Rede auf dem Parteitag:Botschaften mit Seitenhieb

Lesezeit: 5 min

Die CDU sei heute eine andere als im Jahr 2000 – „und das ist gut so“: Angela Merkel auf dem Parteitag in Hamburg. (Foto: Regina Schmeken)

Zum Abschied verteidigt Angela Merkel durchaus selbstironisch ihren Stil - und manche Entscheidung, die ihr parteiintern Kritik eingebracht hat. Dabei skizziert sie auch ihr politisches Vermächtnis.

Von Robert Roßmann, Hamburg

Am Ende ist sie dann doch ergriffen, aber es ist ja auch ein besonderer Moment. Eine halbe Stunde lang hat Angela Merkel gesprochen, so nüchtern, wie es nun mal ihre Art ist. Es ist ihre Abschiedsrede als Parteichefin, nach mehr als 18 Jahren an der CDU-Spitze. In der Zeit habe der HSV 24 Trainer und die SPD zehn Vorsitzende verschlissen, wird Volker Bouffier später sagen. Eine Ära geht zu Ende. Andere hätten versucht, den Saal mit Pathos zu begeistern, aber Merkel hat sich für eine Analyse mit ein paar feinen Botschaften entschieden. Physikerin eben. Jetzt wird sie aber doch noch wehmütig. Sie habe sich immer vorgenommen, ihre Ämter mit Würde zu tragen - und sie eines Tages auch mit Würde zu verlassen, sagt Merkel. Und jetzt sei es an der Zeit, "ein neues Kapitel" aufzuschlagen. In diesem Moment sei sie von einem einzigen, alles überragenden Gefühl erfüllt: der Dankbarkeit. "Es war mir eine große Freude, es war mir eine Ehre."

Schäuble wird am Ende nur in homöopathischen Dosen klatschen

Dann ist die Rede vorbei, die Delegierten stehen auf, zehn Minuten Applaus. Mitglieder der Frauen-Union wedeln mit "Danke Chefin"-Plakaten. Es ist ein sehr respektvoller, aber kein euphorischer Abschied, den die Partei ihrer Dauer-Vorsitzenden erweist. Aber er passt zu Merkel. Das Angebot, zur Ehrenvorsitzenden gewählt zu werden, hat sie abgelehnt. Und auch sonst wollte Merkel nicht, dass großes Bohei um sie gemacht wird. Und so gibt es nur eine kurze Ehrung durch Hessens Ministerpräsident Bouffier, einen kaum längeren Film über Merkel - und als Abschiedsgeschenk den Taktstock, mit dem Kent Nagano während des G-20-Gipfels in Hamburg für die Staatsgäste Beethovens Neunte dirigiert hatte. Für "die wichtigste Dirigentin der Weltpolitik", wie Bouffier sagt.

In ihrer Rede skizziert Merkel zuvor ein vorgezogenes politisches Vermächtnis. Und sie erinnert an den Zustand, in dem sie die CDU im Jahr 2000 übernommen hat. Damals hätten sich die politischen Gegner schon die Hände gerieben, dass sich die CDU nie mehr von der Spendenaffäre erholen würde, sagt Merkel. Auch die Lage heute, mit der AfD und der starken Polarisierung in der Gesellschaft, sei eine Herausforderung. Aber die wahre Schicksalsstunde, die habe die CDU vor 18 Jahren erlebt. Doch damals habe sich die Partei auf ihre eigenen Stärken besonnen, sie habe zusammengestanden - und es allen gezeigt.

Diese Passage ist auch ein Seitenhieb gegen Wolfgang Schäuble, der damals wegen seines Fehlverhaltens in der Spendenaffäre als CDU-Chef zurückgetreten ist. Und der sich vor wenigen Tagen in einem Interview nicht nur für Friedrich Merz ausgesprochen hat, sondern indirekt auch mit Merkel gebrochen hat. Merz - und damit nicht die Kanzlerin - sei "das Beste für das Land", hatte Schäuble gesagt. Das war sogar Horst Seehofer zu viel. Die Kanzlerin sei "die Beste", sagt der CSU-Chef am Freitag dem Spiegel - bestimmt nicht ohne Hintersinn. Vermutlich liegt es auch an dieser Passage der Merkel-Rede, dass Schäuble am Ende nur in homöopathischen Dosen klatschen wird.

Merkel erinnert aber auch - nicht ohne Selbstironie - an die Debatte über das Motto des Parteitags 2000. Sie habe damals das Motto "Zur Sache" gewählt, und viele hätten das schon damals als Beleg für ihre "knochentrockene" Art gesehen. Genauso wie das Motto des diesjährigen Parteitags: Zusammenführen - und zusammen führen. "Wieder typisch Merkel: Wo steht hier Deutschland, was von Zukunft, von Werten, von Sicherheit? Nirgends", sagt Merkel. Doch der Zusammenhalt sei ihr großer Wunsch auch für die Zukunft. Wohin andauernder Streit führe, das hätten CDU und CSU zuletzt doch "bitter erfahren".

