Facebook:Dunkle Muster

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Interne Mails geben Aufschluss darüber, wie rücksichtslos Facebook in seinen Anfangsjahren das Wachstum vorantrieb - mit Wissen und Mitwirkung von Mark Zuckerberg.

Von Jannis Brühl und Hakan Tanriverdi, München

Im Februar 2015 plagten Mike LeBeau Bedenken. Besorgt schickte der Facebook-Produktmanager in einer Mail an Kollegen sogar seine Schreckensvision einer kritischen Schlagzeile über den Konzern: "Facebook verwendet neues Android-Update, um auf noch erschreckendere Weise in deinem Privatleben herumzuschnüffeln." Mit solchen Nachrichten werde man sich herumschlagen müssen, wenn Journalisten auf den Plan aufmerksam würden.

Damals arbeiteten die Entwickler gerade an einem Update für Facebook, das dem Netzwerk auf Android-Handys weitreichende Befugnisse einräumen würde: Die App sollte auf SMS und die Anrufliste zugreifen und diese auf die Server von Facebook laden. Wenn Facebook sehen darf, wer wen anruft, kann das Unternehmen zum Beispiel erkennen, ob der Gesprächspartner auch auf Facebook ist - und ihn als Kontakt vorschlagen. So vernetzt das Unternehmen Menschen anhand ihrer Beziehungen außerhalb von Facebook, was die vielleicht nicht wollen. Ein Patient etwa will ja nicht seinen Psychotherapeuten als Freund vorgeschlagen bekommen.

Mit diesem Manöver wollte LeBeau nichts zu tun haben. Doch er bekam nur die Antwort: Facebooks Team für Nutzerwachstum werde das Update durchziehen - und zwar ohne die Nutzer klar und deutlich zu informieren, wie weitreichend der Eingriff werde. Diese ernüchternde Auskunft kam ausgerechnet vom "Privatsphäre-Beauftragten" des Konzerns, Yul Kwon, dem der Schutz von Nutzern am Herzen liegen sollte. Der Mailwechsel ist Teil einer Sammlung interner E-Mails auf 223 Seiten, die einen seltenen Einblick in die strategischen Überlegungen eines der größten Konzerne des Silicon Valley geben. Auch Mails aus der Chefetage sind darunter, von Konzernchef Mark Zuckerberg und Geschäftsführerin Sheryl Sandberg. Veröffentlicht hat die Nachrichten der britische Parlamentsabgeordnete Damian Collins. Sie stammen aus einem Gerichtsprozess zwischen einem App-Entwickler und Facebook. Das Parlament hatte sich die Prozessakten im Rahmen der Aufklärung des Cambridge-Analytica-Skandals besorgt. In einer Stellungnahme erklärte Facebook: Die Mails seien aus dem Kontext gerissen. Sie stammten aus den Jahren 2012 bis 2015 und seien veraltet. Facebook habe sich verändert, achte nun stärker auf Datenschutz.

Wer der Expansion im Weg stand, wurde blockiert oder gekauft

Die Mails geben Aufschluss darüber, wie rücksichtslos Facebook in seinen Anfangsjahren das Wachstum vorantrieb. Sie zeigen, was sich hinter dem philanthropisch anmutenden Motto "Die Welt vernetzen" verbarg: volle Klarheit über die Risiken des eigenen Geschäftsmodells für Nutzer. Facebook sammelte und vernetzte immer mehr Daten über sie, um mehr Geld von Anzeigenkunden zu bekommen. Dabei setzte das Unternehmen unter anderem auf sogenannte dunkle Muster. Dabei handelt es sich um manipulatives Design, mit dem Nutzer ausgetrickst werden sollen. So zeigen die E-Mails, wie Facebook aus Angst vor Imageschäden das Android-Update absichtlich so konstruierte, dass die Nutzer nicht klar vor den weitreichenden Zugriffsrechten gewarnt wurden.

Das Plattform-Modell der digitalen Ökonomie legen die Mails schonungslos offen: Facebook nutzte seine Macht gegenüber den Entwicklern kleiner Apps, die an das Netzwerk andockten. "Wir verkaufen keine Daten", verkünden Vertreter des Unternehmens immer wieder wie ein Mantra. Eine E-Mail von 2012 zeigt allerdings, dass Zuckerberg überlegte, ob er von App-Entwicklern nicht zehn Cent pro Nutzer und Jahr verlangen sollte. Dann könnten die zum Beispiel auf die Listen der Freunde ihrer Nutzer zugreifen, eine Option, die Datenschützer kritisch sehen. Und er sah es demnach als essenziell für sein Geschäftsmodell an, möglichst viele Quellen für Daten anzuzapfen: Dass App-Entwickler über Facebook Zugriff auf Nutzer des Konzerns bekommen, das "könnte gut für die Welt sein, aber nicht für uns, außer die Menschen teilen Inhalte mit Facebook und diese erhöhen den Wert unseres Netzwerkes", schrieb er. Es war also von höchster Stelle gewollt, dass Daten frei zwischen dem Netzwerk und den verbundenen Apps zirkulieren; und ebenso, dass die externen App-Bauer Daten ihrer Nutzer nicht nach ihrem Ermessen vor Facebook schützen können. Dass durch diese Wechselwirkung das Risiko von Missbrauch stieg, wurde von hochrangigen Mitarbeitern zwar angemerkt, Zuckerberg tat es aber ab: "Ich glaube nicht, dass das strategische Risiko eines Datenlecks so groß ist, wie du denkst", antwortete der Facebook-Chef lapidar. Wenige Jahre später geschah genau das: Im Fall Cambridge Analytica kopierten dubiose Drittfirmen und Entwickler unkontrolliert Massen an Nutzerdaten.

Die Mails zeigen auch, wie Facebook gegen Konkurrenten vorging: Wer der Expansion im Weg stand, wurde blockiert oder gekauft. 2013 brachte Twitter seine App Vine auf den Markt, mit der Nutzer kurze Videos filmen und veröffentlichen konnten. Facebook schnitt die App den Dokumenten zufolge kurzerhand von einem Teil des lukrativen Datenstroms auf seiner Plattform ab. Zuckerberg segnete es persönlich per Mail ab - ein schwerer Schlag für eine "soziale" App wie Vine. Die Dating-App Tinder oder die Unterkunfts-Plattform Airbnb, die Facebook nicht als Konkurrenten sah, bekamen demnach dagegen privilegierten Zugang zu Daten.

Aus den Dokumenten lässt sich auch erahnen, wie Facebook die Übernahme der Chat-App Whatsapp 2014 vorbereitete - und wie Facebook an Daten über Whatsapp-Nutzer kam. Das Unternehmen hatte eine VPN-App namens Onavo gekauft. Mit der sollen sich Nutzer eigentlich gegen Überwachung schützen. Facebook nutzte die App aber als eine Art Spionagewerkzeug. Die Daten darüber, was Nutzer auf ihren Handys taten, liefen über die Server von Facebook und wurden vom Unternehmen ausgewertet. Die Dokumente zeigen nun, wie Facebook die Infos über Whatsapp auswertete - um sich dann für eine Übernahme zu entscheiden.

© SZ vom 07.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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