EU-Pläne zu Lkw:Gute Nacht, Brummi

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So richtig nett ist es nur im eigenen Bett, oder? An der Raststation Fürholzen auf der A 9 vor München bereiten sich die Fahrer auf die Nacht vor. (Foto: Stephan Rumpf)

Lkw-Fahrer sollen ihre Kabinen künftig regelmäßig gegen Hotelbetten tauschen. Die Rede ist von einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Nur: Wollen die Fahrer das? Besuch auf einem Rastplatz an der Autobahn 9.

Von Max Sprick

Als Klaus Stumpf aufwacht, färben die letzten Sonnenstrahlen des Tages die Alpen am Horizont rot. Stumpf schlägt die Vorhänge an seinen Panoramafenstern zur Seite, er blickt auf den Sonnenuntergang. Und jede Menge Lastwagen, penibel aufgereiht am Rastplatz Fürholzen West, Autobahn 9.

Klaus Stumpf, 59, fährt seit 38 Jahren Lkws quer durch Europa. Früher in Fahrerkabinen, in denen er nicht aufrecht stehen konnte und auf Schaumstoffmaträtzchen schlief, kaum breiter als eine Yogamatte. Jetzt sitzt er in der Kabine seines lilafarbenen 40-Tonners auf einer Sieben-Zonen-Kaltschaummatratze mit Lattenrost und eingebautem Kühlschrank darunter; an der einen Wand hängt ein Fernseher mit Sat-Anlage, auf dem riesigen Armaturenbrett stehen Gewürzgläser und eine Kaffeemaschine. Klaus Stumpf dreht sich zum Start in seinen Arbeitstag ein paar Zigaretten, bevor er losfährt, um in Ulm Frischware aufzuladen, die er nach Hanau bringt, dann weiter in die Eifel, noch mal aufladen, Tiefkühlpizzen diesmal, dann nach Hause an die Bergstraße.

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Beim Zigarettendrehen erzählt Stumpf von dem Thema, das ihn und seine Kollegen gerade umtreibt: der Beschluss der EU-Verkehrsminister von Anfang der Woche, der bessere Arbeitsbedingungen für Lkw-Fahrer schaffen soll. Einer der Kernpunkte ist ein "absolutes Kabinenschlafverbot", wie Österreichs Verkehrsminister Norbert Hofer es nannte. Eine Sprecherin relativierte das später, es gehe um Übernachtungen während der wöchentlichen Ruhezeit; nach sechs Tagen auf Achse müssen Lkw-Fahrer mindestens 45 Stunden am Stück pausieren, in dieser Zeit sollen sie nicht mehr im Fahrzeug übernachten. Sondern im Hotel. Hofer glaubt, damit würden Missstände auf überfüllten Autobahnparkplätzen beseitigt.

"Das mit den Hotels finde ich gut", sagt Stumpf und zieht den Rauch seiner Zigarette tief ein. Er bläst ihn wieder aus und lacht laut: "Wenn ich das Geld hätte, würde ich jetzt in Hotels investieren. Ist doch eine super Geschäftsidee!" Es gibt allein in Deutschland mehr als 1,5 Millionen gemeldete Lkw-Fahrer, plus die unzählbaren aus dem Ausland. Der Straßengüterverkehr wird in den kommenden Jahren deutlich steigen, das Bundesverkehrsministerium rechnet bis 2030 mit einem Anstieg von 40,5 Prozent - allein in Bayern.

"Wo bitte sollen denn all die Fahrer schlafen, wenn nicht in ihren Kabinen?", fragt Stumpf. Und: "Selbst wenn es so viele Hotels gäbe, wer soll das denn bezahlen?" Dass sein Chef das übernimmt, hält er für einen schlechten Witz, und von seinen 24 Euro Spesen pro Tag lässt sich nirgends nächtigen. Gegen die Überfüllung der Parkplätze hat Klaus Stumpf seine eigene Maßnahme ergriffen: Seit einigen Jahren fährt er ausschließlich nachts. "Wenn ich morgens zum Schlafen abfahre, sind die Parkplätze leer gefegt."

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(Foto: Stephan Rumpf)

Klaus Stumpf fährt seit 38 Jahren LKWs quer durch Europa. Die Kabine seines 40-Tonners ist ausgestattet mit Sieben-Zonen-Kaltschaummatratze, Kühlschrank und Fernseher. Wer sollte eine Hotelübernachtung bezahlen, fragt sich der 59-Jährige.

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"In der Kabine zu schlafen gehört zu diesem Job dazu", sagt Wladimir Alekseev, der die Nacht im Truck nebenan verbracht hat.

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Früher war LKW-Fahrer ein Sehnsuchtsjob. Die Freiheit on the road, der Traum von Abenteuern auf den Straßen. Heute ist es ein Knochenjob, die Freiheit kontrollieren GPS-Sender und Fahrtenschreiber.