Sie wisse, dass sie ihrer Partei mit ihrem ausgleichenden, nüchternen Stil in den vergangenen 18 Jahren vieles zugemutet habe, gesteht Merkel ein. Sie erinnert an die 72 Landtags-, Bundestags- und Europawahlkämpfe, die die CDU unter ihrer Führung bestritten hat. Und sie lässt die vielen Wegmarken dieser Zeit Revue passieren: die Abschaffung der Wehrpflicht, die Energiewende, die Einführung des Mindestlohns oder der Umgang mit der Staatsschuldenkrise. Viele hätten gerne gesehen, wenn sie härtere Attacken auf den politischen Gegner gefahren hätte, sagt Merkel, "ich weiß, dass ich eure Nerven sehr auf die Probe gestellt habe".

Die Flüchtlingspolitik erwähnt Merkel nur als ein Thema unter vielen. Wie scharf die innerparteiliche Kritik an ihr seit 2015 ist, deutet sie nur an: "Wir haben uns auch gegenseitig etwas zugemutet. Ich euch. Aber ich erlaube mir zu sagen, dass es - ganz, ganz selten natürlich - auch mal umgekehrt war." Die CDU sei "heute eine andere als im Jahr 2000 - und das ist gut so", sagt Merkel.

Es ist eine der beiden Kernbotschaften ihrer Rede. Um zu ermessen, was die Kanzlerin damit meint, reicht ein Blick zurück auf den 10. April 2000 - den Tag, an dem sie Parteichefin wurde. Die letzte Rede vor Merkels Wahl hält damals Hans Filbinger. Der Mann musste als Ministerpräsident von Baden-Württemberg zurücktreten, weil er als NS-Marinerichter Todesurteile gegen Deserteure verhängt hatte. In seiner Rede verurteilt Filbinger die Zulassung homosexueller Lebenspartnerschaften als "Pervertierung" der Verfassung. Er wettert gegen das Abtreibungsrecht. Und er fordert ein Ende der "Geschichtsklitterung" in Schulbüchern, in denen es zu sehr um das Dritte Reich gehe. Filbinger wird nicht ausgebuht, sondern beklatscht.

Anschließend wählen die Delegierten ihre neue Parteichefin. Das ist die CDU am ersten Tag der Ära Merkel.

An diesem Freitag ist aber nun der letzte Tag der Ära Merkel als Parteichefin. Und den nutzt sie auch, um ihre zweite Kernbotschaft loszuwerden. Es ist - kurz gesagt - ein Lob des Kompromisses. Der CDU sei es gelungen, in fünfzig der siebzig Jahre Bundesrepublik Deutschland den Kanzler oder die Kanzlerin zu stellen, sagt Merkel. Gelungen sei das, weil die Partei sich zwar stets bemüht habe, Politik nach ihren Werten zu gestalten - dabei aber immer auch verstanden habe, dass man nicht "alleine die Weisheit gepachtet" habe, dass man Probleme auch immer mit den Augen der anderen sehen müsse, und dass man nicht immer auf die einfache Antwort setzen dürfe. Die Christdemokraten hätten immer Freude daran gehabt, dass die Welt "nicht schwarz-weiß ist, sondern voller Schattierungen". Vor allem aber gelte: "Wir Christdemokraten grenzen uns ab, aber wir grenzen niemals aus."

Das ist zwar ziemlich geflunkert, der Kompromiss ist bis heute bei Weitem nicht jedem in der CDU das höchste Gut. Auch Jens Spahn und Friedrich Merz gelten eher als Politiker der klaren Kante.

Aber was erklärt Merkel nun zu den drei Kandidaten? Sie habe sich "absolute Neutralität auferlegt", das hat die Kanzlerin bereits am Vortag gesagt. Und sie spricht sich in ihrer Rede tatsächlich für niemanden aus. An einer Stelle kann man ihre Präferenz aber doch erkennen. Dass die Union es geschafft habe, bei der Bundestagswahl 2017 eine rot-rot-grüne Mehrheit zu verhindern, das liege an den Erfolgen bei den drei Landtagswahlen zuvor im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen, sagt Merkel. Sie nennt Annegret Kramp-Karrenbauer zwar nicht mit Namen, aber jeder im Saal weiß auch so, wem die Partei den Erfolg im Saarland zu verdanken hat. Und Daniel Günther, der Kieler Ministerpräsident, hatte sich für Kramp-Karrenbauer als CDU-Chefin ausgesprochen. Er gilt, wie der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet, auch als Unterstützer des Kurses der Kanzlerin.

Bei der Besichtigung der Parteitagshalle am Donnerstag hatte Merkel gesagt, sie freue sich "auf den Tag morgen" und sei, "wie alle anderen auch, natürlich gespannt" auf das Ergebnis. Dass es mehrere Kandidaten gebe, das sei doch "Demokratie pur". Dass dann Kramp-Karrenbauer zu ihrer Nachfolgerin gewählt wurde, darüber dürfte Merkel aber doch erleichtert gewesen sein.

© SZ vom 08.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSeite Drei zum CDU-Parteitag
:Tage wie dieser

Es ist, als hätte Angela Merkel durch ihren Verzicht ihre eigene Partei wach geküsst. Und mit dem Sieg von Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich die Kanzlerin selbst im Abgang durchgesetzt.

Von Nico Fried

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: