniert: Stimmt das?"), die taz glossierte in ihrer Rubrik "verboten" unter der Anrede "Grüß Gottle, Boris Palmer!": "...dann geh doch nach Paris!". Die originellste Titelseite lieferte diesmal der Tagesspiegel. Dort bastelte man ein Schild in vier Sprachen, so wie früher in Berlin an den Sektorengrenzen: "Sie verlassen den funktionierenden Teil Deutschlands."

Und die Berliner? Bekommen davon gar nicht viel mit, weil sie auf die S-Bahn warten, die nicht fährt, um ihre Kinder aus einer maroden Schule abzuholen, in der die Stromkabel aus der Decke hängen. Worüber sie sich aufregen und es dann mit einem Satz aus der Morgenpost halten: "Großstadtluft macht nicht nur frei, sondern auch gelassen."

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