Generalsekretär Ziemiak:Jobangebot am Rand der Tanzfläche

  • Mit Paul Ziemiak wird zum ersten Mal ein Vorsitzender der Jungen Union direkt Generalsekretär der CDU.
  • Der 33-Jährige war bis zur Wahl Kramp-Karrenbauers zur CDU-Chefin im Lager von Merz und Spahn - manche in der Partei finden deshalb, seine Wahl habe ein "Geschmäckle".
  • Gleich an seinem ersten Tag muss er harte Kritik und sogar üble Entgleisungen einstecken.

Von Robert Roßmann, Hamburg

Die CDU ist mehr als 70 Jahre alt, da sollte man meinen, dass es alles schon einmal gegeben hat. Aber so etwas wie am Samstag haben die Christdemokraten in ihrer langen Geschichte noch nie erlebt - und zwar gleich in doppelter Hinsicht. Um halb ein Uhr morgens, am Rand einer Tanzfläche, wurde vereinbart, wer neuer Generalsekretär werden soll. Und der ist dann auch noch der mit Abstand jüngste, den die Partei je hatte.

Zum ersten Mal wird ein amtierender Vorsitzender der Jungen Union direkt Generalsekretär. Paul Ziemiak heißt der Mann, der auch ansonsten eine für CDU-Verhältnisse ungewöhnliche Biografie vorzuweisen hat. Und der gleich an seinem ersten Tag im Amt harte Kritik und üble Entgleisungen einstecken muss.

Sogar in seinen eigenem Verband, der JU, weisen viele sofort nach der Wahl maliziös darauf hin, dass Ziemiak sein Studium noch nicht abgeschlossen habe, und dass er sein neues Amt einem "schmutzigen Deal" verdanke. Noch schlimmer ist der Vorwurf des Schatzmeisters der Mittelstandsvereinigung, des Wirtschaftsflügels der Union. Der schreibt auf Facebook, Ziemiak sei ein "Griff ins Klo". Es sei "unglaublich", dass die neue CDU-Chefin jemanden zum Generalsekretär mache, "der noch nie mit bodenständiger Arbeit Geld verdient hat" und der "keinen vernünftigen Abschluss vorweisen kann". Ausgerechnet Hermann Hesse heißt der Schatzmeister; er zeigt, dass doch nicht jedem Anfang ein Zauber innewohnt.

Was ist da passiert? Am späten Freitagnachmittag war die bisherige Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer in einer Kampfabstimmung zur neuen CDU-Vorsitzenden gewählt worden. Die Partei brauchte also einen neuen Generalsekretär. Und es war klar, dass der aus dem Lager von Kramp-Karrenbauers Gegenkandidaten Friedrich Merz und Jens Spahn kommen muss, um die aufgewühlte Partei wieder zu befrieden. Schon in den vergangenen Wochen hatte es Spekulationen gegeben, dass Kramp-Karrenbauer im Fall ihrer Wahl Ziemiak zu ihrem Nachfolger machen wolle. Der JU-Chef, er ist mit Spahn befreundet, hatte eine derartige Vereinbarung aber stets bestritten. Und auch Kramp-Karrenbauer sagte der Welt noch unmittelbar vor dem Parteitag auf die Frage, ob sie mit Ziemiak eine Absprache getroffen habe: "Nein, das stimmt nicht."

Umso überraschender war dann der Samstag. Kramp-Karrenbauer ging ans Redepult und offenbarte den Delegierten, dass sie bereits kurz nach Angela Merkels Ankündigung, den Parteivorsitz abzugeben, Ziemiak gefragt habe, ob er ihr Generalsekretär werden wolle. Doch der habe damals mit Verweis auf seine Freundschaft zu Spahn, seine politische Nähe zu Friedrich Merz und seine Herkunft aus Nordrhein-Westfalen abgelehnt. Merz und Spahn kommen ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen, Kramp-Karrenbauer ist Saarländerin. "Am Rande der Tanzfläche" des Delegiertenabends, in der Nacht zum Samstag, habe sie Ziemiak dann aber noch einmal angesprochen, sagte die neue Parteivorsitzende - und ihn überzeugen können.

Deshalb schlage sie ihn jetzt vor. Ziemiak bestätigt den Ablauf später. Und es gibt bisher keinen Beleg dafür, dass die Geschichte nicht stimmt. Ziemiak sagt sogar, er habe weder im ersten Wahlgang noch in der Stichwahl für Kramp-Karrenbauer votiert. Aber wegen der Vorgeschichte haben viele Delegierte doch Zweifel an der Version: War nicht klar, dass die Abstimmung zwischen Kramp-Karrenbauer und Merz knapp werden würde - und dass die Junge Union dabei ein Machtfaktor ist? Hat "AKK" mit ihrem Angebot versucht, einen wichtigen innerparteilichen Gegner vor der Wahl auf ihre Seite zu ziehen?