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Lars Engelmann betrachtet vor allem das Sozialdumping als Problem. "Wir brauchen gar keine Hotels", sagt er. Fürs erste würde es schon helfen, wenn es an den Autobahnen eine bessere Beschilderung gäbe, mit Informationen über freie Parkplätze an den Raststätten oder Wegen ins Gewerbegebiet.

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Allein in Deutschland gibt es mehr als 1,5 Millionen gemeldete LKW-Fahrer, plus die Unzählbaren aus dem Ausland. Und die Tendenz steigt: Das Bundesverkehrsministerium rechnet bis 2030 mit einem Anstieg des Straßengüterverkehrs von 40,5 Prozent - allein in Bayern.

Von Fürholzen West kann man das nicht behaupten, rund um die Fahrertüren liegen Zigarettenstummel, Mandarinenschalen und Sonnenblumenkerne. Im Lkw neben Stumpf liegen eine Packung Einwegrasierer am Frontfenster und ein Nummernschild, darauf in kyrillischen Buchstaben der Name des Fahrers: Vladimir Alekseev. Dieser lächelt freundlich, entblößt dabei einen fehlenden Backenzahn und öffnet seine Tür.

Auf einer Gasplatte kocht Alekseev gerade Kaffee, über dem Beifahrersitz hängt ein Handtuch zum Trocknen, in den oberen Ecken seiner Kabine hat Alekseev Computer-Boxen verbaut, um während seiner Pausen am Laptop Filme mit Surround-Sound sehen zu können. Gerne zeigt der 38-Jährige seinen Schlafplatz, er mag ihn. "In der Kabine zu schlafen, gehört zu diesem Job dazu", sagt Alekseev. Die neue Regel hält er für "Quatsch", denn abgesehen von den Kosten ist die Frage ja auch: Wer soll das Verbot kontrollieren, und wie? Und, nicht zu vergessen, die Folge der Verlagerung in die Hotels: "Dann stehen die Lkws zwar nicht mehr auf den Autobahnparkplätzen, aber parken dafür eben die Hotels und deren Anfahrtswege zu." Alekseev verfolgt wie Stumpf eine eigene Taktik. Wo es auf seiner Route zwischen Schweden und der Schweiz geht, parkt er zum Schlafen in Gewerbe- oder Industriegebieten.

"Wir brauchen gar keine Hotels", sagt Lars Engelmann

Lkw-Fahrer war früher einmal ein Sehnsuchtsjob, die Freiheit on the road, der Traum von Abenteuern auf den Straßen irgendwo, in fernen Ländern. Die ARD-Serie "Auf Achse" mit Manfred Krug bediente diesen Mythos in sechs Staffeln, karierte Flanellhemden und Trucker-Caps bahnten sich ihren Weg aus Führerhäuschen in die Hipstermode. Aber heute? Heute ist Lkw-Fahrer ein Knochenjob. Die Freiheit kontrollieren GPS-Sender und Fahrtenschreiber.

Klaus Stumpf und Vladimir Alekseev machen diesen Job gerne, sagen sie. Stumpf war vorher Maschinenschlosser und Schornsteinfeger, Alekseev Gabelstaplerfahrer im Lager eines Spielzeugherstellers. Doch wenn die beiden erzählen, merkt man ihnen an, dass ihnen die Sehnsucht ein wenig abhandengekommen ist. Nicht, weil ihre Schlafzimmer hinter einem Lenkrad und auf ein paar dicken Reifen liegen. Unter der Woche auf Achse zu sein und zu liegen, damit haben sie sich längst arrangiert.

"Wir brauchen gar keine Hotels", sagt in einem anderen Lkw Lars Engelmann, während er unter einem Einbauschrank auf seiner Matratze sitzt. Am Armaturenbrett hängt ein Foto seiner Familie, Ehefrau, zwei kleine Kinder. Was ihn und seine Kollegen Stumpf und Alekseev viel mehr beschäftigt als das Problem, das Hofer und dessen EU-Kollegen lösen wollen, ist Sozialdumping, unlauterer Wettbewerb, durch Fahrer, vor allem aus Osteuropa, die zum Teil wochenlange Touren ohne eine Rückkehr nach Hause absolvieren. Zu Hunderten warten sie an Raststätten auf spontane Aufträge, für 1000 Euro monatlich. Der EU-Beschluss soll dafür sorgen, dass Kraftfahrer künftig höchstens vier Wochen am Stück in Europa unterwegs sind.

Das sei ja gut, dass Sozialmaßnahmen ergriffen werden, sagt Engelmann, der 36-Jährige mit dem grau melierten Vollbart. Aber fürs Erste würde es schon helfen, wenn es an den Autobahnen eine bessere Beschilderung gäbe, mit Informationen über freie Parkplätze an den Raststätten oder Wegen ins Gewerbegebiet. Über die Schlafmöglichkeiten der Fahrer könnte man dann immer noch nachdenken.

Außerdem, sagt Lars Engelmann, "schlafe ich hier im Wagen eigentlich besser als in meinem Bett zu Hause". Im Lkw ist es nachts so schön ruhig.

© SZ vom 08.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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