Im Lager von Spahn und Merz sagen viele, selbst ohne Deal habe der Vorgang deshalb ein unangenehmes Geschmäckle. Entsprechend schlecht fällt dann auch das Wahlergebnis von Ziemiak aus, nur 62,8 Prozent der Delegierten stimmen für ihn. Kramp-Karrenbauer war bei ihrer Wahl zur Generalsekretärin im Februar auf fast 99 Prozent gekommen.

Als JU-Chef zeigte Ziemiak: Auch ohne Studienabschluss kann man sich Gehör verschaffen

Aber wer ist nun dieser Paul Ziemiak? Der 33-Jährige ist gebürtiger Stettiner. Seine Familie kam erst 1988 aus Polen in die Bundesrepublik, mit wenigen Koffern als Gepäck. In Warschau regierte da noch ein kommunistischer General als Staatsratsvorsitzender. Die ersten Wochen in Deutschland lebte die Familie im Auffanglager Unna-Massen, Ziemiak lernte erst im Kindergarten Deutsch. Die Schule schloss er mit dem Abitur ab. Als Ziemiak 22 war, starb seine Mutter an Krebs. Er hat sie vor ihrem Tod gepflegt.

Ziemiak begann früh, sich in der Jungen Union zu engagieren. 2012 wurde er Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen, da war er schon Chef der CDU Iserlohn, die Stadt hat immerhin knapp 100 000 Einwohner. 2014 setzte er sich in einer Kampfabstimmung um die Nachfolge Philipp Mißfelders als JU-Bundesvorsitzender durch, auch dank einer furiosen Rede. Seitdem ist er fast rund um die Uhr als JU-Chef im Einsatz. 2017 zog er dann auch noch in den Bundestag ein. Er ist verheiratet und hat einen Sohn.

Diese Vita zeigt, wie ungeheuerlich der Vorwurf ist, Ziemiak sei wegen seines fehlenden Studienabschlusses "ein Griff ins Klo". Am Sonntag entschuldigte sich Hermann Hesse zwar für die Wortwahl, "in der Sache" bekräftigte er aber seine Kritik.

Dabei hat Ziemiak seit seiner Wahl zum JU-Chef mehr als deutlich bewiesen, dass man sich auch ohne Studienabschluss ordentlich Gehör verschaffen kann. Ziemiak ist in den vergangenen vier Jahren mit einer Vielzahl an politischen Vorstößen aufgefallen - meistens zusammen mit Spahn und dem Vorsitzenden der Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann.

So wurde auf dem Bundesparteitag 2016 gegen den Widerstand Angela Merkels ein Antrag der Jungen Union beschlossen, in dem die Wiedereinführung der Optionspflicht bei der doppelten Staatsbürgerschaft verlangt wird. Beim Parteitag 2015 setzte Ziemiak, wiederum gemeinsam mit Spahn und Linnemann, einige Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik durch.

Einführung der Rente mit 63 - aus Ziemiaks Sicht ein Fehler

Auch in der Wirtschaftspolitik verlangte Ziemiak regelmäßig Korrekturen. 2014 stritt er auf dem Parteitag für die Abschaffung der kalten Progression im Steuerrecht. Und 2016 forderte er sogar einen "Kurswechsel" der Bundesregierung. "Statt ständig neuer Sozialprojekte" sei jetzt "eine Fokussierung auf Wirtschaftsförderung nötig", sagte er. Merkels Regierung habe "ein sozialpolitisches Feuerwerk gezündet" - jetzt aber sei es an der Zeit, auch die Wirtschaft zu stärken. Die Einführung der Rente mit 63 bezeichnete er als Fehler. Stattdessen forderte er, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln.

Bei seiner ersten Wahl zum JU-Chef im September 2014 hatte Ziemiak der CDU einen Jugendverband versprochen, der sich konstruktiv verhalten werde. Politik sei ein "Spagat zwischen Kompromissbereitschaft und Durchsetzungsvermögen", sagte er damals. Er wolle die Unionsspitze nicht andauernd attackieren, sondern erreichen, dass diese der JU zuhöre.

Das ist ihm dann auch gelungen. Und jetzt gehört er - allen Kritikern zum Trotz - sogar selbst zur CDU-Spitze.

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